Spaltung ohne Perspektive

 

 

Dr. Johannes Hertrampf – Der Sinn einer Spaltung ist eine neue Sinngebung. So sieht es jedenfalls der wohlmeinende Durchschnittsbürger, wenn er hört, die GroKo wird sich auflösen und das deutsche Staatskonstrukt ins Wanken bringen. Doch das haben die tonangebenden Oppositionellen nicht vor. Vielmehr geht es ihnen um die Erhaltung des Systems, um die Frage: was als Nächstes machbar ist und was nicht. Wie weit kann man gehen, um ein Funktionsmuster zu schaffen, das die frühere Bewegungsfreiheit wiederherstellt? Der bisherige Weg soll fortgesetzt werden, mit oder ohne GroKo.

 

 

Die GroKo ist zu einem unsicheren Mittel der Politik geworden, insofern die SPD aus Überlebensgründen sich phantastischen linkssozialen Positionen öffnet. Diese sind nicht realistisch, weil sie auf keiner realistischen Analyse beruhen, sondern einfach den Zweck verfolgen, mit sozialer Schaumschlägerei die fehlende politische Gestaltungskraft zu verbergen. Doch damit ist die SPD nicht zu retten. Verläßliche soziale Sicherheit muss auf politischem Realismus beruhen, sonst ist sie Wunschdenken. Merz und Seehofer haben, obwohl ihre Ziele nicht der historischen Notwendigkeit entsprechen, jeder für sich mehr Gewicht als Scholz, Borjans und Esken zusammengenommen. Warum zögert die SPD also, den Schritt über die rote Linie zu setzen? Weil sie dieser Aufgabe nicht gewachsen ist. Sie hat ausgedient.

 

 

Der Widerspruch gegen die Linie von Merkel war von Konservativen in der CDU zu hören, nicht von Linken in der SPD und der Linkspartei. Die Erneuerung Deutschlands verlangt jedoch einen grundlegenden Umbau, der nicht über die Kritik einer Person zu erreichen ist. Das Gegrummel der Konservativen hinter den Kulissen reicht nicht aus, wie ebenso aus der markigen Verpackung von Zustimmungen noch keine eigene Strategie wird, sondern nur die fatale Hilflosigkeit linker Opposition sichtbar wird. Aus diesem Grunde weichen sie den öffentlichen Diskussionen von politischen Kernforderungen aus und enden in rhetorischen Schlammschlachten. Sie betreiben den Verfall der parlamentarischen Volksvertretung. Neulich wurde sogar berichtet, daß der Bundestag in seinem Gehechel nach Bürgernähe den Abschuß eines gefährlichen Wolfes erleichtert habe. – Wem und was soll der Bürger aus diesem Konglomerat glauben? Den Konservativen mit ihren scheuen Verschwörungsgedanken, die beim ersten Luftzug umfallen oder den Linken mit ihren vagen Sozialversprechungen?

 

 

Selbst die sich alternativ gebende Opposition AfD wird nebulös, wenn sie kurz und bündig sagen soll, was nach dem politischen Chaos von A. Merkel zum Schwerpunkt deutscher Politik erhoben werden soll. Eine Festung Europa ist von rechts oder links reaktionäres Hirngespinst. „t-online.de“ vom 21.12.2019 zufolge fordert der CSU-Spitzenpolitiker M. Söder, Mitglied der GroKo, daß Deutschland wieder eine stärkere Führungsrolle in Europa einnehmen solle. Er vergaß nur zu sagen, welcher Zeitabschnitt dafür in Frage kommt. Die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im Juli 2020 durch Deutschland würde dazu genügend Gelegenheit bieten, besonders das Verhältnis zu Frankreich müsse wieder auf Augenhöhe gestellt werden. Verständlich, ein solches abenteuerliches Denken bereitet vielen Deutschen Sorge, denn es weckt böse Erinnerungen wach, anstatt Aussichten auf einen freien, demokratischen Kontinent zu eröffnen. Die Bürger wägen ab und sind hin- und hergerissen. Alle Politiker haben angeblich etwas Wichtiges zu sagen, um ihren Nimbus zu pflegen, aber keiner verfügt über die erforderliche Überzeugungskraft, die sich auf die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts beruft. Hinzu kommt die Ungewißheit, die von den Veränderungen im internationalen Geschehen ausgehen. Keine der weltpolitischen Führungsmächte und finanzpolitischen Geldzentren wird tatenlos einem deutschen Rückfall zusehen. Sie werden Deutschland nicht aufgeben, sie werden es weiter in ihrem Interesse benutzen wollen. Aber sie werden nicht verhindern können, daß es sich ihrem überholten Machtgebaren in dem Maße entzieht, wie es als Interessenverfechter der weltweit erwachenden Volkskräfte auftritt.

 

Die Überlebenskraft eines Volkes ist nicht unbegrenzt. Um dieses Schicksal zu vermeiden, muss es einen Beitrag zum Weltgeschehen leisten, nicht, indem es sich einer Weltmacht anhängt oder sich als Gegenpol zu dieser aufspielt. Deutschland muss entspannend wirken, es muss dem Krieg in allen Formen absagen und auf die Durchsetzung demokratischer Grundsätze in den internationalen Beziehungen achten. Es darf nicht zu neuen Abgrenzungen aufrufen, sondern sollte sich für die Auflösung historisch überholter Bündnisse stark machen. Das wäre ein Ausdruck besonderer Verantwortung aus den Vorgängen im Zwanzigsten Jahrhundert. Die globale Demokratisierung verträgt keine EU- und Nato-Drohungen. Quo vadis, Deutschland? Handeln ist angesagt, aber wie und mit welchem Ziel? Quo vadis, Deutsches Volk? Wenn du in aller Öffentlichkeit deine Selbstbestimmung findest, nutzt du allen und brauchst vor deiner Zukunft keine Angst zu haben.

 

Besteht in Deutschland die Gefahr der Spaltung in zwei feindliche Blöcke, in ein liberal-demokratisches und in ein sich an vergangene Zeiten anlehnendes national-diktatorisches Lager? Steuern wir auf eine Diktatur zu, rechts oder links? Diese Frage kann derzeitig weder eindeutig bejaht noch verneint werden. Sie sollte nicht zur Begründung eines Alleinvertretungsanspuchs auf eigene Rechtmäßigkeit benutzt werden. Die Ansätze sind jedoch da, wenn man die offenen Verstöße, von welcher Seite auch immer, gegen demokratische Grundsätze in Betracht zieht, im Bundestag, in den Medien. Es gibt linke und rechte Demokratiebrüche. Es werden zu viele Verstöße einfach hingenommen bzw. mit guten Absichten entschuldigt, die bei näherem Hinsehen eben nicht gut sind. Die Hetze gegen die Demokratie findet bei der Mehrheit der Bürger keine Unterstützung. Sie spüren, ein solcher Geist ist nicht Wegbereiter der nationalen und globalen demokratischen Erneuerung, um so mehr sind sie befremdet über die Duldung antidemokratischen Verhaltens durch Parteien und Justiz.

 

 

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist kein Freifahrtsschein zur Vorbereitung einer Diktatur, ob rechts oder links ausgerichtet. Die Polemik gegen linken und rechten Extremismus bedeutet nicht, daß ihr ein gefestigtes demokratisches Fundament zugrunde liegt. Daher ist es falsch, solche Stimmen a priori von der demokratischen Kritik auszuschließen, da eine solche „gutgemeinte“ Kritik erheblichen geistigen Schaden anrichten kann. Ein trauriges Beispiel ist in dieser Hinsicht die AfD. A. Gauland, trat auf dem jüngsten Parteitag nicht nur aus dem führenden Kopf der Partei zurück, sondern er erklärte auch, daß die AfD ihren Hauptzweck bisher darin gesehen hat, der CDU zu helfen, ihr früheres Profil zurückzugewinnen. Er hätte dieser Partei, deren Mitglied er viele Jahre gewesen sei, viel zu verdanken, unter anderem eine gut dotierte Altersvorsorge. Diese politische Bankrotterklärung bestätigt die Auffassung, daß die entscheidende Schwäche der AfD im fehlenden Bewußtsein der Notwendigkeit einer deutschen gesellschaftlichen Erneuerung besteht. Eine Wiedergeburt der früheren CDU ist nicht möglich. Ein Bekenntnis zur Fortsetzung der westlichen Wertegemeinschft, eine Erklärung zur Erhaltung der CDU-Führungsrolle, die maßgeblich den westdeutschen Vasallenstaat zu verantworten hat, sind retrospektive Ansichten, die eine alternative Bekundung ausschließen.

 

 

Die AfD ist keine demokratische Partei, die Deutschland auf den Weg der gesellschaftlichen Erneuerung bringen kann. Mit ihren falschen Hoffnungen verunsichert sie die Bürger und führt sich früher oder später selbst zum Eingeständnis ihres geschichtlichen Versagens. Der Bürger hat jedoch ein Recht darauf, sich in vollem Umfang über die politischen Vorgänge zu informieren, denn es ist sein Leben, über das die Politik entscheidet. Demokratische Kritik konzentriert sich wesentlich auf das Werden eines Problems, indem sie sich nicht mit der faktischen Existenz und deren Deutung zufrieden gibt, sondern hinter der faktischen Struktur nach den Motiven fragt. Die faktischen Stützen an sich erklären noch nicht den Zusammenhalt. Der Kapitalismus erklärt noch nicht die Zivilisation, aber ohne Erklärung dieser kann man dem Kapitalismus nicht beikommen. Der Kapitalismus stützt sich auf die Zivilisationssysteme. Die ganze linke Kritik ist zu schmal und damit als ideologischer Vorlauf der Erneuerung ungeeignet.

 

 

Schon seit dem Ende des Ersten Weltkrieges hat das deutsche Denken seine Selbständigkeit verloren. Es beugte sich äußeren Erwartungen und übernahm Erklärungen und Deutungen, die nicht eigenes Resultat waren. Es verlor seine Originalität. Das, was nach dem Zweiten Weltkrieg zur gültigen Norm wurde, fand seine Vorbereitung schon nach dem Ersten Weltkrieg – der Verzicht auf das Recht nationaler Eigeninterpretation. Das deutsche Denken wurde auf Anpassung orientiert und damit auf Verzicht schöpferischer Teilnahme an Wahrheitsfindung. Der „amerikanische way of life“ wurde zum Sinnbild einer modernen geistigen Haltung und einem erfolgreichen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt. In dem Wettstreit der beiden Hauptsiegermächte des Ersten Weltkrieges spielten die USA die Hauptrolle. Sie waren gut vorbereitet auf den Kampf um die Weltmacht. Die Sowjetunion als staatspolitisches Zentrum der kommunistischen Weltbewegung verfügte nicht nur nicht über die geistigen und materiellen Potenzen der USA, sondern mußte erhebliche Kräfte auf die Abwehr des inneren antikommunistischen Widerstandes richten. Die „Pax Americana“ und die „Pax Sovietica“ verfolgten zwar unter ihrem Stern beide weltherrschaftliche Absichten, waren aber für dieses Vorhaben ungleich ausgestattet.

 

 

Das, was damals nach dem Ersten Weltkrieg als Erklärung der jüngsten Geschichte diente, war nicht geeignet, den praktischen Verlauf der Geschichte auf eine überzeugende Selbstbestimmung zu richten. Diese Art der Selbstbestimmung war nicht Mittel zum Neuanfang, sondern Mittel zur Verhüllung der fortschreitenden Entmündigung der Völker. Diese wurde von den Siegermächten nicht wirklich gesucht, sondern behauptet und diese Behauptung wurde dann als unantastbar hingestellt. An dem Bild der USA als friedensstiftende Weltmacht wird seitdem, unbeirrt allen Gegenteils, gearbeitet, doch ohne Erfolg. Das Bild der USA als friedensstiftende Weltmacht ist Schema geblieben. Seine Befürworter merken, Theorie und Praxis stimmen nicht überein. Trotzdem halten sie an ihm fest, denn es ist der Strohhalm, der sie retten soll. Die alte Deutung ist nicht eingetroffen. Eine neue gibt es nicht. Das ist das Dilemma der heutigen Welt.

 

 

In den Augen der amerikanischen Weltführer sind die deutschen Wortführer starrsinnig und störrisch, als könnten sie damit den finalen Schicksalsschlag vermeiden. Über die Einhaltung der politischen Rollen wacht die Kanzlerin. Ihre Entscheidung ist ihr Vorrecht, woduch das Parlament stark beschnitten ist. Ihre Worte sind richtungsweisend, auch wenn sie dem Geist der Demokratie widersprechen.

 

 

Folgenschwerer Widerstand gegen die EU kam nur aus den kleinen EU-Mitgliedsländern und neuerdings von Trump, dem Führer eines unzufriedenen Flügels amerikanischer Politik, der nach neuen Wegen sucht und dabei auf massiven Widerstand der eigenen Starrköpfe stößt, die sich im Umfeld der Clintons sammeln. Die Kritik an Trump hat ganz andere Gründe als die von seinen Gegnern öffentlich verkündeten.

 

 

Die heutige alternative Politikkritik stellt nicht das System der USA in Frage, sondern seine Symptome, seine Handhabung, sowohl nationalstaatlich als auch weltpolitisch.

 

 

Trump und sein Mitstreiter sind noch keine Erneuerer. Bestenfalls wollen sie eine Neuaufteilung der Welt, um aus der Defensive herauszukommen. einen neuen status quo. Sie wollen andere Wege der Machtpolitik, die weniger kräftezehrend sind. Das ist nicht verwunderlich, denn die Opposition ist aus dem System hervorgegangen. Sie steht auf ihren Fundamenten.

 

 

Die deutschen politischen Führer nutzen schon seit Obama nicht die Gestaltungsmöglichkeiten, sondern hängen den amerikanischen Hardlinern am Schürzenzipfel. Der Vasall, der nur die alten Lieder wiederholt und sich in Treueschwüren ergeht, ist zum Bremsklotz geworden, den am Ende keiner haben will. Diese deutschen Kleingeister spielen weiter auf den Notenblättern des Kalten Krieges und hoffen auf ein Wunder. Sie wollen eine Abspaltung ohne neue Perspektive. Sie ist keine Abspaltung, ihr angepeiltes System ist nicht neu.

 

Sie täuscht vor. Jenseits des Maßes ist der Zweck eine Fremdartigkeit, außerhalb der Harmonie, der endlosen Verbindung aller Verschiedenheit. Die Höhe der Kultur bemißt sich eben nicht in unbegrenzter Überdehnung, die im Widerspruch zu Natur steht.

 

 

Bei aller Unzufriedenheit: Die Kritik hat sich auch in Deutschland entwickelt, sie steht noch nicht auf der Höhe der Zeit. Der Gegenstand der Negation ist die gesamte menschliche Evolution und nicht die letzte Phase der Zivilisation. Womit kommt die Erneuerung zustande? Nicht durch die maßgeblichen Führer des alten Systems. Wer die Erneuerung mit einer Partei anstrebt, der hat den Mißerfolg vorprogrammiert.

 

 

Eine sachliche Betrachtung ergibt: alle Parteien haben versagt. Besonders gilt dies für das Zwanzigste Jahrhundert. Am Ende lösten die Parteien ihre Versprechungen nicht ein. Doch immer wieder folgten die Völker den Flötenspielern mit ihren Versprechungen. Bis heute denken diese darüber nach, wie sie über die Menschen verfügen können, um das Ende der Zivilisation zu verhindern. Anstatt die Mechanismen der Herrschaftsgesellschaft abzubauen und Formen der Volkssouveränität einzuführen, den Bürgerwillen durchzusetzen, durch objektbestimmte Bürgerinitiativen, durch das Genossenschaftswesen und die Hebung der Autorität der regionalen Organe.

 

 

07.01.2020