Warum Wahlen nichts ändern

 


 

Wenn die kritische Beleuchtung der Zustände zu dem Ergebnis kommt, dass an ihnen nichts  geändert werden kann, fragt man sich, warum eine solche Untersuchung der Zustände überhaupt veröffentlicht wird. In diese irritierende Situation gerät der Leser des Beitrags „Wahlen ändern nichts“ von Ernst Wolff. (www.antikrieg.com – 14.09.2016)

 

 

Der Verfasser macht gleich zu Beginn die fatalistische Aussage: „Ob es um das Amt des Präsidenten der USA, die Posten im Berliner Senat oder die Zusammensetzung der Gemeinderäte in der niedersächsischen Provinz geht – Wahlen haben heute alle eines gemeinsam: Sie ändern nichts.“

 

Und am Schluss seiner Darlegungen bekräftigt er seine Meinung mit dem bekannten Ausspruch von Kurt Tucholsky: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten“. Was bleibt dann noch an demokratischen Mitteln zur Veränderung übrig? Dazu schweigt der Autor. Er geht nicht auf das Thema ein, das er sich stellt, sondern er resigniert. Die Wähler würden vor den Wahlen nur mit mit Scheingefechten getäuscht und abgelenkt, damit alles seinen bisherigen Gang weitergehen kann. Wenn Wahlen aber wirklich so belanglos wären, warum betreibt dann die herrschende Schicht einen solchen Aufwand, um gut abzuschneiden? Warum wird jede system-kritische Partei dann von den Systemparteien diskriminiert? – doch deshalb, weil sie Gefahren wittern für ihr System. Deshalb sind sie so allergisch.Und das um so mehr, je fragiler die Lage ist, da ihnen die Wähler scharenweise davonlaufen.

 

 

Die entscheidende Frage lautet hier doch wohl: Warum ist das so? Warum scheint die Welt trotz Wahlen auf der Stelle zu treten? Offensichtlich aus zwei Gründen. Der erste ist, dass die Erwartungen, die an Wahlen gestellt werden, zu hoch gesteckt sind, so dass man immer unter den Erwartungen bleibt und kleine Veränderungen nicht wahrnimmt. Die Forderung: ´Alles oder nichts` führt dann schnell zu dem Ergebnis: ´Alles ist nichts`, weshalb man enttäuscht die Flinte ins Korn wirft. Der zweite Grund ist, dass man in der Gegenwart gar keinen Ansatzpunkt für Veränderungen sieht. Da man aber für eine bessere Welt ist, richtet man den Blick fest auf die Zukunft, in der alles anders sein wird, weil zum Glück die miserable Gegenwart irgendwann mal mit einem großen Knall zusammenbrechen wird. Im Grunde genommen, kann der Bürger nur abwarten. Solchen Ansichten folgen dann bestenfalls die Ratschläge, wie „Otto Normalverbaucher“ sich auf den Crash vorbereiten sollte, um ihn zu überleben. Doch die Zukunft beginnt in der Gegenwart, das sollten alle bedenken, die es mit dem Volk ernst meinen. Wird die Gegenwart vernünftig gestaltet, ist das ein gutes Fundament, auf dem die nächste Generation sich auf ihre Art einrichten kann.

 

 

Das Spektrum der politischen Opposition ist vielfältig. Den Wahlen kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Sie sind ein sozial-technisches Mittel, um eine bestimmte Gruppe mit verantwortungsvollen Aufgaben für die ganze Gemeinschaft auszustatten. Die etablierten Parteien stellen Kandidaten auf, die sich in der Öffentlichkeit von der besten Seite zeigen, lachend, jovial, vertrauenerweckend. Wenn nach der Wahl die Wähler von ihnen enttäuscht werden, dann liegt das nicht an der Wahl, sondern am Wähler, dass er wieder die Falschen gewählt hat. Im konkreten Fall nämlich Personen, die nicht in der Lage sind, die Interessen der Wähler zu vertreten. Wenn die Wähler mit Hilfe der Wahlen ihre Absichten nicht durchsetzen können, dann muss man sich fragen, woran das liegt, was hat der Wähler falsch gemacht? Ausdrücklich, es macht keinen Sinn, die Schuld beim System zu suchen und von ihm Entgegenkommen zu erwarten. Lachen, Jovialität und Vertraulichkeit sind eben keine Wahlargumente. Der kühle Kopf muss entscheiden.

 

Eine Technik ist ein klar definierter Handlungsablauf, der zu einem vorprogrammierten Ergebnis führt. Das gilt auch im sozialen Bereich für die Wahlen. Das vom Bürger gewünschte Ergebnis ist: sein Interesse bei Entscheidungen der jeweiligen Institution zu sichern. Das von den Herrschenden gewünschte Ergebnis ist: ihre privilegierte Rolle bei Entscheidungen zu sichern. Durch Wahlen werden die Interessen quantifiziert und wird ihr Anteil an der Organisation der Gesellschaft festgelegt. So lautet jedenfalls die offizielle Absicht.

 

In der Herrschaftsgesellschaft ist die Durchführung von Wahlen ein Zugeständnis der Herrschenden an das Volk. Einerseits geben sie dem Verlangen des Volkes nach, seinen Willen an der Mitgestaltung der Politik zu berücksichtigen. Sie gehen einen Schritt in Richtung Anerkennung der Volkssouveränität. Um ihre Vormachtstellung jedoch nicht zu verlieren, wirken sie desorientierend auf den Volkswillen ein und knüpfen ein enges Netz von Korruption und Privilegien. Der Weg vom Kandidaten zum Mandatsträger ist förmlich ein sozialer Wandlungsprozess, um zum Wähler Distanz zu schaffen. Die gewählten Vertreter werden gleichsam in eine andere Welt gehoben, in die Welt der Immunität und Privilegien. Die Zuerkennung von Politik- und Regierungsfähigkeit beruht auf Anerkennung von Systemkonformität. So verliert sich der Volkswille aus den Augen des Volksvertreters. Ihm wird zu verstehen gegeben, dass er ab seiner Wahl zur politischen Elite des Landes gehört und sein Umgang mit dem Bürger ein unpersönlicher, nämlich ein offizieller sei.

 

 

Wahlen in der Herrschaftsgesellschaft enthalten deshalb immer ein Risiko, den Zwiespalt: die Erwartungen der Wähler und das entrückte Eigenleben der Auserwählten. Dieser Zwiespalt wird von den Etablierten gehegt und gepflegt. Das ist unvermeidlich. Dennoch muss man sagen, Wahlen sind für das Volk die zweckmäßigste Form, seinen Willen in die politischen Entscheidungsträger einzubringen, da sie gewaltfrei sind. Der demokratische Charakter von Wahlen, das Maß an Volkssouveränität ist also nicht einfach gegeben, sondern es muss errungen werden, es muss den Herrschenden abgerungen werden.

 

Wenn nun von Kritikern bemängelt wird, dass Wahlen nichts verändern, dann bedeutet das, dass der Einfluss des Volkswillens auf die Wahl nicht groß und nicht klar genug war, um sich entsprechend Geltung zu verschaffen. Deshalb die Wahlen generell zu verwerfen, ist ebenso falsch, wie generell das Rad verwerfen zu wollen, weil das Auto auf seinen Rädern gegen einen Baum gefahren ist.

 

 

Sehen wir einmal von technisch bedingten Mängeln ab, dass also nicht alle technischen Bedingungen sauber abliefen, gemeint sind die sogenannten Wahlunregelmäßigkeiten, so ist ein unbefriedigendes Resultat darauf zurückzuführen, dass das Wirken der politischen Kräfte im Vorfeld der Wahl – das ist die gesamte Legislaturperiode – kein anderes Ergebnis zuließ. Die Aussage „Wahlen ändern nichts“ ist insofern eine falsche Aussage, als sie das Resultat zeitigen, das dem politischen Zustand der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Wahl entspricht. Wahlen widerspiegeln nur und schreiben fest, sie können gar nicht verändern. Die wirklichen Veränderungen vollziehen sich schon vor der Wahl. Und hier beginnt das eigentliche Problem.

 

 

Das politische Leben wird heute unmittelbar und weitgehend durch die Parteien, speziell durch die Parteiführungen, bestimmt. Der Wahlbürger kann nur auswählen zwischen den Vorgaben der einzelnen Parteien. Da die etablierten Parteien durchgehend systemtragend sind, ändert sich mit ihrer Wahl nichts am politischen Zustand. Daraus zieht der veränderungswillige Bürger die Schlussfolgerung, seine Stimme einer nicht-etablierten Partei zu geben. Der resignierte Bürger geht dagegen gar nicht zur Wahl.

 

 

Einer nicht-etablierten Partei die Stimme zu geben, räumt ihm die Möglichkeit ein, die Wahlen im Sinne demokratischer Reformen zu nutzen. Entscheidend ist dabei, welches politische Angebot es gibt. Das heißt, die eigentliche Arbeit liegt vor der Wahl, indem der veränderungswillige Bürger die Parteien während der ganzen Legislaturperiode aufmerksam beobachtet und prüft. Die kritische Analyse einer späteren Wahlpartei muss frühzeitig erfolgen. Die Entscheidung muß lange vor dem Gang zur Wahlurne gefallen sein. Es widerspricht der demokratischen Verantwortung, wenn vor der Wahl noch Unsicherheit bezüglich der zu wählenden Partei besteht bzw. vom Wahlrecht nicht Gebrauch gemacht wird. Auch der Protestwähler, der lediglich einen Denkzettel erteilen will, wird nicht seiner demokratischen Verantwortung gerecht. Die Wechselstimmung orientiert zwar auf einen Wechsel, will neue Gesichter in der Politik sehen, ihr fehlt aber die bewusste Entscheidung. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung setzt eben politische Bildung und demokratische Erziehung beim Wähler voraus.

 

 

Es heißt zwar im Grundgesetz, daß die Parteien zur politischen Willensbildung beitragen sollen und damit faktisch zu Hebung der Volkssouveränität, aber von den etablierten Parteien ist keine Änderung zu erwarten. Fest eingefahrene Parteien lassen sich nicht reformieren. Allen voran die CDU. Die Worte von Bundeskanzlerin Merkel, die in den Medien als Selbstkritik eingeschätzt  wurden: „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit um viele, viele Jahre zurückdrehen, um mich mit der ganzen Bundesregierung und allen Verantwortungsträgern besser vorbereiten zu können auf die Situation, die uns dann im Spätsommer 2015 eher unvorbereitet traf“ – sind lediglich ein Bedauern, dass die Entscheidung „Wir schaffen das „, nicht besser durchgesetzt wurde. Merkel ist geistig stehen geblieben. Sie lebt in der Ära des Kalten Krieges. Sie erfasst die Wirklichkeit nicht mehr und steht in Europa isoliert da. Sie wird jedoch von allen Bundestagsparteien unterstützt. Die Kritik an ihr betrifft nicht den Kern ihres Anliegens, sondern die Art und Weise ihres Vorgehens. Das gilt auch für die CSU. Seehofer will das System retten, nicht verändern und das geht nicht. Deshalb ist die Stimme für eine etablierte Partei vom Standpunkt der demokratischen Erneuerung eine vergeudete Stimme.

 

Und die Änderung durch nicht-etablierte Parteien? Eine „Denkzettel“-Partei ist keine Alternative. Der Denkzettel wird verpasst und dann verflüchtigt sich die Protestpartei mangels politischer Substanz. Die bisherigen Erfahrungen machen skeptisch. Trotzdem hoffen und suchen die Bürger. Darin drückt sich der Lebenswille des Volkes aus. Nur so ist der große Vertrauensvorschuss der AfD zu erklären. Sie muss den „Mut zur Wahrheit“ beweisen, nicht erst, wenn sie im Bundestag sitzt, sondern schon heute mit ihren Stimmen in den Landtagen. Landespolitik steht eben nicht im Schatten von Bundespolitik. Die neue Form von Volkssouveränität muss sich auch auf kommunaler und Landesebene durchsetzen. Hier spielt sich der Alltag ab. Hier lebt der Bürger mit seinen konkreten Sorgen. Das Schicksal dieser hoffnungsvollen Partei hängt nicht von ihrem Verhältnis zu den etablierten Parteien ab, sondern von ihrem Verhältnis zum Volk, von ihrer Entschlossenheit den Willen des Volkes in die Politik einzubringen. Eine solche Partei wünscht sich der Bürger.

 

 

Die etablierten Parteien reden davon, die  AfD „entzaubern“ zu wollen. Sie meinen damit, dass sich die AfD ihnen angleicht, indem sie in ihre Politik eingebunden wird. Entzaubern bedeutet hier, dass sich die AfD etabliert. Das würde mit Sicherheit dazu führen, dass sich die AfD entwertet, sprich  überflüssig macht. Das eigene politische Gewicht zu vergrößern, setzt voraus, das eigene Profil zu entwickeln und zu schärfen. Die Landespolitik in Sachsen zum Beispiel bietet in den Bereichen Bildung, Wohnungs- und Mietpolitik, Justiz genügend Handlungsbedarf. Man muss nur zugreifen und darf sich nicht aus taktischen Erwägungen zurückhalten. Der Vertrauensvorschuss muss zügig eingelöst werden, damit sich die Erwartungen zur Bundestagswahl erfüllen.

 

Das Problem, vor dem wir Deutschen heute stehen, ist größer, als je angenommen wurde. Es zu lösen, ist nicht bloß eine Frage des Wollens, sondern vor allem eine Frage des Könnens. Nur das Volk als Ganzes kann die notwendige Energie und Besonnenheit aufbringen. Dazu das Volk zu initiieren, sollte das wichtigste Anliegen einer Partei der deutschen Erneuerung sein.

 

 

Einen demokratischen Weg ohne Wahlen gibt es nicht. Die Erneuerung Deutschlands ist nur auf demokratischem Wege möglich, den nur das Volk ausfindig machen kann.

 

Wahlen werden den Bürger mobilisieren, wenn er merkt, dass seine Hoffnungen berechtigt sind. Und dann erübrigt sich die Frage, was Wahlen bewirken können.

 

 

 

Johannes Hertrampf – 21.09.2016