In der Klemme

 

Johannes Hertrampf - 30.05.2014

 

Die Gründe für die Destabilisierung der EU liegen nicht in Russland, sondern im maßlosen Auftrag, mit dem die USA die EU überfordert hatten. In devoter Pflichterfüllung stürzten die Europäer mit Unterstützung der USA die ukrainische Regierung, um die Ukraine doch noch in den Westen einzubinden. Dieser Plan ging nicht wunschgemäß in Erfüllung, weil die eingesetzte Regierung die Ukraine nicht unter ihre Kontrolle bekam. Die Ukraine wird nach wie vor von einer illegitimen Regierung geführt. Daran ändert auch die fragwürdige Wahl eines neuen Staatspräsidenten nichts.

 

Es überrascht nicht, dass sich im Westen nach dieser Schlappe Katzenjammer breit macht und die Bürger in den EU-Ländern dafür kein Verständnis haben. Hier liegt einer der Gründe für das Erstarken der EU-Kritiker bei den letzten Wahlen zum Europa-Parlament. Die offen aggressive Parteinahme der EU beim Sturz der legitimen ukrainischen Regierung stieß auf breite Ablehnung in Europa. Der Westen hat sich mit diesem Staatsstreich übernommen und erste Zweifel über seine Handlungsfähigkeit beschleichen ihn. Dabei kündigen sich die nächsten Nackenschläge schon an: die Verdrängung aus dem asiatischen Raum, die Zerlegung der EU, der Rückzug der USA aus Europa. Das sind die sicheren Anzeichen dafür, dass sich eine Ära der Weltgeschichte ihrem Ende zuneigt.  

 

Der Westen hat sich völlig verrannt. Das Schlimme ist, er will es sich nicht eingestehen, dass seine Zeit abläuft. Er lebt in einer doppelten Welt, in der realen Wirklichkeit und in einer medial polierten eingebildeten Wirklichkeit. Dieses Doppelleben birgt für die Menschheit zweifelsohne Gefahren,  weil er in seiner Ausweglosigkeit leicht zum Amokläufer werden kann, wenn bei ihm der Verstand völlig aussetzt und die blinde Angst die Oberhand gewinnt. Ein solcher Endzeit-Exzess ist nicht auszuschließen.

 

Deswegen in Panik zu verfallen, wäre aber falsch. So unheildrohend eine solche Kurzschlusshandlung ist, ihre Wahrscheinlichkeit wird als sehr gering eingestuft, da sie der objektiven Notwendigkeit der menschlichen Entwicklung widerspricht. Ein globaler Amoklauf steht mit dieser in Widerspruch. Er hätte den Charakter eines katastrophalen Zufalls, wie man ihn in der Natur beobachten kann. Eine solche apokalyptische Angst erzeugt eher geistige Lähmung als Widerstandswillen bei den Menschen. Seine Verbreitung liegt also durchaus im herrschenden Interesse.      

 

Wir sind optimistisch: Unter dem Eindruck der sich wandelnden Welt werden sich eines Tages selbst die verbissensten Kreuzzügler von ihren Wahnvorstellungen lösen müssen. Gerade auch in den Ländern, in denen sie heute die Oberhand haben, wird es eine geistige Umwälzung geben, weil die Ursachen der Krise dort am stärksten wirken. Der innere Druck in den westlichen Ländern ist die bestimmende Voraussetzung für den Wandel in diesen Ländern. Daher ist es völlig abwegig, in Russland eine den Westen, speziell die EU, zerstörende Übermacht zu sehen und damit von den wahren Ursachen abzulenken. 

 

 

Noch haben die Menschen in den westlich orientierten Ländern keine Perspektive, im Unterschied zu den aufstrebenden Schwellenländern, in denen die Regierungen die Linie der nationalen Konsolidierung verfolgen. So wurde kürzlich berichtet, dass Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS-Staaten) eine eigene Entwicklungsbank schaffen, als Gegengewicht zum Internationalen Währungsfonds und zur Weltbank. Diese Staaten sind nicht mehr bereit, sich dem finanzpolitischen Diktat der USA und der EU, also des Westens, zu beugen. Damit endet die Zeit, in der diese Länder vom Westen als billige Rohstofflieferanten und Billiglohnländer ausgebeutet wurden. Zugleich wird damit deutlich, dass die von Obama verkündete künftige finanzpolitische Begründung der amerikanischen Weltherrschaft ein bloßes Hirngespinst ist.

 

Man muß es immer wieder betonen, hier geht nicht nur eine Weltmacht unter, hier endet eine weltgeschichtliche Ära.      

Die besondere Stagnation und die Orientierungslosigkeit in den westlichen Ländern sind auch daraus zu erklären, dass die Zivilisation hier tiefer als anderswo in der Geschichte verwurzelt ist und daher gewaltige geistige Energien vonnöten sind, um die alten Dogmen freizulegen und ihre zeitliche Begrenztheit nachzuweisen. Was sich in Tausenden von Jahren an Maximen und Erfahrungen eingeschliffen hat, ist nicht kurzfristig zu ersetzen. Die bisherigen Nutznießer hängen an der Zivilisation, im Unterschied zu den Opfern, deren Zahl weitaus größer ist, die jetzt ihre geschichtliche Chance erkennen und selbstbewusst mit den Mitteln der Zivilisation die Zivilisation bekämpfen. 

 

Wenn die Umbesinnung im Westen eintritt, wird die Partie schon längst entschieden sein, denn er hat es verpasst, sich rechtzeitig auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Anstatt der Vergangenheit nachzutrauern und auf die Auferstehung des Abendlandes zu setzen, ist es sinnvoll, den eigenen Platz in der Zukunft zu suchen. Zurückdrehen lässt sich die Weltuhr nicht. Diese verlorene Zeit ist für die gesamte Menschheit ein Verlust, der sich heute als sinnloser Politaktionismus des Westens äußert.

 

Die dadurch ausgelösten Konflikte geben Anstöße für ein Umdenken. Ohne Not gibt es keine Notwendigkeit. Die Angst, endgültig im Aus zu enden, richtet zwangsläufig den Blick nach vorn. Es ist also letztlich der Selbsterhaltungstrieb, der die Augen öffnet.

Wir sprechen über den Westen, der sich noch der Zukunft verweigert. Aber wenn wir die Welt betrachten, müssen wir sie als Ganzes sehen. Nicht nur der Westen, die ganze Menschheit steckt in einem blockierenden Reformstau. Die scheinbar unlösbaren Beschwerden sind Folge des Zeitverzuges. Das Wissen für ihre Lösung wurde nicht erarbeitet, weil sich alle Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Gegensätze konzentrierte. Diese machen die Menschheit handlungsunfähig und verhindern die Konzentration auf die gemeinsamen Zwecke. Solange das Trennende im Vordergrund steht, vertieft sich die Selbstblockade und bringt sich die Menschheit als Ganzes in immer neue Schwierigkeiten. Das ist eine grundlegende Erfahrung des Zwanzigsten Jahrhunderts.

 

Beide Seiten, die Verteidiger und die Kritiker der westlichen Zivilisation, müssen den Weg in die Zukunft finden. Beide sind Bestandteile der Zivilisation, die sich gegenseitig querstellen. Der Weg aus dieser Clinchsituation ist nicht der Sieg der einen und die Niederlage der anderen Seite. Auch das ist eine weitere Erfahrung des Zwanzigsten Jahrhunderts, dass es eine solche sich gegenseitig ausschließende Lösung nicht gibt. Der Niedergang des Kommunismus hat den inneren Widerspruch der Zivilisation nicht beendet, sondern nur sein Erscheinen gewandelt.  Daraus ziehen wir den Schluss, dass sich beide Seiten wandeln müssen, damit der lähmende Widerspruch aufgehoben wird.

 

Niemand weiß, wie die Zukunft aussieht, folglich kann es nur um eine allmähliche Entwicklung aus dem Widerspruch gehen und nicht um eine kurzfristige Umwälzung. Um die Zukunft muss es gehen und nicht um die Überwindung der einen oder der anderen Seite. Nicht eine Seite, beide Seiten stehen ihr im Wege. Indem man sich gegeneinander ausrichtet, organisiert man sich auf alte Weise, reproduziert man alte Zustände. Oder so: Je mehr die beiden Seiten aufeinander fixiert sind, desto mehr ähneln sie einander. Deshalb ist die Konfrontation ein vergeblicher und verderblicher Weg.

 

Während der Ukraine-Krise drohte der Westen Russland mit Sanktionen. Die westlichen Politiker waren gleichgeschaltet. Nur einige Politikveteranen, in Deutschland Schmidt und Schröder, erhoben Einspruch. Der entscheidende Widerstand gegen Sanktionen kam in Deutschland aus der Wirtschaft und prompt wurden die renitenten Wirtschaftsführer dafür von der Politik unter Druck gesetzt. Die westlichen Politiker, in Deutschland allen voran Merkel und Steinmeier, redeten von Deeskalation, taten aber das Gegenteil. Wenn dennoch die Ukraine-Krise flach gehalten wurde, dann ist das maßgeblich den Managern großer Konzerne zu verdanken, die demonstrativ an ihren Partnerbeziehungen zu Russland festhielten. Und andererseits hat auch die russische Regierung in dieser Zeit darauf geachtet, dass die Wirtschaftsbeziehungen zum Westen keinen Schaden nahmen. Die Gaslieferungen nach Westeuropa waren zu keinem Zeitpunkt gefährdet, obwohl die Medien sich in ihrer hysterischen Schwarzmalerei überschlugen. Die Vertreter der westlichen Wirtschaft und die russische Regierung erwiesen sich als zuverlässige Partner und haben sich gemeinsam der westlichen Politik widersetzt. Objektiv war das eine kleine erfolgreiche Wiederbelebung des Geistes von Tauroggen, diesmal gegen den Widerstand der USA, der EU und der deutschen Regierung. Die aber dieses Signal absolut nicht verstanden hat. Die Wahrnehmung der  nationalen wirtschaftlichen Interessen war stärker als das westliche Imperium.

 

Nun kann man sagen: die Krise um die Ukraine hat dem Westen seine heutige Grenzen aufgezeigt. Das wäre allerdings zu wenig. Wichtiger ist die Feststellung, dass die Krise um die Ukraine aufgezeigt hat, wie eine Krise am besten entschärft werden kann, dass die real-wirtschaftlichen Interessen eine friedensbewahrende Funktion erfüllen. Hier deutet sich eine grundlegende Positionsverschiebung der Politik an. Der aufgeblähte politische Apparat ist überholt. Dies trifft umso mehr zu, je tiefer die wirtschaftlichen Verflechtungen sind. Unmittelbar wollte keine Seite auf den Nutzen verzichten. Mittelbar war das aber ein festes Bindeglied für die Beilegung der Meinungsverschiedenheiten. Das, was beiden Seiten wirtschaftliche Vorteile bringt, was Arbeitsplätze sichert und neue schafft, ist zugleich eine stabile Grundlage für ein friedliches Nebeneinander. Es geht also nicht nur um Warenaustausch, sondern um grenzüberschreitende, tief verflochtene Kooperation in allen  wirtschaftlichen Branchen und im wissenschaftlich-technischen Bereich. Nicht Konkurrenzdenken, feindliche Übernahme und Abgrenzung sind zukunftsorientiert, sondern die internationale Verflechtung. Sie ist die Gewähr für echte Partnerschaft. 

 

In der Ukraine-Krise wurde deutlich, dass ein wirtschaftlich fundiertes Krisenmanagement erfolgreich ist. Gemäß dem Grundsatz „Wenn wir unsere national-ökonomischen Interessen in den Mittelpunkt stellen, ist das die beste Orientierung zur Überwindung von Meinungsverschiedenheiten“. Alle haben dann eine gemeinsame Blickrichtung. Alle sind berechenbar. Für alle ist die Zukunft offen, vorausgesetzt, alle halten sich an die Wirklichkeit und lassen sich vom Verstand leiten und nicht von einseitiger Vorteilsnahme. Das nimmt den  Ängstlichen die Angst vor der Zukunft und die Wüteriche finden kein Gehör.   

 

Was die Menschen bewegt und nicht, was die Regierenden bewegt, muss im Mittelpunkt stehen. Die Selbstblockade wird solange andauern, so lange die Herrschenden auf beiden Seiten festlegen, worüber gesprochen wird, denn sie werden auf beiden Seiten Machtinteressen verfolgen. Der Streit zwischen ihnen vertieft das Krisenbewusstsein, dieses ist jedoch inhaltsleer. Das Lösungsbewusstsein ist dagegen sachbezogen inhaltsvoll. Praktisch heißt das, gemeinsame Projekte aufstellen und an diesen besonders in angespannten Zeiten festhalten. Das Vertrauen zum Partner fördert den Mut zur Erneuerung. Hieraus entwickeln sich Impulse, die über die Zivilisation hinaus wirken. Wer dagegen den Menschen die Fähigkeit zur Wandlung abspricht, wer auf den Erlöser wartet, der trägt die Hoffnung wie eine Laterne vor sich her, ohne einen Ausweg zu finden.

 

Die Warnung vor einem neuerlichen Kalten Krieg kann nur den Sinn haben, ihn zu verhindern. Im Kalten Krieg standen sich Herrschaftsblöcke gegenüber. Es war eine Auseinandersetzung zwischen den Regierenden, die ihre Völker gegeneinander hetzten, mit dem Ziel, die gegebenen Zustände zu erhalten. Wer das Verhältnis zwischen den Völkern den herrschenden Politikern überlässt, der übergibt ihnen sein Schicksal und braucht sich nicht zu wundern, wenn er regelmäßig hinters Licht geführt wird. Es ist eine Illusion, von den Herrschenden Vernunft und Gewissen zu erhoffen, niemals und nirgends.

 

Die Zivilisationskritik ist der befreiende Ausweg, der aus dem Labyrinth der Verschlingungen führt. 

Sie steht nicht auf der einen oder der anderen Seite, sie steht über ihnen. Von hier aus beurteilt sie die politische Gegenwart, das Handeln der Regierenden und der Opposition.

 

Johannes Hertrampf - 30.05.2014