Gesetz über den Parteien oder Parteien über dem Gesetz?

 

 

Von Dr. Johannes Hertrampf – Nach zwei Jahren großer Koalition mit der SPD will die CDU mit Hilfe von Werkstattgesprächen Licht in ihre von der Mehrheit der Deutschen abgelehnte Politik bringen. Es soll Bilanz gezogen werden über die große Koalition mit der SPD und zugleich will sie ihren Anspruch als führende Volkspartei in Deutschland rechtfertigen. Sie will die Alleingänge ihrer ehemaligen Vorsitzenden, A. Merkel, nicht aus der Welt schaffen, sondern rechtfertigen, nach der Maxime: Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Die jetzige Vorsitzende A. Kramp-Karrenbauer betonte mehrfach, die Werkstattgespräche sollten kein Tribunal sein, sondern die Handlungen ihrer Vorgängerin aus den Umständen heraus erklären, mit denen sie größere humanitäre Tragödien an den Grenzen verhindert hat. Derartige Handlungszwänge dürften sich in dieser Weise nicht wiederholen. Im Klartext: Über die Aushebelung des demokratischen Rechtsstaates durch die Bundeskanzlerin sollte nicht gesprochen werden. Ansonsten unterliegt alles der geltenden Parteilinie, dem unverhandelbaren Vorrecht auf Recht.

 

Die Parteiführung will keine Aufarbeitung. Damit hat die neue Vorsitzende gleich zu Beginn ihrer Amtszeit ihr Einverständnis mit dem aktuellen Demokratiebegriff offenbart, demzufolge Staat und Partei der demokratischen Kontrolle entzogen sind. Anstatt der ehemaligen Vorsitzenden die Schranken der Demokratie aufzuzeigen und ihr die Eröffnung eines Ausschlußverfahrens mitzuteilen, stellte sie sich schützend vor A. Merkel und bewies damit, daß sie unfähig ist, die Partei aus der großen Talsohle herauszuführen.

 

In einem demokratischen Rechtsstaat darf es keinen Winkel geben, in dem politische Geheimbündler, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, ihre privaten Ansichten als verbindliche Richtlinien erklären. Der Bürger hat das Recht, sich auf jeder Ebene in die Politik einzumischen, da die Politiker das Recht beanspruchen, über Zeit, Geld und Leben des Bürgers zu verfügen. Es kann nicht hingenommen werden, Parteiveranstaltungen zwecks Irreführung der Öffentlichkeit durchzuführen, wie das Werkstattgespräche nach vorgegebenem Muster wären. Die Verlautbarungen der Medien zum Thema Werkstattgespräche machten deutlich, daß seitens der CDU-Führung eine kritisch-schöpferische Diskussion über den gegenwärtigen geistigen Zustand in Deutschland nicht erwünscht ist. Daß diese Diskussion so schwer in Gang kommt, hat etwas mit dem System Merkel zu tun, der ideologischen Gleichschaltung eines großen Netzes von Verantwortungsträgern in Parteien und Staat, die als Nutznießer von Vorteilen und Organisatoren von Seilschaften über einen beträchtlichen politischen Einfluß verfügen.

 

Die CDU hat mit ihrer Toleranz des Merkelschen Führungsstils den Einstieg in eine politische Reinigung verpaßt und braucht ihren Kritikern nicht Respektlosigkeit vorzuwerfen. Noch beharrt sie auf dem Führungsanspruch in Deutschland. Von allen Altparteien im Bundestag geht von ihr jedoch der tiefste Widerwille gegen eine freimütige Zustandsanalyse in Deutschland aus. Nicht Deutschland, sondern Europa gilt ihre größte Sorge. Obwohl nicht mehr Parteivorsitzende bestimmt Merkels Geltungsdrang die Handlungsrichtung der CDU zum Schaden Deutschlands. Obwohl sie über keinerlei Legitimation verfügt, sieht sie sich berufen, an der Spitze der EU zu stehen, was nach ihrer Sicht die Spitze Europas ist. A. Merkel hat mit dieser selbstverschriebenen Verantwortung für Europa Deutschland in eine politische Sackgasse geführt, die zum wirtschaftlichen und nationalkulturellen Niedergang führt.

 

Um ihr Handeln zu rechtfertigen, umgibt sie sich mit einem europäischen Nimbus, den sie als geltendes „Non plus ultra“ vertritt. Damit entbindet sie sich von ihrer grundgesetzlichen Verpflichtung, sich uneingeschränkt für das Wohl des deutschen Volkes einzusetzen. Mit dieser Absage an das deutsche Volk verläßt sie das demokratische Fundament unser grundgesetzlichen Ordnung. Sie erwartet von den Mitgliedern ihrer Partei, ihrem Weg zu folgen. Und nicht nur das. Sie erwartet von den Verantwortlichen der anderen EU-Staaten, es ihr gleich zu tun. Der Widerstand, der sich in der EU gegen Deutschland entwickelt, ist eine Folge falscher Merkelscher Politik. Wer eine anerkannte europäische Politik betreiben will, der muss das auf dem Boden eines unerschütterlichen Vertrauensverhältnisses zu seinem Volk tun.

 

Die CDU hat ihren nationalen Sinn längst abgelegt.

 

Hieraus folgt das wachsende Mißtrauen der anderen Völker Europas gegenüber Deutschland.

 

·                                 Sie lehnen eine Führung Europas mit Deutschland an der Spitze ab.

 

·                                 Sie wollen nicht von äußeren Mächten regiert werden.

 

·                                 Sie wollen nicht fremdem Druck ausgeliefert sein.

 

Das Mißtrauen der anderen Völker gegenüber einer deutschen Führung ist berechtigt, nicht wegen einer deutschen Führung, sondern wegen einer Führung überhaupt. Wenn Frau Merkel sich keine andere Welt als eine geführte Welt vorstellen kann, so ist das ihr Problem.

 

Es hat sich längst herausgestellt, daß die internationalen Organisationen das nationale Schöpfertum einschränken. Die Globalisierung mit ihren verschiedenen Institutionen hat auf der ganzen Bandbreite versagt.  

 

Die  kritische Lage in Deutschland, dem Kernland der EU, läßt sich nicht mehr schön reden. Aber die Kritik darf sich nicht auf eine Kritik des Schönredens beschränken. Sie muss grundsätzlich sein. Seit den desaströsen Ergebnissen für die etablierten Parteien bei der letzten Bundestagswahl wird deutlich, daß ein politischer Wechsel bevorsteht. Typisch für eine politische Endphase ist, daß ihre Köpfe nicht mehr das Gespräch mit den Bürgern suchen.

 

Ihre Öffentlichkeit sind nicht Bürgerversammlungen, sondern die Sitzungen des Bundestages und der Ausschüsse, die Diskussionsrunden im Fernsehen und ähnliches mehr. Keine der etablierten Parteien, also von CDU/CSU bis zur Linken, erfüllt die Hoffnungen des Wahlvolks, sondern bildet sich ein, dieses müsse ihnen huldigen, denn sie tragen die Last der Politik. Die Auffassung, daß das Volk unfähig sei, die „Hohe Politik“ zu verstehen und zu bewerten, geht sang- und klanglos unter und ist beim heutigen Bildungsstand des Volkes gleich doppelt falsche Ideologie. 

 

Der Bürger empfindet die immerlachenden Gesichter als Hohn. Geben sie ein wirkliches Bild seiner Lebensverhältnisse? Ist seine Unzufriedenheit begründet oder schädliches Wunschdenken? Wer spielt im Lande die erste Geige? Solche Fragen sind nicht unzulässig. Für solche Fragen braucht er sich nicht entschuldigen, denn die Personen, an die er sich wendet, sind seine Beauftragten. Seine Fragen sind nicht unruhestiftend, sie schaffen nicht Unruhe, sondern beugen der chaotischen Unruhe vor. Seine Schwäche liegt vielmehr darin, daß er die Hoffnung nicht aufgibt, die Politiker müßten doch eines Tages eine grundlegende Politikwende zugunsten des Volkes einleiten. Das war die Absicht, der überwiegenden Mehrheit der Wähler. Die Parteien wurden bestraft, doch der alte Kurs wird beibehalten, man möchte fast meinen, als wäre nichts geschehen. Also nichts da, das Pulver ist verschossen. Die vollmundigen Erklärungen über die überquellenden Steuereinnahmen wurden zurückgezogen und durch die Parole „die fetten Jahre sind vorbei“ ersetzt. Sparen ist angesagt. Was steht den Menschen bevor? Glaubte so mancher Deutsche  bisher, daß ein Denkzettel für CDU und SPD Wunder bewirken würde, so sehen diese Wähler sich jetzt in ihren Hoffnungen getäuscht. Und das Schmerzhafte daran ist, der Grund liegt in ihnen selbst. Der Bürger muss lernen, kritischer als bisher mit sich selbst umzugehen.

 

 

Es stellt sich heraus, dieses Motiv war wieder ein Fehlschlag. Mit dem Warten auf die Einsicht der Politiker vertieft man die Abhängigkeit von ihnen, verzichtet man auf eigenständiges Handeln. Und so geht ein Jahr nach dem anderen vorbei. Aber der Fatalismus hat noch einen anderen Grund. So mancher ist müde geworden nach all den Enttäuschungen. Er will keinen Konflikt. Er möchte eine gütliche Lösung. Vom demokratischen Standpunkt aus betrachtet, begründet das den unbedingt friedlichen Willen zur politischen Auseinandersetzung. Es ist schwieriger, eine verständliche Sprache zu sprechen, in einem Staat, friedliche Lösung zu finden, als zur Gewalt zu greifen. Gewaltsame Lösungen sind verpaßte Gelegenheiten. Die alten Weichenstellungen der Politik werden beibehalten. Aus der Enttäuschung über die Politik erwächst damit die Enttäuschung der Wähler über sich selbst, über die eigene Blauäugigkeit, von den Regierenden etwas anderes erwartet zu haben.

 

 

Das kritische Verhältnis des Wählers zu den Parteien ist in den meisten Fällen emotional begründet, wobei die Mehrzahl die Parteien überschätzt. Auf die Frage “Wer soll im Lande für Politik zuständig sein“ kommt Achselzucken. Die Parteien  halten das politische Geschäft fest in den Händen. Die Parteien stellen sich dar als politische Elite des Landes, die die politische Ordnung sicherstellen. Das Auftreten des Politikers in der Öffentlichkeit flößt Respekt ein, zumal der Bürger die Erfahrung machen mußte, daß Politik auch ohne ihn funktioniert. Sein Appell an die Vernunft, seine Petitionen und Warnungen blieben ohne Wirkungen. Der Bürger appellierte immer wieder an die Vernunft, schrieb Petitionen und warnte vor Fehlentscheidungen, doch es änderte sich nichts. Aber das Volk gibt nicht generell auf. Ein neues Selbstbewußtsein breitet sich aus. Die Volkssouveränität, niedergeschrieben im Grundgesetz, soll zur täglich ge- und erlebten Demokratie werden. Das Volk ist weiter als die Parteien, die ihnen dieses Recht streitig machen. Die Parteien unterschätzen die Notwendigkeit, die das Volk mit seinem Ruf nach mehr Demokratie verkündet. Die neue Volkssouveränität ist das praktische Maß der Freiheit.

 

 

Noch immer wird von vielen Bürgern die Meinung vertreten, der Wahlzettel ist das einzig legitime Mittel, das verknöcherte  Machtgefüge zu Fall bringen. Der Bürger hat ja die Möglichkeit, er muss sie nur gebrauchen, „Wahltag ist Zahltag“. Sofort meldet sich der Nachbar zu Wort,

 

·                                 „Wenn Wahlen etwas verändern könnten, wären sie längst verboten“,

 

·                                 „Wer zur Wahl geht, der hilft den Regierenden.“

 

Und tatsächlich, vor jeder Wahl appellieren die Parteien an das Wahlvolk, unbedingt vom Wahlrecht Gebrauch zu machen, zu beweisen, daß die Demokratie lebt. Der kritische Bürger, der solche Diskussionen verfolgt, gerät ins Zweifeln. Er möchte das Wahre tun, aber er ist sich nicht sicher, ob er die Wahrheit weiß.  

 

 

Die Demokratie ist keine Erfindung der Neuzeit. Seit Beginn der Herrschaftsgesellschaft waren die Machthaber bestrebt, ihre Vorrechte durch Zustimmung der Beherrschten zu legitimieren, nicht aus einem Gerechtigkeitsgefühl heraus, sondern sie wollten ganz einfach fester im Sattel sitzen. So wurde die Demokratie eine Herrschaftsform und es entstand der Mythos der Volksherrschaft. Mythos deshalb, weil die Frage unbeantwortet bleibt, über wen soll das Volk herrschen? Insofern ist der Begriff Demokratie eine Utopie, der einen rationalen Kern enthalt, da die Herrschaftsgesellschaft zur Stabilisierung ihrer Macht, sich auf Kräfte orientiert, die den Herrschenden untertan sind. Von einer Volksherrschaft kann aber deshalb nicht gesprochen werden. Sie geben nicht Macht an die Beherrschten ab und stehen dem Volk auch nicht näher.  Solche Überlegungen bringen uns der Wahrheit nicht näher.

 

 

Zwischen den Verbrechen der Demokraten und denen der Republikaner in den USA gibt es keinen Unterschied. Und folglich trifft es nicht zu, daß die Demokraten eine sozialere Einstellung haben als Republikaner. Das würde bedeuten, das Etikett, welches die Politiker gern  nach außen hin zeigen, für bare Münze zu nehmen. Die deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte noch manche Überraschungen bereithalten, die das „C“ der beiden Unionsparteien ins Zwielicht rücken.

 

 

Betrachtet man die zweite Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts, läßt sich ein starkes Verlangen der Völker bei der Gestaltung der politischen Verhältnisse feststellen. Beispielhaft waren hier die Volksbewegungen in den Ländern des früheren sozialistischen Machtblocks. Die Forderung nach freien demokratischen Wahlen stand dabei im Mittelpunkt. Über Jahrzehnte hatte sich ein großes Unbehagen angestaut, das sich durch das hohe Bildungsniveau ständig vergrößerte und nun mit unwiderstehlicher Wucht die staatlichen Grundfesten zusammenbrechen ließ. Die Forderung nach freien Wahlen, ergänzt durch die Forderungen  nach Redefreiheit, Reisefreiheit und schnelle Erhöhung des materiellen Konsums wurden zur Klammer der organisierten und der spontanen Opposition.

 

 

Politische Freiheit und Erhöhung des Wohlstands bilden für den Bürger eine Einheit. Diese Feststellung ist von großer Aktualität, insofern sie zwei maßgebliche Kriterien der gesellschaftlichen Erneuerung sind.

 

Demokratische Lebensverhältnisse werden von ihm komplex bewertet, zu ihnen gehören mehr politische Freiheit und hoher Lebensstandard für alle.

 

 

Mehr Demokratie muss mehr Wirkung zeigen bei der Erhöhung der Lebensqualität. Welchen anderen Sinn soll denn die volkssouveräne Demokratie haben? Letztlich geht es um neue Lebensinhalte, die dem Menschen sonst verschlossen bleiben. Die volkssouveräne Demokratie ist die gesellschaftliche Vorbedingung für einen höheren Lebensinhalt, so daß sich ab dieser Stufe ein neues Naturverhältnis herausbilden kann, der einzigartige natürliche Sinn des Menschen. Das, was der Bürger spontan ausspricht, wenn er auf den Zusammenhang von Demokratie und Lebensqualität verweist, ist ein endloses Wechselspiel in seinem Leben, mit dem er sich tiefer in das Geflecht der Naturgesetze einarbeitet und sogar neue Existenzformen hervorbringt. Er kopiert nicht nur die Natur, sondern schafft neue Existenzformen, tritt damit in die zweite Schöpfung ein. Der an dieser Stelle mitunter gemachte Hinweis, es gibt kein unbegrenztes materielles Wachstum, lenkt ab von der qualitativen Seite der Lebensqualität.

 

 

Zur Zeit gibt es keine bessere Grundlage für die gesellschaftliche Erneuerung als das Grundgesetz. Läßt  dieses eine gesellschaftliche Wandlung zu? Die Siegermächte waren an einer irreversiblen Ausrichtung deutscher Politik auf Frieden und Demokratie interessiert. Sie haben dabei ihre eigenen Erfahrungen und Interessen eingebracht. Daraus eine Ablehnung des Grundgesetzes abzuleiten, wäre falsch, denn damit würde der progressive Inhalt des Grundgesetzes ignoriert werden. Als das Grundgesetz geschrieben wurde, stand Deutschland noch am Pranger der Geschichte. Ist es nicht an der Zeit zu fragen, hat das Grundgesetz seinen historischen Auftrag erfüllt? Auf Grund der Geschehnisse des Zwanzigsten Jahrhunderts haben die anderen Völker ein Recht auf eine freimütige und ehrliche Beurteilung der deutschen Nachkriegsentwicklung, die schließlich zu einem Friedensvertrag führen sollte. Die Antwort auf diese Frage muss vor allem von den Kräften kommen, die als Hauptsiegermächte an der Verfassung des Grundgesetzes beteiligt waren.

 

 

Deutschland steht vor einem nationalen Wendepunkt, der durch die Politik der deutschen Regierung stark ins Zwielicht gerät. Die Kritik der politischen Opposition in Deutschland sollte beachten, daß diese nationale Wende Deutschlands eng mit einem weltgeschichtlichen Umbruch verknüpft ist, zu dem Deutschland seinen Beitrag leisten muss.

 

Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Völker sich immer mehr bei der Problembestimmung und Problemlösung in den Vordergrund schieben und dabei Tacheles reden. Das ist ein Ausdruck für die gewachsene Leistungsbereitschaft der Völker und ihr neues Demokratieverständnis. Das gilt auch für Deutschland.

 

Die Wahrheit des neuen Weges wird von den Völkern gefunden, nicht von Politikern, die ihre Völker an die kurze Leine nehmen. In den Völkern liegt der Wissens- und Erfahrungsschatz, der jetzt gebraucht wird. Gut beraten sind also die Regierungen, die sich für die freie Volksdiskussion entscheiden.      

 

 

Johannes Hertrampf – 04.03.2019