Unbehagen und Neugier

 

 

 

So gesehen läßt sie das ganze ideologische Kampfgeschrei eigentlich kalt, so lange sie die Macht in den Händen halten. Nervös werden sie nur dann, wenn Risse die eigene Sicherheit wie Sollbruchstellen in Frage stellen, dann verkünden sie flugs die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus als unwiderrufliche Feststellung. Das besorgen solche Autoren wie Antony P. Müller, „Nur der Kapitalismus kann uns retten“, Spiegel-online vom 3.4.1919 und Henrik Müller, „Kann uns der Kapitalismus noch retten?“ Spiegel-online vom 19.1.2020. Solche Journalisten geben im Auftrag der Redaktionen die Linien vor, die weltweit als Propaganda wiederholt werden.

 

 

Was kommt auf uns zu in Deutschland, was bringt uns das Kommende? Die Vorboten waren unheilvolle Rückschläge, die im Verborgenem sprossten. Ganze Industriezweige setzten auf die Lüge. Verfälschungen von technischen Abläufen, Mißachtung von Gefahren für die belebte Umwelt, Verfeindung der Volksteile untereinander, Schönfärberei bei der Beurteilung der negativen Einflüsse auf Luft, Wasser und Boden, Vertuschen der rückläufigen Sozialhygiene in Deutschland durch heuchlerische Deutung moralischer Maximen, zunehmende militärische Bedrohung außereuropäischer Staaten, Verschweigen der Aufrüstung im Weltall, Ignoranz gegenüber demokratischen Normen und Einrichtungen u.ä.mehr.

 

 

Bei der Mehrheit der Bürger ist das Vertrauen in die Politik durch tiefe Enttäuschungen verloren gegangen, vor allem infolge der Ereignisse im Zwanzigsten Jahrhundert, aber auch durch grundsätzliche Entscheidungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie lehnen das „parlamentarisch-demokratische“ Parteien-System ab, das „freiheitlich-demokratische Ordnung“ genannt wird. Sie verbinden den Begriff Demokratie mit bürgerlicher Interessenvertretung, also Interessenvertretung der Bürger, können diese aber in der Wirklichkeit nicht exemplarisch ausmachen. Daher die tief sitzenden dauerhaften Enttäuschungen, z.B. die jüngsten Bauernproteste gegen die Agrarpolitik der Regierung, die schwere pathologische Störungen in der Volkspsyche heraufbeschwören, von Seiten der Regierung aber als mangelnde politische Bildung verharmlost werden. Jeder, wenigstens fast jeder, kann soviel kritisieren, wie er Lust hat, aber Einfluß auf die Politik kann er dennoch nicht nehmen.

 

 

Belehrungen durch die Politiker über eine zunehmende Kompliziertheit der Politik sind den Menschen unerträglich. Den Grund für die politischen Fehlleistungen sehen sie nicht in der Politik, sondern bei den Politikern, die den Anforderungen nicht gewachsen sind. Gemeint sind nicht das generelle Fehlen intellektueller Fähigkeiten, sondern die geistigen Grundlagen, das Fundament, auf dem die Politiker agieren.

 

Das Gesellschaftsbild, von dem sie sich leiten lassen, ist Vergangenheit. Die Menschheit lebt heute infolge der einsetzenden technischen Revolution in der Phase der Ablösung der Herrschaftsgesellschaft. Gegenteilige Initiativen sind auf die Dauer erfolglos. Die gesellschaftliche Notwendigkeit ist nicht beliebig dehnbar. Der qualitative Umschlag muss kommen, wenn die Ursachen weiter wirken. Und diese wirken weiter. Hierin verbirgt sich das Geheimnis des amerikanischen Präsidenten D. Trump.

 

 

Die bestimmende Gesellschaftstheorie versucht diesem Umstand zu entsprechen, indem sie mit Hilfe des Begriffs Globalisierung den technischen Einfluß auf die Gesellschaft thematisiert. Sie übersieht dabei den qualitativen Unterschied zwischen den Begriffen Technische Revolution und Globalisierung. Die Verengung des technischen Einflusses auf die Gesellschaft führt aber zu einer falschen Problemerfassung und damit zu einer unfruchtbaren Analyse. Die Wirkzusammenhänge werden eingeschränkt, so daß diese reduziert werden auf Zusammenhänge, die den herrschenden Absichten entsprechen. Das hat zur Folge, daß die gesellschaftlichen Konflikte sich vergrößern.

 

 

Das Übergreifen der technischen Dimensionen über die nationalen Grenzen hinweg ist keine aus der Technik entspringende Notwendigkeit, sondern eine Folge der privatkapitalistischen Steuerung der Technikentwicklung, die dann als Folge eines technischen Gesetzes hingestellt wird. Doch befassen wir uns weiter mit dem Charakter des Bewußtseins, welches für die Steuerung des technischen Systems erforderlich ist. Ungeachtet aller Bewußtseinsüberlagerungen dominiert das empirische Bewußtsein die technische Politik. In zunehmender Hinsicht reicht das empirische Bewußtsein jedoch nicht aus und muß durch abstraktes Bewußtsein ergänzt werden. Die herrschende Gesellschaft braucht auf Grund des technischen Niveaus das abstrakte Bewußsein in Form der Wissenschaft, speziell für die technischen Belange.

 

 

Diese Anforderungen verdeutlichen um so mehr die Begrenztheit des empirischen Bewußtseins. Empirisches Bewußtsein, welches sich als Wille zur Anhäufung von Macht und Gewinn kundtut, ist die Wahrnehmung von Wechselwirkungen in obersten Lebensbereichen, ohne Kenntnis um die Zusammenhänge darunter liegender Bereiche. Solche Entscheidungen lassen sich schnell herbeiführen und bergen in sich ein hohes Maß an Sprengkraft. Das Zusammentragen von Macht und Gewinn scheint Sicherheit zu geben. In Wirklichkeit ist es ein hochexplosives Gebilde, weil es nicht die darunter agierenden Kräfte berücksichtigt. Tatsächliches Resultat und Ziel des Vorhabens decken sich daher häufig nicht. Überraschend sind dann Prozesse, die innerhalb der empirischen Erfahrung liegen, aber keine Beachtung fanden und nun die positiven Wertungen einschränken und schmälern. Wir sehen den Grund darin, daß der Mensch die empirische Welt als etwas Geschlossenes versteht, das er ausreichend genau für seinen praktischen Zweck erkundet hat. Der Mensch bricht tiefer gehendes Denken ab. Er verpasst die richtige Determination von Erscheinungen. Im empirischen Bewußtsein existieren reale und irreale Erklärungen nebeneinander. Der Wille des Menschen scheint sie zusammenzuhalten. Doch es ist nicht der Wille des Menschen, der hier wirkt, sondern ein nicht erkanntes Gleichgewicht der natürlichen Kräfte. Die Korrektur verläuft selbst empirisch langsam.

 

 

Die Technik zwingt ihn komplexer heranzugehen und seine bisherigen Erklärungen anzuzweifeln. Auf diese Weise schleicht sich der Widerspruch zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften ein. (Der Begriff Geisteswissenschaft ist mit dem Begriff Gesellschaftswissenschaft nicht identisch) Das Herrschaftsprinzip steht selbst zum wissenschaftlichen Denken in Gegensatz. Der Herrschende wird Opfer seiner eigenen Ignoranz. Wird das Bewußtsein von der Welt durch das Empirische begrenzt, dann ist die Zugänglichkeit zur Welt sehr eng. Sie führt immer durch ein bekanntes Ritual, das den Erfolg absichern soll. Heute wissen die Herrschenden, daß die früheren Erfahrungen nicht unbedingt bindend sein dürfen. Sie müßten öfter überschritten werden. Doch das hätte zur Folge, daß die Herrschenden ihren Wirkungsraum drastisch einschränken. Sie stehen vor einem unlösbaren Problem. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Zukunft keinen Platz mehr für sie hat. Das abstrakte wissenschaftliche Bewußtsein kümmert sich nicht um das Interesse des Unternehmers. Die Menschen in der Herrschaftsgesellschaft erahnen, daß die wissenschaftliche Umordnung der Gesellschaft erst am Anfang steht. Ihre bisherigen Arbeitsgebiete wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr geben. Ist es richtig, daß die Arbeit weniger wird und trotzdem ausreichend bleibt? Was erwartet sie? Können sie dann ihre persönliche Welt noch zusammenhalten? Solche Fragen können zwar gegenwärtig noch nicht befriedigend beantwortet werden, aber sie regen die Neugier an.

 

 

Durch das ästhetische Bewußtsein erfolgt die emotionale Verarbeitung des empirischen und des abstrakten Bewußtseins. Beim ästhetischen Bewußtsein wird der substantielle Zusammenhang zu anderen Welten sinnlich erfahrbar. Es wird also weder das Abstrakte, noch das Empirische an und für sich dargestellt, sondern eine neue Empirie wird emotional nähergebracht. Kunst gibt Antwort und macht neugierig. Zu dem Zweck versetzt sich der Rezipient in das Kunstwerk. Das Empirische erscheint neu als Fakt, aber es ist nicht naturgemäß. Dafür eröffnet sich für den Menschen die Sinnlichkeit der ästhetischen Gestaltung, die das Unendliche für ihn erfahrbar macht.

 

Die Erfahrung der Unendlichkeit ist nicht natürlich, sondern gesellschaftlich bedingt. Sie wird massenhaft möglich auf Grundlage des III. technischen Typs. Die Auffassung, wonach die Unendlichkeit dem Menschen generell unmöglich sei, ist ab jetzt ins Dogmatische einzustufen und kann nicht mehr akzeptiert werden. War die Erfahrung der Unendlichkeit zunächst nur sporadisch, so bedeutet das, daß seine ästhetische Fähigkeit ihm nur ausnahmsweise zur Verfügung stand.

 

 

Das heißt aber auch, ohne allgemeine Bewußtmachung des Unendlichen kann er seinen natürlichen Zweck nicht erfüllen, die von ihm reproduzierte Welt mit dem Merkmal der Harmonie zu versehen. Die Individualität des Einzelnen erzeugt Impulse zur Erfahrung der Unendlichkeit der Welt. Zwischen dem Einzeln und der ganzen Welt außer ihm ist also kein toter Raum, sondern aktive Kommunikation zur Befähigung des natürlichen menschlichen Zwecks, weil sonst die Aneignung dieser Welt auf eine absolute Grenze stoßen würde. Das Unendliche ist ein Merkmal, das der Mensch unmöglich übergehen kann, ohne seine Individualität verkümmern zu lassen.

 

Der Mensch muss eine neue künstliche Sinnlichkeit schaffen, als Voraussetzung höherer individueller Produktivität. Der Weg zum höheren sinnlichen Bewußtsein ist die ästhetische Gestaltung. Diese ist nicht schmückendes Beiwerk, das beliebig ausgetauscht werden kann, sondern eine einzigartige Umweltleistung eines individuellen Subjekts.

 

 

Jede Steuerung hinterläßt Spuren, auch die von den Meßsystemen erfaßt und ausgewertet werden und die Effizienz des Individuums belegen. Angesichts der unbegrenzten Vielfalt menschlicher Individualität kann es jedoch keine konkreten verbindlichen Vorgaben geben. Im Kern bedeutet das, daß niemand dem Individuum Vorschriften machen darf, die diese zu befolgen hat. Wie sich die Herrschenden die Ausrichtung vorstellen, wäre diese freiheitstötend. Die Lösung liegt in der Anerkennung der allgemeinen freien Entfaltung von Mensch, Tier und Pflanze. Eine andere Steuerung wäre die Fortsetzung des Herrschaftsprinzips.

 

Die Steuerung der gesellschaftlichen Prozesse der automatisierten Technik zu überlassen, läuft am Ende darauf hinaus, die Steuerung der Börse zu überlassen, denn in der kapitalistischen Gesellschaft ist die Börse tatsächlich der sensibelste Messapparat der Gesellschaft. Das fordern jedenfalls die Herrschenden. Sie sagen, die Börse ist der Ort, wo die Informationen zusammenfließen und entsprechende Geldbewegungen auslösen. Daher sollen die Menschen weltweit dem kapitalistischen Steuerungsmechanismus der Börse vertrauen. Sie sei der Weg zur neuen Welt. Der Kampf gegen die Börse sei dagegen ein Kampf gegen die Überlegenheit des Kapitals. Der Mensch sollte aufhören, das Kapital unter Druck zu setzen, sondern sich ihm beugen und sich höchstens sozial abfedern. Das sei das neue Erlösungsbewußtsein für Ruhe und Ordnung. Und sogleich stoßen die Adepten des Kapitals ihre Kritiker auf den alten Feind Sozialdemokratie mit seinem illusionären Sozialdenken. Es sei klüger, eine Untertanenrolle im Kapitalismus zu spielen, da ist wenigstens etwas zum Verteilen da, als ständig Unmögliches zu fordern. Am Ende bliebe den Sozialutopisten ja auch nichts weiter übrig, denn niemand kann weit und breit eine Alternative ausmachen.

 

 

Diese Sicht bedeutet schließlich das Ende des Menschheit, denn immer wird im Bedarfsfalle der Mensch sich auf Kommando der Herrschenden, nun fest einprogrammiert in die automatischen Informationssysteme, einschränken müssen. Eine Übertragung der Wertesteuerung durch Automaten liefe auf den technisch begründeten Niedergang des Menschen hinaus.

 

Der Freisetzungseffekt ist z.Z. das größte Problem, das mit voller Wucht den Menschen auf die Füße fällt. Er trat zu allen Zeiten auf, nur nicht in dieser Kurzzeitigkeit wie heute. Anders wäre es nicht zu dem enormen Kulturfortschritt gekommen. Bevor neues menschliches Potential wie Wissenschaft, Bildung, Kunst, Militärwesen und Verwaltung eingerichtet werden konnten, mußte es von notwendiger Arbeit freigesetzt sein. Die Freisetzung war zwar nicht unmittelbares Ziel des technischen Fortschritts, ist aber unerläßliche Bedingung des Kulturfortschritts.

 

 

Die Politik muss sich endlich diesem Problem stellen, wenn nicht weiterhin der Zuwachs an menschlicher Schöpferkraft achtlos verschleudert werden soll. Die sozialdemokratische Erfindung von HARTZ IV zeigt, daß hier die SPD völlig daneben lag. Anstatt den Freisetzungseffekt als Grundbedingung des Kulturfortschritts und damit als wichtiges Indiz der gesellschaftlichen Erneuerung hervorzuheben, schuf die SPD ein Auffangbecken für freigewordene Arbeitskräfte, mit dem Auftrag, die Sozialgelder für sie zu kürzen und die Arbeitslosenstatistik zu bereinigen. Eine wirkliche Lösung dieser Aufgabe hättte einen anderen Weg einschlagen müssen: Übertragung der Aufgabe an den Sozialstaat, Schaffung von Rahmenbedingungen für die Erweiterung des subjektiven Volksvermögens auf Grundlage des Feisetzungseffektes, Vergrößerung der individuellen Freiheit der von diesen Prozessen unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer.

 

Technik war und ist ein Wunderwerk des Menschen, das seinen Willen trägt und damit den Werten ihrer Entstehungszeit gemäß in die Natur und Gesellschaft hineinwirkt. Hier liegt ihr wunder Punkt, dem der Mensch mit kritischer Reflexion abhelfen muss.

 

 

Das technische Niveau ist ein Gradmesser des Individualitätsniveaus. Es sind zwei unterschiedliche Prozesse, die in Korrelation zueinander verlaufen. Die Technik in der Arbeit ist eine streng genormte Tätigkeit, die vom Arbeitenden nicht verändert werden darf und insofern seiner Individualität keinen Spielraum läßt. Die Nutzung der Freizeit beruht dagegen nicht auf einem strenggenommenem, beliebig wiederholbaren Tätigkeitsablauf. Die Ergiebigkeit der technisch dominierten Arbeit entscheidet über die Ergiebigkeit dieses Falls von Arbeit und damit über die Größe seines Quantums in der Gesellschaft. Die Größe der beiden Tätigkeitsbereiche Arbeitszeit und Freizeit ist also nicht willkürlich festlegbar, sondern abhängig von der Produktivität des technisch dominierten Teils menschlicher Tätigkeit. Sie hat Auswirkungen auf die Verteilung in der Gesellschaft. Zu klären ist, ob die bisherige Handhabung, wonach nur die Arbeitszeit zur Bemessung der Verteilung herangezogen wird, oder ob für die Verteilung auch die Freizeit herangezogen werden soll, denn auch in der Freizeit werden dringend bestimmte Leistungen erbracht, wie Erziehung der Kinder, persönliche Bildung, Körperpflege und Soziahygiene, freiwillige politische Arbeit.

 

 

Es ist vom Standpunkt des einzelnen Bürgers verständlich, wenn einerseits gegenüber dem Freisetzungseffekt Unbehagen vorliegt, denn eine Lösung in der Herrschaftsgesellschaft wird immer mit gewissen Nachteilen für die betreffenden Bürger behaftet sein, siehe HARTZ IV, welche die Gratisleistung der Technik zum Vorteil der Unternehmer verteilt. Der alte Weg hat eben nichts anderes zu bieten als nachteilige Wirkungen für die Masse des Volkes bereit zu halten, nach dem Motto „Besser als gar nichts“.

 

 

Anders sieht es aus, wenn man sich vorstellt, der Ausweg soll in einer volkssouveränen Demokratie gefunden werden. Die Sicherung dieses Auswegs erzeugt Neugier wie weit man theoretisch begründete Auswege abstecken kann, sie experimentell prüft, sie betritt oder, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen, sie verwirft.

 

Eine vollständige Unabhängigkeit der Bürger von der Gesellschaft widerspricht dem Staatsverständnis. Nur ist eben das Maß der Unabhängigkeit festzulegen und dieses ist bei einem niedrigen Produktivitätsgrad kleiner. Ist die Produktivität größer, kann auch dem Einzelnen gegenüber mehr Freizügigkeit gewährt werden, die wieder zu größeren Produktivitätsimpulsen führt. Auf eine produktivitätsorientierte Nutzung der Freisetzung darf die Gesellschaft jedoch nicht verzichten, wenn der Sinn des Staates nicht verloren gehen soll.