Staatsreform

 

Johannes Hertrampf – 16.04.2018

 

 

Mit dem Eintritt in die Zivilisation gewann der Mensch an Überlegenheit gegenüber den Naturgewalten. Die natürlichen Zeitabläufe wurden bei genauer Beachtung physikalischer Gesetze den Arbeitsabläufen zugrunde gelegt. Zugleich wurde mit dem Staat eine neue gesellschaftliche Autorität geschaffen, die unmittelbar in den Alltag des Menschen eingriff und ihm eine neue Lebensweise aufzwang. Die Staatslenker nahmen den Staatsvölkern die Souveränität ab, um sie selbst auszuüben. Sie erzwangen diese Übergabe unter Einsatz physischer Gewalt und mit Hilfe eines geistigen Überbaus aus Kunst, Wissenschaft, Moral und Religion. Die Städte wurden kulturelle, wirtschaftliche und politische Zentren. Kurzum, ohne Staatsgründung keine Zivilisation.

 

So kann man feststellen, daß auf dem Fundament eines neuen Naturverhältnisses der Mensch sein bisheriges Dasein beendete und in ein völlig anderes eintrat.


Die Entmündigung des Volkes, der Verlust seiner Souveränität, war kein Akt der Ungerechtigkeit, sie mußte erfolgen, um eine höhere Gesellschaftsform einzurichten. Die Kritik kann aber seitdem einen Beitrag leisten zur Sensibilisierung der Umsetzung gesellschaftlicher Notwendigkeiten. Die Kritik richtet sich dann nicht gegen die Herrschaftsgesellschaft an sich, sondern gegen Rücksichtslosigkeit, Raffgier und mangelnde Verantwortung für die Gemeinschaft, gegen die Verletzung der Maßhaltigkeit.


Zu allen Zeiten reagierten die Herrschenden unterschiedlich auf die Kritik. Wenn sie den Untergebenen Freiräume zugestanden, demokratische Öffnungen in ihre Systeme installierten, wodurch die Kommunikation gefördert wurde, entsprach das der reformerischen Variante der Entwicklung, ohne Gewalt und Blutvergießen. Antworteten sie dagegen mit Repressionen, entstanden Konflikte, die zu Gewalt und Blutvergießen führten und nicht optimal gelöst wurden. Die Verantwortung für den vernünftigen Geschichtsverlauf liegt eben auf beiden Seiten, wobei den Herrschenden der größere Anteil zukommt, denn sie haben die größeren Möglichkeiten.


Wenn die alternative Opposition die Staatskritik obenan stellt, dann wegen Versäumnissen und falscher Regierungsentscheidungen. Aber die Kritik muß auch den Blick nach vorn richten, damit der Staat zum Instrument gesellschaftlicher Erneuerung wird. Die Kritik muß beides gleichzeitig verfolgen. Nach Meinung vieler Oppositioneller ist der Nationalstaat die erstrebenswerte Staatsform. Und um ihrer Forderung mehr Nachdruck zu verleihen, wird oft die Wiederherstellung des Nationalstaats gefordert. Diese Forderung wirft allerdings die Frage auf, welches geschichtliche Vorbild gemeint ist. Und da gehen die Meinungen auseinander. Sie reichen von monarchistischen Staatsformen bis hin zur BRD in den ersten Jahren der Nachkriegszeit. Eine Wiederherstellung zu fordern, bringt keinen Deut weiter.
Mehr noch. Da wir uns in der Krise der Zivilisation befinden und der Staat in der Zivilisation immer ein Herrschaftsstaat war, kann von einer Wiederherstellung überhaupt nicht die Rede sein. Wir müssen also die Antwort nach einem anderen Staat auf anderem Wege finden, indem wir uns den Hauptmerkmalen des künftigen Staates zuwenden. Diese sind u.E. der nationale Charakter, die Souveränitätswahrnehmung des Volkes und die allgemeine Ausrichtung des Staates.

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Der Staat ist zuständig für den Lebensraum eines Volkes. Er gibt Verhaltensregeln heraus und achtet auf deren Einhaltung. Er steckt die Grenzen ab und gibt sich einen Namen. Im Umgang mit anderen Staaten vertritt er die Meinung der Regierenden. Um sich dem Volk verständlich zu machen, verwendet er die Sprache und die geschichtliche Erinnerung des Volkes. Das rationalisiert die Kommunikation und schafft beim Bürger Vertrauen.

 

Die nationale Formung des Herrschaftsstaates, seine Verwendung von dem Volk bekannter Zeichen und akzeptierter Werte, schafft die Überzeugung, einer realen Schicksalsgemeinschaft anzugehören, die es zu erhalten gilt, wenn der Einzelne überleben will. In außergewöhnlichen Zeiten, wie Naturkatastrophen und Kriegen, erzeugt das Nationale eine hohe Bindekraft, ja, es rückt an die Spitze des gemeinschaftlichen Bewußtseins und löst einen synergetischen Kraftstrom aus, so daß schier Unmögliches vom Volk geleistet wird. Solche Ereignisse bleiben tief im Gedächtnis haften und bilden einen gemeinsamen geistigen Grundstock, über den nur diese Gemeinschaft verfügt.


Hölderlin´s Worte, „ Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“ sind kein Appell an imaginäre Mächte, sondern richtet sich an das Volk, in Zeiten höchster Gefahr sich auf Früheres zu besinnen und befreiende Taten zu vollbringen. Dieses Vertrauen in die Kraft des eigenen Volkes zu stärken, ist eine Grundaufgabe des Nationalstaates. Ihre Durchsetzung verlangt einerseits die Geschichte des Volkes und sein kulturelles Erbe im täglichen Volksleben wachzuhalten und andererseits das öffentliche Bekenntnis zum eigenen Volk als selbstverständliche Verhaltensnorm durchzusetzen. In beider Hinsicht wurden von den staatlichen Organen schwere Versäumnisse zugelassen, die dazu führten, daß es kein lebendiges Geschichtsbewußtsein mehr gibt und die Achtung vor dem eigenen Volk vielfach schon auf niedrigstes Niveau gesunken ist. Zwischen den zunehmenden Erscheinungen geistig-moralischer Verwahrlosung und dem seit vielen Jahren betriebenen nationalen Nihilismus besteht offenbar ein Zusammenhang. Die nationale Haltlosigkeit entwurzelt die Menschen. Und geraten sie dazu noch in persönliche Notsituationen, dann brechen alle Schranken weg.


Von den Bundestagsparteien tragen die Grünen, gefolgt von den Linken, die Hauptverantwortung für die aggressive, antinationale Geisteshaltung in Deutschland. Die grüne Idee war nur der Aufhänger, um sich als Oppositionspartei ins öffentliche Licht zu stellen. Der eigentliche politische Zweck war die Zertsörung des nationalen Fundaments. Es ist bezeichnend für die anderen Bundestagsparteien, daß sie dieses politische Motiv nie gebrandmarkt und zurückgewiesen haben.


Wer heute noch immer die nationale Ganzheitlichkeit mit dem Rechts-Links-Konflikt aufzuspalten versucht und sich dabei auf die national-sozialistische Diktatur beruft, der täuscht einen Beweggrund vor, um seinen wirklichen Zweck zu verschleiern – die Zerstörung der geistigen Grundlagen der Deutschen. Natürlich ist es zulässig, die deutsche Geschichte kritisch zu betrachten, aber es ist nicht zulässig, den Deutschen das Recht auf ihr Volksbewußtsein abzusprechen. Einem solchen Treiben hätte von den Bundestagsparteien frühzeitig der Riegel vorgeschoben werden müssen. Das durfte nicht hingenommen werden, denn es untergrub die Existenz des Volkes. Und mehr noch. Wenn aus dem europäischen Verbund ein tragendes Element herausgebrochen wird, entsteht Einsturzgefahr für das gesamte Gebilde.


Die deutsche nationalstaatliche Korrektur muß erfolgen, nicht zu dem Zweck, Europa unter deutsche Führung zu stellen, sondern ein gesundes deutsches Selbstbewußtsein zu schaffen als stabilisierendes Element der historisch gewachsenen europäischen Familie. Wer dem Nationalstaat mangelnde internationale Verantwortung vorwirft, der verkennt, daß jedes Subjekt durch seine konstruktive Beziehung zu anderen seine Freiheit erweitert. Das eigene Interesse zu verfolgen und dieses Recht jedem zuzugestehen, kann also nicht falsch sein.
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Die unmittelbare Anerkennung des Volkes als Souverän wird erst in der finalen Zivilisationskrise aktuell, in der sich das Volk zunehmend seiner Souveränität vermittels des Begriffs der Demokratie bewußt wird. Es wird über mehr Demokratie geredet, es steht aber etwas anderes im Raum. In dieser Situation von der Wiederherstellung der Demokratie zu sprechen, drückt eine ähnliche Hilflosigkeit aus, wie die Forderung nach Wiederherstellung des Nationalstaats, die auch daran scheitert, das historische Beispiel zu finden. Wenn der Souverän die Aufgabenbereiche des Staates festlegt, sollte genau bekannt sein, wer der Souverän ist. Hier gibt es zwischen praktischer Realität und theoretischer Definition eine anhaltende Ungewißheit.


Die Einführung des Begriffs Demokratie in den politischen Sprachgebrauch belegt, daß die Herrschenden den Druck des Volkes respektieren, ohne den eigenen Souveränitätsanspruch zur Disposition zu stellen. Der Begriff der Demokratie ist zwiespältig. Einerseits richtet er den Blick auf Volksherrschaft als letztendliche Umkehr des bislang funktionierenden Herrschaftsstaates einer Minderheit. Er täuscht Volksherrschaft vor, die es nie gegeben hat und nie geben kann. Andererseits macht er aufmerksam auf Handlungsräume für politische Aktivitäten des Volkes. Das Volk kann in der Demokratie als Herrschaftsform über die Parteienwahl einen gewissen Einfluß auf die Funktion des Herrschaftsstaates ausüben. Das betrifft vor allem die Wahl von Oppositionsparteien.


Jede Systempartei will im Auftrag der Herrschenden führen. Bei den Oppositionsparteien differenziert sich dieser Führungsanspruch bis hin zur Auffassung, inwieweit eine Führung des Volkes überhaupt mit der Volkssouveränität in Übereinstimmung steht. Der Hinweis, daß der Bürger bei der Wahl seine Souveränität ausübt, gibt ja noch nicht die Gewißheit, daß der gewählte Vertreter im Sinne des Bürgers entscheidet, zumal der Parlamentarier bei seinem Abstimmungsverhalten nur seinem Gewissen Folge leisten muß. Die Frage lautet also: Wie kann gesichert werden, daß dem Bürger Genüge getan wird? Eine konsequente Oppositions-partei wird darauf achten, daß ihre Parlamentarier ständig einen engen Kontakt zum Bürger haben, also nicht nur vor den Wahlen Initiative entwickeln. Für wen Bürgernähe ein Selbstverständnis ist, der wird den Bürger im Parlament nicht enttäuschen. Doch das reicht als Antwort auf die Gewährleistung der Volkssouveränität nicht aus, denn der gewählte Vertreter ist nun mal Vertreter und nicht mit dem Wähler identisch. Die wirkliche Lösung des Problems ist die Entscheidung durch den Bürger selbst. Die direkte Bürgereinflußnahme und Bürgerentscheidung ist das Hauptproblem der Weiterentwicklung der Demokratie, auf das sich die alternative Opposition konzentrieren sollte. Das allgemeine Prinzip lautet: Nicht Führung des Volkes, sondern Selbstverwaltung des Volkes. Diese Position wird noch oft übersehen, insofern die Opposition ihre Kritik auf die Regierungsarbeit konzentriert. Das Ziel der gesellschaftlichen Erneuerung gerät dabei aus den Augen. Die Opposition verliert ihren besonderen, alternativen Charakter. Um dem zu entgehen, sollte sie sich neben der gesetzgeberischen Arbeit im Parlament mit Nachdruck für die unmittelbare Selbstverwaltung einsetzen. Damit wird die Diskussion über das Verhältnis von parlamentarischer Demokratie und Volkssouveränität mit Leben erfüllt.


Es wird deutlich, daß in bezug auf die außerparlamentarische Aktion ein fundamentaler Unterschied zu den Altparteien vorliegt. Die Zustimmung zur außerparlamentarischen Aktion ist für eine echte Oppositionspartei eine Selbstverständlichkeit. Hier liegt das eigentliche Neuland der Einflußnahme des Volkes auf den Staat.

Die Altparteien verabscheuen dagegen die außerparlamentarische Aktion. Sie wollen uneingeschränkt über das Parlament führen.


Die konsequente Opposition darf also die bürgerliche Demokratie nicht einfach verwerfen, sie darf aber auch nicht in ihr aufgehen. Sie muß diese in ihrer Widersprüchlichkeit akzeptieren und praktizieren, als Einstieg in die Vorbereitung auf die reale Volkssouveränität. Sie muß sich des Begriffs bedienen, um zu reformieren, indem sie ihn gegen die verbrämte Herrschaft verwendet. Und das bedeutet zunächst eine Demokratie ohne Parteien, denn die Parteien sind der wichtigste Versatz, mit dem das Volk von der Souveränität ferngehalten wird. Die alternative Opposition verwirft die Demokratie nicht einfach, sondern sie weist nach, daß die Altparteien nicht in der Lage sind, volksganzheitlich zu denken und zu handeln wie der Begriff Partei schon nahelegt, sondern nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ verfahren, mit dem die nationale Idee ihrerseits nichts anfangen kann.
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Wenden wir uns nach dem Nationalen und der Souveränität dem dritten konstituierenden Staatsprinzip zu, dem übergreifenden Zweck, der die verschiedenen Normen zu einem ganzheitlichen Gebilde zusammenfügt. In der Zivilisation war das die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit. Immer ging es um dieses Ordnungsprinzip, welches sogar in die Natur projiziert wurde und damit den Herrschenden eine übermächtige Autorität verlieh: Herrschaft als Ordnungsprinzip der Natur – in Wirklichkeit eine Erfahrung der neuen Maschinentechnik, die zum Weltbild aufstieg.


Heute stehen wir vor einem ähnlichen Vorgang. Wieder ändert sich unser Weltbild und wieder liegt ihm eine materiell-technische Neuerung zugrunde. Diesmal ist es nicht die Erfahrung, unermeßliche Kräfte zu steuern, sondern die Steuerung selbst abzugeben, nach Koordinaten, die vom Menschen gesetzt werden. Der Begriff ist schon vorhanden, freie Individualität, aber er füllt sich jetzt mit realem Inhalt aus, für den bisher nur die Phantasie zur Verfügung stand. Denken wir nur an das Phänomen, daß wir der Möglichkeit nach jeden Menschen auf der Erde über jede Entfernung und Zeit hinweg erreichen können. Die Grenze des Machbaren ist nicht mehr konkret, sondern abstrakt, nämlich, daß die Endlichkeit des Menschen nur einen endlichen Zugang zur unendlichen Welt zuläßt. Aber selbst diese Einschränkung tut seiner Freude an der Entdeckung der Welt keinen Abbruch.


Die Freiheit des Volkes hat seinen Grund in der Freiheit jedes Einzelnen, sie kann nicht verordnet, sie muß erlebt werden. Dieser Gedanke ist eine Hauptorientierung der gesellschaftlichen Erneuerung und damit auch eine Maxime des staatlichen Umbaues: die Freiheit des Einzelnen zu sichern und zu erweitern. Es ist unsinnig zu sagen, das sei nicht Anliegen des Staates, sondern jedes Einzelnen selbst. Denn worauf der Staat zu achten hat, sind die Rahmenbedingungen für individuelles Verhalten aller. Sind diese ihm gleichgültig, beginnt seine Deformation. Menschliche Gesellschaft, die nicht aus der Individualität hervorgeht, ist eine Scheinwelt vom Reißbrett, die schließlich an der Zügellosigkeit des Individualismus zerbricht.


Der volkssouveräne Nationalstaat organisiert die Volksouveränität, nicht die Machtbegründung und Machtausübung, weder im Verhältnis der Menschen untereinander, noch im Verhältnis zur Natur. War bisher die Macht der Schlüssel für das Verständnis der Gesellschaft, so ist dieser Schlüssel künftig das freie Individuum, der Mensch, der in Gemeinschaft mit anderen seine besonderen Anlagen ausbildet und die Welt verändert. Die Souveränität des Volkes ist dann das gesamte agierende Schöpfertum des Volkes auf Grundlage der freien Individualität aller.


Gesellschaftliche Entwicklung verläuft nicht nach einem vorgefaßten Plan, sondern nach den Erfordernissen der fortschreitenden Individuation aller. Wenn dem so ist, dann ist die Führerschaft allgemein hinfällig. Auch die Opposition stellt keinen Tribunen mehr. Wer diese Absicht hat, der bestätigt, wie sehr er noch den alten Ansichten folgt. Die Souveränität des Volkes löst also die politische Führung als Organisation von Menschenmassen ab. Der Unterschied des national-demokratischen Herrschaftsstaates zum volkssouveränen Nationalstaat liegt im Ersatz der Führung durch die Selbstorganisation des Volkes mit Hilfe des Staates.
Die im Grundgesetz festgeschriebene volkssouveräne Trägerschaft und die jedem zugesicherte Menschenwürde sind ein guter Einstieg in die Aufhellung des derzeitigen Schwebezustands der gesellschaftlichen Ausrichtung.

 

Wohin gehst du, Deutschland? Die seinerzeitige Hartz-IV-Regelung und die Eigenmächtigkeit der Bundeskanzlerin in Grundsatzentscheidungen, Bankenrettung, Flüchtlingswelle, Priorität der EU vor deutschem Interesse, haben im Volk Verunsicherung und Zorn ausgelöst. Die Regierung hat Deutschland zurückgeworfen. Anstatt sich um Volkssouveränität, Individuation und technisch-automatischer Innovation in Wirtschaft und Alltag zu kümmern, hat sie die Volkskräfte mit herrschaftlichen Hirngespinsten irregeführt, aufgerieben und verpulvert.


Allen Widerständen zum Trotz ist das Volk nach den geistigen Kämpfen der letzten Jahre zu einem spürbaren politischen Gegengewicht geworden. Die Zeit ist vorbei, da sich die Regierung einfach über dasVolk hinwegsetzen konnte. Die wöchentlichen Meinungsumfragen sind nicht belanglos. Die Politiker wollen wissen, was das Volk denkt und wie weit es mitgeht. Diese Respektierung des Volkswillens ging vor allem von der außerparlamentarischen Oppostion aus, erfaßte den Bundestagswahlkampf und drang nach der starken Wählerzustimmung für die AfD in die Parlamente. Die außerparlamentarische Opposition ist der Hauptweg des Bewußtseinswandels in Deutschland. Bei ihr ist der Bürger nicht Zuschauer, sondern aktiver Gestalter des Umdenkens. Der Bürger hat das Beben ausgelöst, nicht die parlamentarische Kritik. Er hat den Politikern ein Stück ihrer Macht entzogen und realistisches Denken gefordert. Im Mittelpunkt der Opposition steht der Bürger. Und je nach seinen Erfahrungen erteilt er sein Vertrauen.


Die Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses in Deutschland ist nicht nur ein Ergebnis der deutschen Opposition, sondern auch ein Ergebnis des veränderten internationalen Kräfteverhältnisses. Schon seit Jahren hat Merkel den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit von Deutschland nach Brüssel verlagert. Angesichts der Auflösungserscheinungen in der EU wird das politische Unvermögen von Merkel für jeden sichtbar. Sie genießt in Europa und in der Welt keine Autorität mehr. Für die Deutschen ist das ein weiterer Grund, sich von ihr zu trennen.
Bei allen Beziehungen, die der Bürger eingeht, läßt er sich vor allem von seinem persönlichen Interesse leiten. Daher mutet es seltsam an, wenn jetzt aus den Regierungsparteien zu hören ist, man wolle vor allem die in den ländlichen Regionen bei der Bundstagswahl verloren gegangenen Wähler zurückholen. Die Grokoisten sind Traumtänzer. Sie bilden sich ein, die Bürger warten darauf, daß jemand ihnen erklärt, in welch famoser Demokratie sie leben. Die Grokoisten übersehen, daß die Bürger nicht auf Grund propagandistischer Überlegungen urteilten, sondern auf Grund von Mängeln im Alltag, wie fehlende Einkaufsmöglichkeiten, mangelnde medizinische Versorgung, stillgelegter Personennahverkehr, Schönfärberei in der Flüchtlingspolitik. Sie wollen praktische Veränderungen und nicht Propaganda. Das, was die Bürger fordern, ein funktionierender Alltag, ist nur der Anfang einer zunehmenden individuellen Bedürfnisbefriedigung. Der kritische Geist übt den Aufstand gegen zurückgebliebene Verhältnisse. Von den materiellen Alltagsproblemen weitet er sich aus auf die sozialen, ethischen und ästhetischen Normen. Wer heute das Schulsystem kritisiert, der wird sich morgen zur ästhetischen Umweltgestaltung zu Wort melden.


Im Trend liegt der Wechsel von der erzwungenen zu freien Individuation. Das Individuum will die Fremdbestimmung abschütteln. Seien wir realistisch, die freie Individuation läßt sich nicht von heute auf morgen durchsetzen. Aber sie wird noch gar nicht als Notwendigkeit wahrgenommen. Dabei ist sie eine gesellschaftliche Aufgabe von einer Tragweite, die wir gegenwärtig noch gar nicht überblicken. Der Druck wird jedoch größer, den Abstand zwischen dem, was einer tut und dem, wozu er besonders geeignet ist, kleiner zu machen. Die technische „Allmacht“ arbeitet im Verborgenen unablässig daran. Stellt sich die Gesellschaft darauf nicht ein, wird spontaner Individualismus an allen Ecken zündeln und lodern.

 

 

Johannes Hertrampf – 16.04.2018