Kaufkraft und Erneuerung

 

Die Medien meldeten, dass der Tauschwert des Euro um 20% gesunken ist. Das ist die folgerichtige Konsequenz der inflationären Geldpoltik der EU, die im Handumdrehen zu einem völligen Verfall des Euro und zum Zusammenbruch der EU führen kann. Damit würde dann in Europa eine Umverteilung einsetzen, die selbst die Wirkungen der beiden Weltkriege in den Schatten stellen würde.

Die Verschuldung des Staates bereitet den Menschen Sorgen. Etwas braut sich zusammen, vor dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Nachdem die Politiker lange Zeit das Schuldenproblem übergangen haben, häufen sich in jüngster Zeit die Prophezeiungen, dass schwere Zeiten auf die Bürger zukommen. Sie sagen das ohne jedes Schuldbekenntnis. Die Bürger sollen Angst haben vor der Zukunft und den Politikern vertrauen, dass sie die Dinge schon irgendwie deichseln werden. Doch genau das funktioniert nicht mehr. Weit über 80 % der Deutschen haben kein Vertrauen mehr zur Regierung.

 

 

Was verbirgt sich hinter den Drohungen?
Das Problem mit dem Schuldenberg sind die Zinsen, die vom Staat jährlich aufgebracht werden müssen. Die Folge sind Steuererhöhungen und Streichung von gesellschaftlichen Leistungen. Die Zinsen sind der Betrag, um den jährlich die Kaufkraft der Bevölkerung geschmälert wird, indem zum einen die Bürger mehr Steuern abliefern müssen, die direkt von ihren Einkommen abgezogen werden und zum anderen, indem die Realwirtschaft ihre höheren Steuern auf die Preise umlegt und damit die Bürger belastet. Die Bürger werden also vom Staat in zweifacher Hinsicht geschröpft.  Preiserhöhungen wirken in Richtung der Inflation. Einkommenssenkungen wirken in Richtung der Deflation. In beiden Fällen kommt es zur Verarmung. Es ist eine Fahrt zwischen Scylla und Charybdis. Auf beiden Seiten lauert das Verderben.

 

In der BRD sind es heute nicht die Zinszahlungen allein, die den Bürger belasten, sondern es ist auch der aufgeblähte Staatshaushalt infolge eines übertriebenen föderalistischen Staatsaufbaus. Ebenso wirken die Vasallenleistungen, die für die USA erbracht werden müssen, wozu die Nato zählt. Und schliesslich sind die Zahlungen an die EU zu nennen. Dieser vierfache Geldabfluss ist ein ständiger Verlust für das Land und eine Bedingung des Machterhalts der herrschenden Oligarchie. 

 


Dadurch liegt die reale Kaufkraft der Bevölkerung weit unter der Menge der hergestellten Güter und Leistungen. 

 

Die Kaufkraft ist die Gesamtheit der Dinge und Leistungen, die der Bürger in einer bestimmten Zeit erwerben kann. Mit Hilfe des Warenkorbes lassen sich in zeitlicher und in räumlicher Hinsicht Vergleiche herstellen, um den aktuellen Stellenwert zu bestimmen. Kaufkraft ist allerdings nicht nur ein Ausdruck für die Menge an Gütern  und Leistungen, die für eine bestimmte Geldmenge erworben werden können, sondern hat auch einen kulturellen Inhalt, insofern gefragt wird, welche Güter und Leistungen gekauft werden. Das ist die Frage nach der kulturellen Effektivität der mit einer bestimmten Geldmenge erworbenen Güter und Leistungen. Die Bedürfnisse des täglichen Lebens hängen vom Kulturniveau ab. Konsum ist immer auch Wertebildung im Konsumenten, die von der Struktur des Konsums abhängt. Wir sprechen hier vom Konsum als Leistungsbedingung oder von produktiver Konsumtion, die zur erweiterten Reproduktion führt. 

 

Zwischen der Kaufkraft und der Leistungskraft eines Landes besteht eine Wechselwirkung, die   von der Politik und den Volkswirten viel zu wenig beachtet wird. Der Grund dafür ist: Es besteht kein Interesse an diesem Zusammenhang, denn er ist nicht Zweck der Politik. Solange die Politik   nicht vom Souverän dirigiert wird, solange verfolgt sie auch nicht den Zweck, die Gesellschaft zu entwickeln. Für den kapitalistischen Unternehmer - und noch mehr gilt das für den Finanzkapitalisten, der gleichsam über der Wirklichkeit schwebt - ist die kulturelle Wirkung höchstens insofern interessant, als hier ein Marktsegment besteht. Der kulturelle Effekt an sich interessiert ihn nicht. Dieses Desinteresse kommt darin zum Ausdruck, dass kulturelle Zwecke ausserhalb des Ziels des Produktionszweckes liegen. Von einer bewusssten Einflussnahme auf die kulturelle Entwicklung kann nicht die Rede sein. Gesellschaftliche Entwicklung vollzieht sich durch das Profit-Interesse des Produzenten und damit spontan.  

Für die bürgerlichen Ökonomen liegt die kulturelle Dimension der Kaufkraft ausserhalb ihres Gesichtsfeldes. Sie pendeln zwischen Kaufkraft und Werbeaufwand und Kaufkraft und Warenabsatz hin und her, mit dem Ziel, den Profit des eingesetzten Kapitals zu vergrössern. Die Feiertage werden nach dem Warenumsatz bewertet, der ihnen vorausgeht. Der Kommerz triumphiert. 
           
Natürlich kann der Staat, um politische Absichten zu verwirklichen, die Kaufkraft absenken, so durch Nivellierung in der EU infolge von Transferzahlungen der produktiveren an die weniger produktiven Länder. Er nimmt dabei den kulturellen Verlust, der mit einer Konsumsenkung einhergeht in Kauf. Ebenso die Unternehmerverbände, die auf Senkung der Lohnkosten drängen und dabei auf das niedrigere Lohnniveau in anderen Ländern verweisen. Dass sie damit das erreichte Kulturniveau im eigenen Lande aufs Spiel setzen, ist ihnen nicht bewusst.  

 

Die Übertragung betriebwirtschaftlichen Denkens auf die volkswirtschaftliche Ebene ist insofern problematisch, als auf beiden Ebenen unterschiedliche Zielorientierungen wirken. Das übersehen die Vertreter der Wirtschaft, wenn sie in die gesellschaftlichen Abläufe hineinreden. Leider ist die Politik so unselbständig, dass sie solche „Hinweise“ kritiklos übernimmt und sich später dann die Vorwürfe der Wirtschaft anhören muss, wenn beispielsweise die Schulabgänger nicht über die Voraussetzungen für eine anspruchsvolle Lehrausbildung verfügen. Das Lohnniveau ist eben nicht bloß eine Kostengrösse, mit der man einfach die Herstellung verbilligen kann. Die Forderung nach Mindestlöhnen hat eine kulturerhaltende Bedeutung. 

 

Das kulturelle Niveau, das einer bestimmten Kaufkraft entspricht und eine differenzierte Struktur aufweist, ist ein grosser Schatz eines Volkes, der durch unbedachte Politik schnell zerstört werden kann. Umgekehrt ist die Schaffung eines solchen Kulturzustandes ein langwieriger Vorgang, der keineswegs durch schnelle finanzielle Aufstockung erreicht werden kann. Die geistige Beschaffenheit der Gesellschaft entwickelt sich über Jahrhunderte hinweg. Die geistigen Werte sind eine Realität wie die materiellen Dinge und Leistungen, ja, sie geben diesen erst ihren Sinn. Die Bedeutung eines materiellen Konstrukts oder Dinges liegt in seiner gesellschaftlichen Funktion begründet. Nichts, was in der Gesellschaft wirkt, bringt von sich aus einen festen Eigenwert in diese ein. Selbst der Wert des Goldes ist gesellschaftlich und nicht natürlich bedingt.

 

 

Das Sinnen und Trachten der heutigen Politiker ist fernab von tieferen Überlegungen und lediglich auf den augenblicklichen Erfolg ausgerichtet. Daher spielt das theatralische Moment und die Effekthascherei eine so grosse Rolle in der Politik. Sie interessiert nicht die Wahrheit von Begründungen, sondern die öffentliche Resonanz. Die Politiker fassen Beschlüsse, deren negative Wirkungen erst zutage treten, wenn sie nicht mehr Verantwortung tragen. Höchstens bei Geldgeschäften denken sie in zeitlichen Dimensionen, weil die Banken ihnen im Nacken sitzen. Aber die kulturellen Zerstörungen bleiben unbeachtet und werden mit keinem Wort erwähnt. Solche Politiker - und andere werden von den Banken nicht gebraucht - haben einen verantwortungslosen Umgang mit den ihnen zugewiesenen Ämtern. 

 

 

Wenn man das kulturelle Niveau der Bevölkerung senkt, was unvermeidlich ist, wenn die Kaufkraft sinkt, dann sinken Voraussetzungen für das gesamte Schöpfertum. Die ökonomistische Betrachtungsweise deckt keine Korrelationen auf, zwischen der Kaufkraft und der gesellschaftlichen Kultur. Sie interessiert sich nur für das abstrakte Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, wie es in Geldmengen ausgedrückt wird. Die neue Betrachtungsweise darf sich hierauf nicht beschränken, sondern sie muss die Struktur dieses Gleichgewichts in den Mittelpunkt stellen, sie muss fragen, wie die Erhöhung der Kaufkraft zur Individualitätsentwicklung beiträgt. Und der Kern dieser Frage ist die Differenziertheit des Angebots und der Nachfrage. Es ist also ein Unterschied, ob die Bürger mit einer bestimmten Geldmenge gleiche Produkte oder unterschiedliche Produkte kaufen. Der schon erwähnte Warenkorb nivelliert die Menschen über den abstrakten Geldwert. Wie differenziert ist die Nachfrage und wie differenziert ist das Angebot?

 

 

Der neue technische Typ, die moderne Automatisierungs- und Kommunikationstechnik, ermöglicht eine Differenziertheit im Konsum, die sich an der Individualität ausrichtet. Nur muss diese Möglichkeit auch genutzt werden, sonst werden die neuen Potentiale gar nicht wirksam. Die Uniformität ist für die Herrschaftsgesellschaft typisch. Doch unter heutigen Bedingungen bedeutet sie mehr denn je Unterdrückung und erzeugt damit eine gefährliche soziale Sprengkraft. Die uniformierten Individuen werden nämlich die Uniformen ablegen, sobald die Zwänge sich lockern. Das Tragen einer Uniform übt heute keinen Anreiz mehr aus. 

 

Das bisherige Gewinnstreben allein reicht weder für die Produktion, noch für die Konsumtion aus, denn es führt auf den Weg des am leichtesten zu realisierenden Gewinns. Damit ist der Gewinn als Leistungsausdruck nicht hinfällig, er muss nur neu definiert werden. Der Gewinn muss Ausdruck der inneren Differenzierung der Kaufkraft sein, er muss die kulturelle Effizienz der Konsumtion widerspiegeln und damit die Einwirkung des Unternehmens auf die Gesellschaft. Dieser Zusammenhang muss hergestellt werden, ohne die Freiheit des Individuums einzuschränken oder anders ausgedrückt: dieser Zusammenhang muss sich durch die Freiheit des Individuums realisieren. Der Anspruch muss vom Individuum ausgehen.

 

 

Praktisch muss zuerst das Volumen an Kaufkraft in der Gesellschaft gesichert werden, d.h., das nachfragende Geld muss mit der sich anbietenden Preismenge übereinstimmen. Aber als nächstes muss die Aufgabe formuliert werden, wonach jeder einzelne sich sein individuelles Bedarfsprofil ableitet und dementsprechend seinen Konsum gestaltet. 

 

Die Werte, die heute von der Gesellschaft propagiert werden, nehmen den Menschen an die Leine und suggerieren ihm den Konsum. Alle glitzernde Vielfalt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Individuum nicht eigenschöpferisch sein Profil sucht, sondern durch die Werbung gesteuert wird, möglichst viel von den angebotenen Gütern und Leistungen zu konsumieren. Die Vielfalt ist nicht  kreativ, sie ergibt sich nicht aus dem Inneren des Individuums, sondern wird ihm von außen suggeriert. Die Vielfalt geht nicht vom Konsumenten aus, sondern vom Produzenten, vom Designer.


Sie wird mit viel Werbung auf den Markt gebracht und erzeugt eine tiefe Verfremdung beim Individuum, da sie nicht aus ihm, sondern in ihn kommt. Dort, wo die Abkehr von seinen eigenen Werten beginnt, beginnt die Abkehr von den anderen Individuen und von der Natur, beginnt der Egoismus. Die heutige Gesellschaft bringt es nur zu einer äusserlichen, unechten, tauben, nicht produktiven Individualität.

 

Diese Abkehr vom inneren Wert ist das eigentliche Problem der sozialen Entfremdung, des Eingeständnisses von Schuld dem anderen gegenüber. Die Herrschaft erzeugt nicht nur den Hass auf die Herrschaft, sondern auch die Verfremdung zur Welt. Damit wird die Schuld, neben der Herrschaft zu einer konstituierenden Kategorie der Zivilisation. Keine Herrschaft ohne Schuld und kein Schuldgefühl ohne Unterordnung, ohne Anerkennung der Herrschaft. Das Schuldgefühl ist die  geistige Zwinge der Herrschaft.  

  

 

Durch die ganze Zivilisation zieht sich ein tiefes Schuldgefühl. Die Vermittlung dieses Gefühls ist das Hauptanliegen der Religion und der ethischen Philosophie. Ob es die Unvollkommenheit des Menschen ist oder die Sünde, immer bleibt im Menschen ein bohrender Stachel der Selbstzüchtigung und Selbsterniedrigung. Dieses Gefühl wird ihm nicht eingeredet, sondern er erkennt seine Schuld als Folge seiner Stellung. Er erlebt es als Folge der Verdrängung seiner natürlichen Veranlagung. Zwischen menschlicher Kultur und Natur besteht in der Zivilisation ein Gegensatz. Die Kultur bezweckt diesen Gegensatz. Der Mensch weiß, dass er sich durch seine Handlung schuldig macht und begeht sie dennoch, eben weil er ein natürliches Gebilde ist. Es ist eine Sünde, der er von Natur aus verfällt, weshalb er die Welt nicht versteht und unglücklich ist.

 

Aber das Schuldgefühl hat auch eine ganz besondere praktische Form in der Gesellschaft, indem der Mensch durch Geldleihe zum Schuldner wird. Die Schuld wird zum praktisch berechenbaren Verhältnis. Die materielle und die geistige Schuld machen das verkehrte Verhältnis zur Natur zur täglichen Normalität, die nicht bezweifelt wird. Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich sich die Menschen in diese Schuldfesseln fügen, sodass sich ihr Gewissen sträubt, diese Fesseln abzulegen.

 

 

Und hier finden wir die Überleitung zu einem zweiten zentralen Wert, dem Fatalismus. Alle Erziehung ist orientiert auf Unterordnung und Gehorsam. Treue bis in den Tod ist eine Tugend von  unschätzbarem Wert für die Herrschaftsgesellschaft, selbst dann, wenn es gegen die eigene Existenz geht und die Erfolglosigkeit auf der Hand liegt. Die Selbstopferung für eine Idee, für das Land, für den Souverän ist ein Kult, der den Entmündigten ein Selbstwertgefühl gibt. Von dem Postulat „Die Gemeinschaft ist alles, der Einzelne ist nichts“, geht ein hohes Pathos aus, das bei allen Herrschenden hoch im Kurs stand.   

Aber das alles erzeugt eine Enthaltsamkeit, die auf die Dauer nicht zu halten wäre, da ein solches Dasein mit der Natur im Widerstreit liegt. Wie Überdruckventile gibt es Gelegenheiten, in denen sich der Mensch seiner natürlichen Veranlagung hingeben kann. So haben wir parallel zu den vorgenannten Werten Zustände einer ungezügelten Lustbefriedigung, die jenseits von Schuld und Gehorsam liegen und diese sogar öffentlich verspotten. Die großen Spannungen zwischen Entsagung  und Ausgelassenheit kompensieren sich. Der Mensch ist in der Zivilisation im höchsten Masse gefühlsmäßig zerrissen, ein wichtiger Grund seiner Irrationalität.

 

Schuld, Entsagung und Lust sind die zentralen Werte, die auf vielfältige Weise kultiviert werden und das menschliche Dasein in der Zivilisation ausfüllen. Für alle drei Werte gibt es gesellschaftliche Institutionen. Das Leben läuft in diesem Wechselspiel ab. Diese Werte sind auf die Entmündigung des Individuums ausgerichtet und schaffen daher für das Individuum einen äußeren Leistungsdruck, denn die Leistung soll ja gerade beweisen, dass er nicht unterlegen ist. Sie spalten das Individuum auf in ein Leben für äußere Zwecke und ein Leben für eigene Zwecke, für Entfremdung und Identität. Das drückt sich aus in der formalen Teilung in Arbeitszeit und Freizeit und zwischen den Generationen. Die Gesellschaft wird wie ein materieller technischer Prozess zergliedert, um sie auf diese Weise beherrschbar zu machen. Die Gesellschaft wird von Herrschenden organisiert, sie organisiert sich nicht durch das selbständige Handeln der Individuen. So entwickelt sich der Konflikt zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen dem Reich der Freiheit, des Eigenen und dem Reich der Notwendigkeit, des Fremden. Dieser Zwiespalt zieht sich durch die ganze Zivilisation hindurch. Mit ihm erklärt der Mensch in der Zivilisation sein Dasein.

 

Diese Widersprüchlichkeit des menschlichen Daseins in der Zivilisation resultiert aus der Maschinentechnik, kann also nicht mit geistiger oder moralischer Unvollkommenheit des Menschen erklärt werden. Herrschaft ruft Feindschaft zwischen den Menschen und zwischen dem Menschen und der Natur hervor. Die Überhöhung des Menschen ist eine Konsequenz des Herrschaftsprinzips. So gesehen ist das Herrschaftsprinzip ein gewaltiger Schritt nach vorn gewesen. Die gesamte geistige Kultur ist von ihm geprägt.

 

 

Es gehört zur unbedingten Voraussetzung der gesellschaftlichen Erneuerung, dass die neue Gesellschaft nicht durch Gewalt installiert werden kann. Sie kann nicht von außen den Menschen aufgedrückt werden, sondern muss sich durch das individuelle Tun aller organisieren. Das Individuum wird nicht ausgeschaltet oder eingeengt, sondern soll sich entfalten und dabei die Strukturen fordern und unterstützen, die diesem Anliegen gerecht werden. Die Aktivität des Individuums ist der Schlüssel und der Motor der neuen Gesellschaft.  Die gesellschaftliche Struktur seines Wirkens ist das Resultat, nicht die Vorgabe. Die Gesellschaft wird also nicht einmal perfekt erdacht und  eingerichtet, sondern unterliegt einem ständigen Wandel. So allgemein gesprochen hat sie das bisher auch schon getan, nur mit dem Unterschied, dass diese Wandlung nicht permanent war, sondern sich kataklysmenhaft vollzog. Das war für die Zivilisation typisch. Wenn die Gesellschaft durch Herrschaft organisiert wird, kann es nur eine Entwicklung in Sprüngen geben, die als Konflikte ausgetragen werden. Das ist auch der Grund dafür, dass alternative Demokraten den Weg in die neue Gesellschaft nicht über die Revolution propagieren, sondern über die permanente Reform und dabei eine Teilung in Führer und Geführte ablehnen.

 

 

Welches sind nun die Werte, die für das Individuum relevant sind, wenn es sich als Motor der gesellschaftlichen Erneuerung bewährt? Erstens. Die Individualitätsentwicklung war nicht das bezweckte Resultat der Zivilisation. Die Individualität rückt zwar in ihrer letzten Phase aufgrund der technischen Entwicklung in den Vordergrund, was darauf hindeutet, dass ein  Wandel ansteht. Dieses Resultat muss jetzt zum Zweck erklärt werden und zwar nicht nur für wenige Einzelne, sondern für alle. Das Individuum trägt dafür die Hauptverantwortung, es muss sich seine Freiräume erkämpfen, die Herrschenden werden diese ihm nicht geben. Von ihm gehen die Impulse für gesellschaftliche Veränderungen aus. Eine solche aktive Rolle kann es aber nur spielen, wenn es seine Konsumtion ständig spezifiziert. Jede konsumtive Gleichschaltung steht dem entgegen. Im übertragenen Sinne  gesprochen: das Individuum konsumiert maßgeschneidert, je mehr, desto besser. In dieser individuellen Konsumtion liegt die erste Stufe seiner individuellen Bestätigung. Damit erhält der Begriff der individuellen Konsumtion seinen eigentlichen Inhalt. Es bestätigt sich als Individuum und bringt sich mit diesem Selbstwertgefühl in die Produktion ein. Die Konsumtion ist also nicht bloß der  Verbrauch von Gütern und Leistungen durch den Einzelnen, sondern schon eine individuelle Heraushebung aus der Umwelt, eine Übung seiner Individualität. Diese individualisierende Rolle der Konsumtion ist heute nicht gewährleistet, da die Produktion noch nicht auf diese Art der Konsumtion eingestellt ist. Die Produktion produziert für einen anonymen Konsumenten, d.h, sie nivelliert die Konsumtion. Das Produkt nach Maß ist die Ausnahme und für die Masse der Konsumenten nicht erschwinglich.  

 

 

Zweitens. Individualitätsentwicklung ist nicht ziellos, ist nicht ein blindes Abtasten der unendlich vielen Möglichkeiten. sondern hat eine allgemeine Orientierung an der Natur. In der Zivilisation war die Entwicklung eine Bewegung weg von der Natur. Der Mensch setzte sich in Gegensatz zur Natur, um sich selbst bewusst zu werden. Die Natur hatte ihm nur die Lebensmittel zu geben, ohne dass er sich um sie weiter kümmerte. In der Endphase der Zivilisation ändert sich das. Die Natur rückt ins Blickfeld, weil der Mensch mit Erschrecken feststellt, dass sie sich nicht mehr von seinen Eingriffen erholen kann. Der Blickwandel ist also zunächst rein egoistisch. Diese Haltung ändert sich nun vollständig. Der Mensch erkennt die Natur als Zeitgenosse, er will sich für sie nützlich machen. Die Natur ist nicht länger Beiwerk und Lebensmittellieferant, sondern wird  Zweck seines Handelns. Das Individuum bewegt sich in die Natur hinein. Nie zuvor erlebte der Mensch so unmittelbar wie jetzt, dass er das zusammengefasste Wesen der Natur ist, dass menschliche Tätigkeit Zusammenfassung von natürlichen Wesensheiten ist. Das ist es, weshalb er in der Natur Halt und Orientierung findet. Die Natur ist nicht ein Überwesen über ihm, sondern eine Vielfalt von Wesen, die er in sich aufnehmen kann.  Das Individuum könnte nie Orientierung finden an einem Gegenstand, der einfacher wäre als es selbst ist und es könnte nie Halt finden an einem Gegenstand, der nicht so unverrückbar wie das natürliche Wesen ist. Alles lehnt sich ans Höhere an. Diese Überlegenheit der Natur nimmt er demutsvoll zur Kenntnis. Vorbei ist es nun mit seiner Arroganz, der eine gewähnte Übermacht über die Natur zugrunde liegt. Und vorbei ist auch die Demut, die von einer Übermacht über dem Menschen ausgeht. Je mehr sich der Mensch mit der Natur befasst, desto bescheidener wird er, desto mehr rückt er mit allen belebten Wesen zusammen. Die Idee des Friedens ist also nicht nur ein moralisches Postulat, sondern hat ein konkretes anderes Naturverhältnis zur Grundlage. Hierin liegt die Überzeugung begründet, dass die künftige Gesellschaft den Krieg als etwas völlig Menschenfremdes empfinden wird.

Drittens. Das Individuum ist das Einzelne, aber nicht das Alleinige. Es ist Bestandteil der Vielheit. Daher die Notwendigkeit der Kommunikation. Die Kommunikation entsteht aus dem Bedürfnis, mit dem anderen eine Gemeinschaft einzugehen, denn Individualität muss von dem anderen gebraucht werden. Der Mensch sucht die Anerkennung des anderen. Je größer sein Kreis an Kontakten ist, desto bedeutender ist er. Dieser bisherige Kreis erweitert sich um eine neue Dimension, indem er seine Kommunikation auf alles Belebte ausdehnt. Mit Tier und Pflanze lebt er nicht nur zeitgleich zusammen, sondern er tauscht mit ihnen Informationen aus. Das gelingt ihm um so mehr, als er durch die moderne Kommunikationstechnik in der Lage ist, sich mit Tier und Pflanze zu verständigen. Damit erschliesst er sich einen völlig neuen Seinsbereich. Dadurch wird es ihm möglich, die Reproduktion der Lebewesen auf eine völlig neue, rationellere Grundlage zu stellen. Freie  Individualität ist nicht beschränkt auf den Menschen. Alles, was er für sich in Anspruch nimmt, muss auch den anderen belebten Wesen zugute kommen. Das ist aber nur möglich, wenn er mit allen kommuniziert. Wie soll er sonst ein harmonisches System schaffen? 

 

Die individuelle Auswahl der Konsumtionsmittel kann nur durch das Individuum selbst erfolgen. Jedes Individuum muss sich darum selbst kümmern, aber in der Gesellschaft müssen die Voraussetzungen dafür sein. Schon heute ist es möglich, die Konsumtion wesentlich zu differenzieren, anstatt primär auf Menge zu setzen, die dann über die geschickte Werbung abgesetzt wird. Der einzelne muss informiert sein, wie er an die Güter und Leistungen gelangt, die seinem Bedürfnis entsprechend produziert wurden. Die individuelle Konsumtion, die seinen besonderen Ansprüchen gemäße  Konsumtion, setzt die individuelle Produktion voraus, eine Produktion, die nicht von anderen für ihn, sondern von ihm selbst gelenkt wird. Nicht bloß die Produktion ändert sich mit dem technischen Fortschritt, sondern auch die Konsumtion. Damit wird auch die bisherige Trennung von Produktion und Konsumtion als zwei relativ unabhängige Sphären überwunden. Die Freude an der Tätigkeit und die Sinnesfreude sind eins.  

 

 

Welche Aufgabe steht vor der Gesellschaft? Wenn gesagt wird, der Mensch muss sich dem neuen Gegenstand zuwenden, dann in zweierlei Hinsicht. Erstens muss er sich der Natur zuwenden, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Und zweitens muss er aus der Vielzahl der Möglichkeiten seine Aufgabe selbst erkennen. Nichts wird ihm zugeteilt. Seine Aufgabe liegt nicht vorbereitet vor ihm,  sie muss nicht nur gefunden, sondern von ihm erfunden werden. Diese individuelle Aufgabenformulierung kann niemand dem Einzelnen abnehmen.

 

Die Freiheit des Einzelnen wird auf ein höheres Niveau gehoben, wenn sich der Einzelne seine Aufgabe selbst sucht, anstatt dass sie ihm übertragen wird. Die Gesellschaft muss mit der individuellen Aufgabensuche sehr vorsichtig umgehen. Sie muss das Gestaltungsrecht jedes Einzelnen voll akzeptieren, denn nicht sie weiß, wie die Aufgabe auszusehen hat, sondern dieses Aussehen erkennt nur das Individuum selbst. Daher geht die Achtung vor dem Individuum aus. Sie braucht das Individuum, um überhaupt zu wissen, was ihr Not tut. Die Gesellschaft ist nicht eine selbständige Institution, neben dem Individuum. Es ist daher Unsinn, zu sagen, die Gesellschaft steht über dem Individuum oder: bei ihr läge letztlich die Entscheidung. Entscheiden tun nur die Individuen nach Maßgabe ihrer Interessen. Es muss die Maxime gelten: Eine Entscheidung bei Unterdrückung auch nur eines Interesses, ist eine falsche Entscheidung. Ebenso unsinnig wäre es zu sagen, dass das Individuum sich über die Gesellschaft stellen könnte. Die Aufgabenfindung des Individuums ist ein Stück Gesellschaftsschöpfung, die von allen respektiert werden muss. Die heutige Gesellschaft vermittelt Werte, die das Individuum zum Verbraucher macht, die es der Produktion unterordnet. Die Herrschaft der Produktion über die Konsumtion ist nur eine andere Form der Herrschaft über das Individuum.