Wahlverweigerung ist demokratischer Widerstand

 

7. September 2009 FP Deutschlands

 

von J. Hertrampf

 

Immer mehr Menschen erkennen, dass unter den heutigen Bedingungen eine Beteiligung an Wahlen nicht zu einer Politikänderung führt. Auch bei der bevorstehenden Bundestagswahl tritt keine Partei an, die konsequent die dringendsten Probleme der Gegenwart in den Mittelpunkt stellt: die Einführung der obligatorischen Volksabstimmung und die Beseitigung der tödlichen Schuldenlast. Den Wähler interessieren nicht die graduellen Unterschiede zwischen Regierungsparteien und Opposition, ihn interessiert nicht der Streit der kleinen Parteien mit den großen Parteien um den Zugang zu den staatlichen Schaltstellen und Geldquellen. Er hat genug von dem ständigen Gezänk und dem Aufdecken immer neuer Skandalgeschichten. Er will endlich den grundlegenden Politikwandel. Inhaltlich geht es um einen neuen Typus von Volkssouveränität. Welche der vielen Parteien, die sich um Parlamentssitze bewerben, hat aber diesen im Sinn? Die Zersplitterung der Opposition resultiert vor allem aus der ungenügenden Konzentration auf die nationale Erneuerung. Die Wahlmüdigkeit ist nicht nur auf die Enttäuschung durch die etablierten Parteien zurückzuführen, sondern auch auf die inhaltliche Schwäche der Opposition. Sie bietet dem Wähler zuwenig.

 

 

Wenn es also gar nicht so wichtig ist, wie sich die Stimmen auf die Parteien verteilen, weil sie mehr oder weniger alle den Schlüsselfragen eines Wandels ausweichen, dann tritt eine andere Frage in den Vordergrund: Inwieweit erkennen die Bürgerinnen und Bürger diesen Zustand und ziehen die zurückweisende Ablehnung einer skeptischen Zustimmung vor. Wenn das Ausweichen auf das kleinere Übel und der Prügelstock Protestwahl sich als untauglich erwiesen haben, dann tritt die Wahlbeteiligung als wichtigste Größe einer Wahl in den Vordergrund. Sie sagt nichts über diese oder jene Partei aus, sondern sie ist ein Gradmesser der Ablehnung des ganzen Parteiensystems, das sich mit der Wahl erneut legitimieren will. Insofern das System beim Wähler durchfällt, von ihm nicht mehr angenommen wird, ist es für eine Demokratie untauglich. Die Wahlbeteiligung sagt etwas aus über den Zustand der Demokratie. Sie ist ein wichtiger Indikator, der die Verantwortung des Souveräns für die Demokratie widerspiegelt. In dem Maße, wie der Bürger nämlich gewahr wird, dass er von den Parteien an der Nase herumgeführt wird, sinkt seine Zustimmung zu den Parteien und sinkt folglich die Wahlbeteiligung. Das ist ein sehr ernst zunehmender Hinweis, dass etwas getan werden muss, damit die Demokratie nicht in die Brüche geht.

 

 

Die auf freiwilliger Basis beruhende Wahlbeteiligung ist wichtiger als die Stimmenverteilung auf die Parteien. Sie zeigt die Verbundenheit der Bürger mit dem Staatswesen an. Für die Parteien ist sie jedoch eine zweitrangige Größe, weil sie nicht das gesamte, sondern nur ihr partielles Interesse im Auge haben. Wahlsiege sind Parteiensache, Wahlbeteiligung ist Bürgersache. Die Parteien spüren natürlich, dass die Wahlbeteiligung etwas mit ihrer politischen Akzeptanz zu tun hat. Insofern stellen sie sich die Frage: Wie kann man den Wähler an die Urnen bringen, ohne vom eigenen politischen Konzept abzurücken?

 

 

Dafür gibt es nun verschiedene Möglichkeiten. Eine ist, den Wahlkampf selbst zu entpolitisieren. Eine andere ist, neue „unverbrauchte“ Parteien in Stellung zu bringen. Beides zielt darauf ab, den Wahlkampf interessant zu machen und damit den Wähler anlocken. Daneben gibt es noch die harte Gangart, bei der die Wahlverweigerung als undemokratisches Verhalten bezeichnet wird, das den Bestand der Demokratie gefährdet. Dabei werden ganz einfach die Seiten vertauscht. Der Wähler, der sich von der Politik angewidert fühlt, wird zum Sündenbock abgestempelt, ihm wird ein Schuldgefühl eingeimpft, das eigentlich die Politiker haben müssten. Nach diesem Denkmuster können sie also wie gehabt fortfahren, ja, sie können es noch schlimmer treiben. Die Schuld am Niedergang der Demokratie trägt angeblich der Wähler, der sich von ihr abwendet, der seiner Bürgerpflicht nicht nachkomme. Grotesker können die Dinge nicht auf den Kopf gestellt werden. Wenn der Gang zur Wahlurne nicht die Politik ändert, so hat die Wahlverweigerung das ebenfalls nicht unmittelbar zur Folge, aber sie ist der unübersehbare Fingerzeig des Souveräns, dass die Demokratie im argen liegt.


Oft wird behauptet, dass eine geringe Wahlbeteiligung die politischen Ränder stärke. Wie das Ergebnis der jüngsten Landtagswahlen in Sachsen zeigt, ist diese Behauptung praktisch nicht nachweisbar. Lag die Wahlbeteiligung im Jahre 2004 bei 59,6 %, so sank sie im Jahre 2009 auf 52,2 %. Das ist ein Rückgang um 7,4 %. Die NPD, die man als Partei am rechten Rand bezeichnen kann, hatte 2004, also bei höherer Wahlbeteiligung, 9,2 % erreicht. Bei der letzten Wahl erreichte sie 5,6 %. Das ist ein Rückgang um 3,6 %. Ähnlich verhält es sich bei der Partei DIE LINKE, die wir als Partei am linken Rand bezeichnen. Sie erreichte im Jahre 2004 noch 23,6 % der Wählerstimmen. Bei der letzten Landtagswahl waren es 20,6 %. Sie verlor also 3 % der Stimmen. Die sinkende Wahlbeteiligung hatte in Sachsen demnach keinen Stimmenzuwachs bei den politischen Rändern zur Folge. Ein Stimmenzuwachs ist nicht von der Wahlbeteiligung abhängig, sondern von der Erwartung, dass eine Randpartei den politischen Zustand verändern könne. Obwohl wir 2009 im Vergleich zu 2004 eine deutliche soziale Verschlechterung feststellen können, haben davon die Randparteien nicht profitiert. Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass viele der enttäuschten Bürgerinnen und Bürgern in diesen keine brauchbare Alternative sehen. Sie trauen ihnen nicht zu, dass sie das Steuer herumreißen können.

 

 

Der aufgestellten Behauptung mangelt es an zwingender Logik und praktischer Bestätigung. Sie ist nur eine willkürliche Behauptung. So erhebt sich die Frage, warum sie aufgestellt wird. Unsere Antwort: Sie stellt eine politische Diskriminierung der Nichtwähler dar, mit der man diese zwingen will, an die Wahlurnen zu gehen.

 

Wahlverweigerung ist aber ebenso eine demokratische Entscheidung wie zur Wahl gehen. Wer diese mit negativem Vorzeichen versieht, hat nicht demokratische Absichten im Sinn, sondern verfolgt ein engstirniges Eigeninteresse. Die Wahlverweigerung ist keine Befürwortung der Diktatur. Sie ist kein
Verstoß gegen staatsbürgerliche Pflichten. Sie ist eine völlig legitime demokratische Entscheidung, mit der die Bürger der neuen Regierung die Legitimation entziehen. Wenn sich schon nicht der Staatspräsident dazu äußert, müsste es das Bundesverfassungsgericht tun. Denn wo liegt denn die Grenze, ab der eine Wahl auf Grund zu geringer Beteiligung ungültig ist?

 

 

Die Freiheitliche Partei Deutschlands will mit ihrer Stellungnahme zur Wahlverweigerung die geistige Auseinandersetzung fördern. Wir sind dafür, dass die Stimmungslage im Lande klar zum Ausdruck kommt, damit die wirkliche Opposition sich um so eher formieren kann. Wahlverweigerung ist Politikverweigerung, der die Alternative folgen muss. Wir befürworten die Teilnahme an den Wahlen, wenn das Wahlsystem so beschaffen ist, dass das Wahlergebnis tatsächlich den Wählerwillen ausdrückt. Inwieweit erst die außerparlamentarische demokratische Opposition diese Änderung erzwingt, hängt weitgehend vom Kräfteverhältnis und von der Beweglichkeit und Einsicht der politisch überholten Kräfte ab.