Kernfaul

 

Die Parteivorsitzende der CDU und Bundskanzlerin hat sich schon manche Entgleisung geleistet. Aber mit der jüngsten über die Südländer der EU setzte sie allen vorangegangenen die Krone auf. Solche Ausrutscher sind nicht verbale Fehltritte schlechthin, sondern sagen auch etwas aus über die geistige Verfassung der betreffenden Person.

 

 

Der Euro-Rettungschirm stößt bei den Bürgern zunehmend auf Ablehnung. Das ist eine verständliche Reaktion, weil es unzumutbar ist, daß damit die Schludrigkeit einer Regierung zugunsten der Banken untern Tisch gekehrt wird. Von einer mangelnden Bereitschaft zur Solidariät mit den Griechen kann keine Rede sein. Dieser sich ausbreitende Unmut hat natürlich etwas zu tun mit der steigenden Inflationsrate in Deutschland. „Griechenland ist überall“. Vor einem Jahr noch hatte diese  Aussage keine praktische Beweiskraft. Aber seitdem geht es mit den Lebenshaltungskosten empfindlich nach oben. Die Benzinpreise sind zum Dauerärgernis geworden. Dadurch gerät die Bundesregierung in die Klemme, da sie nicht von ihrem EU-Kurs abrückt. Es ist unverständlich, wie die Bundeskanzlerin auf die zunehmenden Sorgen und Ängste der Bürger reagiert: sie schürt Vorbehalte gegen die südländischen Völker. „Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der ganz wenig.“ In den Medien reagierten sie umgehend auf diese kindische Äußerung. Die Anzahl der Urlaubstage liegt bei den Griechen nämlich durchschnittlich sogar noch unter denen der Deutschen. Ebenso ist die Mehrwertsteuer in Griechenland höher und das Durchschnittseinkommen liegt niedriger als in Deutschland. Es gibt keine Indizien für einen höheren Lebensstandard der Griechen. Die Gründe für die Finanzprobleme Deutschlands bei den griechischen Bürgern zu suchen, ist ein geistiger Kurzschluß. Wenn die Griechen sich schon seit Monaten mit Streiks und Demonstrationen gegen den Sozialabbau der Regierung wehren, dann nicht aus Faulheit oder Spaß am Protest.

 

 

Die Bundesregierung hat Angst, daß sich auch in Deutschland ein offener Protest entwickelt. Das Potential ist da, aber noch blocken die Gewerkschaften und die Linken den Widerstand ab. Die Grünen mobilisieren ihn ebenfalls nicht, weil sie als neoliberale Globalisierungspartei die Verschuldung mittragen. Und der Widerstand von Rechts hat keine Basis bei den Bürgern. Die NPD ist stigmatisiert und findet in der Öffentlichkeit keinen Widerhall. Dennoch ist sich die Regierung im klaren darüber, daß sich sehr schnell eine Protestwelle entwickeln kann, spontan zunächst und ohne klare gemeinsame Führung, aber dennoch gefährlich genug, die Regierung ins Wanken zu bringen. Um dem vorzubeugen, macht also die Bundeskanzlerin Stimmung gegen die streikenden Südländer. Sie knüpft damit an einer Ideologie an, die man von deutschen Politikern in dieser unverhüllten Weise nicht mehr erwartet hätte. Solcherart Großspurigkeit vermutete man höchstens noch in der Dunstwolke über Biertischen. Aber daß sie sogar noch von der Regierung verbreitet wird, überrascht schon. Aus Angst vor dem Machtverlust verliert man offensichtlich die Selbstkontrolle. Das sind keine „antieuropäischen Ressentiments“, wie SPD-Chef Gabriel meint oder „Marktplatzsprüche“, wie Grünen-Özdemir meint, das ist einfach übler Chauvinismus, Volksverhetzung, der dem Ansehen Deutschlands in der Welt schwer schadet und zwischen den Völkern Europas Zwietracht sät. Dadurch werden alte Vorwürfe wiederbelebt.   

 

Die deutschen Demokraten distanzieren sich entschieden von einer solchen Äußerung. Sie solidarisieren sich mit den Griechen, den Spaniern und Portugiesen, wenn diese sich gegen den sozialen Raubbau wehren. Sie finden es entwürdigend, wenn EU-Bürokraten der griechischen Regierung die Finanzgeschäfte aus den Händen nehmen.

 

Für sie ist die Forderung von Euro-Gruppen-Chef J.-C. Juncker empörend, wenn er Griechenland zu einem EU-Protektorat machen will, indem er eine EU-Treuhand fordert, nach dem Vorbild der westdeutschen Treuhand über die ostdeutsche Industrie. Schon regt sich Begierde nach griechischen Filetstücken.

 

 

Die Verantwortlichen in der EU haben jedes Augenmaß verloren. Sie wiegen sich in Sicherheit, daß sie die europäischen Völker fest in der Hand haben und mit ihnen machen können, was sie wollen. Sie befinden sich in einem tieferen Irrtum als die seinerzeit Verantwortlichen in den sozialistischen Länden, die in der letzten Phase in Resignation verfielen. Der tiefere Irrtum liegt darin, daß die heutigen EU-Führer, trotz des Fiaskos mit dem Sozialismus, einen eigenen Niedergang völlig ausschließen.         

 

 

Die Frage, die sich heute viele Menschen stellen, lautet: Steuert Deutschland auf eine gewalttätige Konfrontation hin? Auch in Deutschland werden sich die Bürger gegen die großspurige Willkür zur Wehr setzen. Der Deutsche Michel ist zwar langmütig, aber nicht lebensmüde. Irgendwann platzt auch ihm der Kragen. So findet man es jedenfalls in der Geschichte. Die Regierenden vertrauen heute zu sehr ihren Trickkünsten. Sie setzen zu sehr auf Korruption und Zwietracht als politische Mittel. Wenn heute die Gewerkschaftsführer nicht zum Protest aufrufen, z.B. gegen das Lohndumping aus Osteuropa, werden sich morgen Leute finden, die das tun. Jede Zeit hat die Männer und Frauen hervorgebracht, die benötigt wurden, um Massen zu bewegen. Insofern geht die Rechnung der Regierenden nicht auf. Doch wie werden sie sich verhalten, wenn es zu offenen Protesten kommt?

 

 

USA-Präsident B. Obama hat vor kurzem eine Rede gehalten, in der er sich auf die Seite der nordafrikanischen Demokratiebewegung gestellt hat. Er hat diesen Völkern das Recht zugesprochen, sich eine demokratische Ordnung nach ihren Ansprüchen zu schaffen. Dieses Bekenntnis zur nationalen Befreiung ist uns ein wichtiges Zeichen dafür, daß sich die USA-Regierung auch gegenüber einer friedlich-demokratischen Erneuerungsbewegung in Deutschland wohlgesonnen verhalten würden. Alle Welt sieht, daß die EU nicht mehr zu retten ist. Alle Welt sieht, daß die Führer der EU, allen voran die deutsche Bundeskanzlerin, mit größter Verbohrtheit und gegen den Willen der Völker an der EU festhalten und bereit sind, die Völker diesem Moloch zu opfern. Das ist ein Fall von Fehlverhalten  der Politik, das unvermeidlich einer nachfolgenden Korrektur bedarf, nach der sich gegenwärtig ausbreitenden Erosion höchstwahrscheinlich wieder als Implosion.  

 

 

Hier scheint ein kleiner Rückblick angebracht zu sein. In der DDR war es üblich, unangenehme Fragen damit abzuwimmeln, daß der „Große Bruder“ dieses oder jenes eben nicht zulassen würde und einem daher die Hände gebunden wären. Daß diese Argumentation lange Zeit berechtigt war, kann nicht in Abrede gestellt werden. Verbot es sich nicht nach den Erfahrungen in den fünfziger Jahren, sich mit dem „Großen Bruder“ anzulegen? Dieses Argument eignete sich gut, etwas abzulehnen. Hinter diesem „Zwang der Tatsachen“ ließ sich bequem verbergen, was man gar nicht anders wollte. Doch die Glaubwürdigkeit solcherart Begründung änderte sich mit dem Machtantritt Gorbatschows, mit seiner Forderung nach Glasnostj und Perestroika. Im Unterschied zur harten Linie Breshnews ließ Gorbatschow die Befreiungsprozesse in den Satellitenländern ausgären, sehr zum Ärger auch der ehemaligen DDR-Führung. Als dann das System ins Wanken geriet, hielt sich der „Große Bruder“ zurück, seine Soldaten  blieben in den Kasernen. Damit kam es zu einem Wandel, den die Welt so nicht für möglich gehalten hatte. Gorbatschow tolerierte ausdrücklich die Wende und hatte damit den entscheidenden Beitrag zum friedlichen Übergang geleistet.    

 

 

Es gibt keinen Grund zur Befürchtung, daß B.Obama nicht eine vergleichbare Rolle zum damaligen Verhalten Gorbatschows spielen könnte. Von seiner Grundhaltung her ist Obama eher ein Demokrat, der das Selbstbestimmungsrecht der Völker respektiert, im Unterschied zu seinem Vorgänger  Bush. An dieser Einschätzung halten wir fest, auch wenn für manche Entscheidung Obamas eine gegenteilige Ansicht naheliegend ist. Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus hat sich die Welt tiefgreifend verändert. Es haben sich neue Wirtschaftsräume gebildet und die USA haben ihre Hegemonie in der Welt verloren, trotz ihrer noch vorhandenen wirtschaftlichen und militärischen Stärke. Diese Tatsache nimmt auch Obama zur Kenntnis. Seine „change“-Einstellung läuft auf diesen Rollenwechsel hinaus. Man kann ihn nicht aufhalten oder alte Zustände wieder herstellen, wie es manchen Konservativen in den UA vorschwebt. Auch um Europa  wird diese Veränderung keinen Bogen  machen. Es muß sich neu positionieren und seine Vasallenrolle ablegen.

 

Obama hat den  Balanceakt zwischen geschichtlichem Fortschritt und einer fortschrittsfeindlichen amerikanischen Führungsschicht eingeschlagen. Und er wird in seiner vorsichtigen Art auch Veränderungen in Europa tolerieren. Im Vergleich zu ihm ist Merkel ohne historisches Gespür.

 

Deutschland kommt bei diesem Wandel eine große Bedeutung zu, nicht bloß passiv, sondern vor allem aktiv. Es ist die wirtschaftlich stärkste Macht in Europa und es liegt im Zentrum Europas. Diese beiden objektiven Sachverhalte sind Realitäten, denen es in seinem Auftreten Rechnung tragen muß. Es wäre völlig falsch, diese zu ignorieren und sich beim Wandel ängstlich zurückzuhalten oder sich gar gegen ihn zu stemmen. Der Wandel muß kommen und Deutschland muß im Bunde mit allen anderen europäischen Völkern an diesem teilnehmen. Wir müssen also eine öffentliche Bereitschaft schaffen, eine neugierige Aufgeschlossenheit gegenüber der Zukunft. Und wir, gemeint sind jetzt alle EU-Völker, müssen uns einig sein, daß wir nur gemeinsam erfolgreich sein können, jedes Volk in seinem nationalen Rahmen, aber mit einer gleichen Ausrichtung. Es wäre kontraproduktiv, würden sich die Völker voneinander isolieren. Die europäische Gemeinschaft ist keine Gruppe von Egoisten und die Erfahrungen breiten sich in Windeseile über die Landesgrenzen aus. Also muß man diesen Umstand als einen Handlungsfaktor von vornherein nutzen. Nur so, wie Europa als EU angedacht war, geht es nicht. Die EU ist eine Fortsetzung nicht mehr zeitgemäßen imperialen Denkens. Also muß ein neues Gefüge geschaffen werden, immer mit direkter Teilnahme und Zustimmung der Völker. Ungarn steht auch heute an der Spitze. 

 

 

Die Auflösung der EU ist die Voraussetzung für einen europäischen Neubeginn. Das ist eine Einsicht, der sich auch eine Obama-Regierung nicht verschließen kann. Wenn die USA ihre bisherige Hegemonie verlieren, dann schließt das ein, die von ihnen geschaffenen  Bündnissysteme und wirtschaftlich-politischen Protektionen aufzulösen. Man muß sie nur geordnet auflösen und sollte nicht einen chaotischen Crash riskieren.   

 

 

Das politische Konzept Obamas und das der EU-Führung, im speziellen der deutschen Politik, sind nicht deckungsgleich. Die Bundesregierung versteht das amerikanische Anliegen nicht und orientiert sich an überholten Leitsätzen. Das Denken der Bush-Adminstration war ihr vertraut, Obama ist ihr ein Rätsel. Eine gewisse Ähnlichkeit wird deutlich, wenn man das Verhältnis zwischen Gorbatschow und Honecker betrachtet. Letzterer glaubte an seine Überzeugung und begriff die Unvermeidlichkeit einer anderen Wirklichkeit nicht. Er wollte diese nicht und geriet dadurch in die völlige Isolation. An einem gleichen Starrsinn leidet die Bundeskanzlerin, vielleicht nicht aus Überzeugung, sondern aus Pflichtgefühl.        

      

 

Es gibt keinen Zwang, die Prozesse zu überstürzen. Die Menschen in Hektik zu versetzen, ist auch einen Form, sie zu manipulieren. Es gibt keinen internationalen Konkurrenzkampf, der uns zwingt, aus Europa eine Festung zu machen. Es gibt keine wirtschaftliche und keine politische Bedrohung durch aufsteigende Völker, keinen Terrorismus, dem wir den Krieg erklären müßten. Das sind alles Wahnvorstellungen gestriger Politik, die uns nur irreführen, damit wir sie weiter ertragen.

 

Kein Volk ist Vorbild. Auch die Völker, die heute noch auf einem niedrigerem wirtschaftlichen Niveau stehen, haben eine lange Vorgeschichte, aus der noch wertvolle Schätze gehoben werden müssen, weil sie die Weltgemeinschaft bereichern. Unser Vorsprung ist zeitweilig, wir dürfen ihn  nicht verteidigen. Das wäre eine Ungerechtigkeit, diesmal mit voller Absicht begangen, nicht in  spontaner Handlung. Es ist eine geschichtliche Verpflichtung der westlichen Industriestaaten, daß sie den weniger entwickelten helfen und vor allem ihnen die Freiheit lassen, ihren Weg zu gehen. Ihr erfolgreicher Weg ist keine Herausforderung, sondern ein Zeichen dafür, daß die Menschheit einen neuen Abschnitt ihrer Entwicklung betritt, die Freiheit an Boden gewonnen hat.

 

 

                                                                                                   J. Hertrampf 23.05.2011