Haben wir eine Chance?

 

 

 

14. Juni 2012 FP Deutschlands

 

von Dr. J. Hertrampf

 

 

„Das Ende der deutschen Illusion“ überschrieb Stefan Kaiser einen Beitrag auf SPIEGEL-ONLINE vom 04.06.2012. Er wirft der Bundesregierung vor, daß sie nicht schneller Macht und Geld abgibt. „Wer den Euro retten will“, schreibt er, „ muss noch mehr nationale Macht abgeben und noch mehr gemeinschaftliche Entscheidungen akzeptieren – und am Ende wird er auch einsehen müssen, dass die Euro-Länder gemeinsam für ihre Schulden haften müssen“. Doch nicht nur die Bundesregierung, speziell Frau Merkel, ist so uneinsichtig, sondern auch ein großer Teil der deutschen Bevölkerung. Und um den geht es. Die Stimmung im Lande ist gereizt. Die meisten Deutschen stehen der Regierung skeptisch gegenüber und lehnen es ab, Verpflichtungen anderer Schuldenländer zu übernehmen.

 

 

Die Rettung des Euro findet einfach keinen Anklang. Doch der Druck auf Deutschland wird systematisch erhöht, vor allem seitens der USA, deren ökonomisch-politische Gesamtlage dem Zusammenbruch entgegentreibt. Die Angst im Nacken, sind die Führer der USA unzufrieden mit den Satelliten. Das ständige Gezerre zwischen den EU-Ländern und Deutschland auf den EU-Gipfeln und das Gezeter im deutschen Bundestag muß aufhören. Der amerikanische Präsident B.Obama, sekundiert von dem Briten D. Cameron, fordert eine „Blitz-Rettung“ des Euro, also nicht eine „Blitz-Rettung“ des Dollars. Der berüchtigte Börsenspekulant G. Soros stellt Deutschland eine Frist von drei Monaten. Bis dahin soll die Regelung in trockenen Tüchern sein und ab dann soll Deutschland für die Schulden der EU der anderen zuständig sein. Und das ist nur denkbar, wenn die EU selbst zu einem Bundesstaat unter internationaler Finanzaufsicht zusammengeschnürt wird.

 

 

Wer sich dagegen verwahrt, der hängt angeblich einer Illusion nach. Unter Illusion meinen die ideologischen Weichklopfer die verbreitete Ansicht, Deutschland könne sich irgendwie um die Krise herummogeln. Doch Deutschland ist ein Vasallenstaat, für den nun die Stunde der Wahrheit geschlagen hat. Das ist eine folgenschwere Wahrheit, die endlich von den Bürgern akzeptiert werden muß. Und um diesen Erkenntnisprozeß abzukürzen bringt der grüne Wegbereiter J. Fischer die Schuldfrage Deutschlands aus dem Zwanzigsten Jahrhundert ins Spiel. „Es wäre eine Tragödie und Ironie zugleich“, war in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 04.06.2012 zu lesen, „wenn jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das wiedervereinigte Deutschland, diesmal friedlich und mit den besten Absichten, die europäische Ordnung ein drittes Mal zugrunde richten würde.“ Erschreckend ist nicht nur, daß Fischer die wirklichen geschichtlichen Zusammenhänge übergeht, sondern nicht weniger erschreckend ist, daß eine deutsche Zeitung einen solchen Unsinn abdruckt und damit die Öffentlichkeit irreleitet. Eine wahrheitsorientierte öffentliche Diskussion kommt so nicht zustande, sondern die öffentliche Meinung wird zur Bestätigung der Politik genötigt. Wer sich heute des Arguments der Kriegsschuld der Deutschen bedient, um aus ihnen noch höhere Geldzahlungen an die Banken herauszupressen, der bereitet Deutschland und Europa auf die dritte Katastrophe vor. Weder die Bundestagsparteien, noch die Bundesregierung haben bisher den Bürger über das ganze Ausmaß und die ganzen Konsequenzen der Schuldenpolitik informiert. Es wurden falsche Versprechungen gemacht und Weltuntergangsszenarien ausgemalt, wenn EU und Euro zerbrechen. Und nun wird noch die Kriegsschuld herangezogen, die hauptsächliche Begründung der Siegermächte für das Schalten und Walten nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit soll jede Diskussion erstickt werden. Damit wird der Demokratie in Deutschland ein schwerer Schlag versetzt, denn die freie öffentliche Diskussion ist in einer Demokratie das oberste Gebot. Fischers Vergangenheit ist nicht demokratisch geprägt, aber daß eine seriöse Zeitung sich dazu hergibt, ist ein schlechtes Zeichen. Durch die EU-Krise bricht in Deutschland und in Europa eine Welt zusammen. Deutschland, die wichtigste Stütze der USA beginnt zu wanken. Wir erleben die Anzeichen des endgültigen Zusammenbruchs der Nachkriegsordnung.

 

 

Aber hat sich die Bundeskanzlerin nicht gegen die EU-Bonds ausgesprochen und damit das deutsche Interesse vertreten? – Die Bürger sind längst dahinter gekommen, daß solche Beteuerungen wertlos sind. Schon geistert der Satz durch die Medien „Die eiserne Sparkanzlerin wird weich“, sie müsse Kompromisse in Richtung EU-Bonds eingehen. Es wird der Eindruck erweckt, als würde sie sich nur widerwillig dem Druck beugen. So widersinnig es klingt, Frau Merkel ist dagegen, weil sie dafür ist, aus Kalkül, weil die Mehrheit der Deutschen dagegen ist. Denn schließlich gehört es zu ihrem Auftrag, die Mehrheit der Deutschen als geduldige Lastenträger anzuführen. Jean-Claude Juncker hat den Trick ausgeplaudert: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.” Das ist Herrschaftspolitik des Machbaren in demokratischem Gewand. Es gehört zum politischen Geschäft, das Terrain mit hochgesteckten Zielen zu sondieren und damit die Grenzen des Möglichen abzuklären. So erklärt sich das widersprüchliche Verhalten von Frau Merkel. Die gegenwärtige Medienkampagne gegen die deutschen Träumereien von einer heilen Welt sind nur die Vorbereitung Deutschlands auf diese seine neue Rolle.

 

 

Wird also letztlich das Volk für Illusionen gescholten, die ihm von den Politikern eingeredet wurden? Wird der leichtgläubige Bürger auch noch verhöhnt? Bis jetzt gelang es den Regierenden in Deutschland, die Auswirkungen der Finanzkrise in erträglichen Grenzen zu halten. Deutsche Politik schien einen besonders klugen Umgang mit der Krise gefunden zu haben. Die Rettungsschirme und Bürgschaften in Höhe vieler Milliarden waren für den „Notfall“ gedacht, wogegen die tatsächlichen Hilfskredite noch im zumutbaren Bereich lagen. Zwischen der Realwelt und der Finanzwelt schien eine dicke, undurchlässige Sperrmauer zu sein. Doch Griechenland markierte die Grenzlinie. Das, was bisher nur Hypothese war, wurde Wirklichkeit. Und jetzt kommen Spanien und Italien dazu und Frankreich taucht am Horizont auf. Deutschland muß sich auf alle diese Länder gefaßt machen und das ist sein Verhängnis. Am Ende wird es selbst zum „Sozial-Fall“ der EU, ohne jede Aussicht auf eine helfende Hand, schuldbeladen und isoliert im Kreise der Habenichtse. So hängt das Schicksal Europas und Deutschlands zusammen.

 

 

Die Politiker setzen alle Hebel in Bewegung, um das Volk gefügig zu machen. Alles würde einem guten Zweck dienen und schließlich noch ein gutes Ende nehmen. Doch diese Versprechungen werden von den Kritikern als bewußte Irreführung enthüllt. Die Drohungen, wonach das Ausscheren Griechenlands und anderer Länder aus der EU für Deutschland ein herber Verlust sei, stellt den wahren Sachverhalt auf den Kopf. Der weitere Verbleib ist der größte, weil grenzenlose, Verlust für alle, auch für Deutschland. Und in der Tat, das Blatt ist nicht mehr zu wenden. Die heute Verantwortlichen haben gar nicht den Willen und nicht die Fähigkeiten. Die im bisherigen System gültige Fachkompetenz findet nicht den bürgerfreundlichen Ausweg. Die verändernde Kraft hängt vor allem davon ab, wie überzeugt die Menschen sind, daß die Alternative besser ist, denn sie werden sich nicht nach vorn bewegen, weil sie das alte System zunehmend belastet, sondern weil sie ein besseres wissen. Der Ausweg ist nur in einer neuen Weichenstellung zu finden. Doch wie soll diese aussehen?

 

 

Noch ist dieser Ausweg unscharf. Noch sind die Auffassungen über die nächsten Schritte nicht eindeutig. Noch fehlt die Idee, unter der sich die Menschen organisieren, um die drohende Gefahr abzuwenden. Nicht das eigentliche Problem, die Verschuldung und seine Überwindung, stehen im Mittelpunkt, sondern Schritte, wie man den gegenwärtigen Zustand erhalten kann. Es ist doch eine Irreführung, wenn die SPD behauptet, die Einführung einer Transaktionssteuer auf Bankgeschäfte schaffe mehr soziale Gerechtigkeit. Diese Steuer kommt garantiert am Ende wieder beim Bürger an und vergrößert den Handlungsspielraum der Regierung.

 

 

Manche Oppositionelle stellen die Sache so hin, als sei der bittere Kelch für die Menschen unvermeidlich. Aber das ist für einen konsequenten Demokraten nicht akzeptabel. Die Lösung des Problems kann und darf nicht zu Lasten der Bürger gehen. Die Vergleiche mit der Situation in den dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts dürfen nicht zum Fatalismus führen. Daß diese Situation damals eine so tragische Entwicklung zur Folge hatte, muß auf die konkreten Umstände zurückgeführt werden und gibt keinen Hinweis auf die unvermeidliche Wiederholung in der Gegenwart. Das Wissen um die Hintergründe von damals, nicht einfach das Aufzählen der Ereignisse, ermöglicht es, eine Lösung der heutigen Krise zu finden, die nicht auf dem Rücken der Bürger ausgetragen wird. Der „Crash“ als etwas Unvermeidliches kann daher im Denken der demokratischen Opposition keinen Platz haben. Hier liegt eine Trennlinie zwischen der systemeigenen und der demokratisch-alternativen Opposition vor, zwischen wiederholender Fortsetzung und Erneuerung.

 

 

Stellt man sich auf die Position, die auf Erneuerung abzielt, dann muß der ganze Prozeß damit beginnen, daß die Schulden eingefroren werden und keine Zinszahlungen mehr erfolgen, als Eröffnung eines Schuldenerlasses. Und das nicht nur für Griechenland, sondern für alle EU-Staaten. Das ist der Kern der seit langem von uns vertretenen Forderung nach einem Schuldenmoratorium für die Staatsschulden. Durch dieses allseitige Schuldenmoratorium gibt es keine Bevorzugungen oder Benachteiligungen für einzelne Völker, sondern alle haben den Nutzen gleichermaßen und können die frei werdenden Gelder für nationale Projekte verwenden.

 

 

Ein solcher Zinsschnitt eröffnet den Völkern eine völlig neue Perspektive. Er gibt ihnen ihre Handlungsfähigkeit zurück. Es ist klar, daß mit ihm die Frage der Rückgabe des national-hoheitlichen Umgangs mit dem Geld steht und Geld nicht mehr als internationales Herrschaftsmittel eingesetzt werden kann. Ein solcher Zinsschnitt ist noch nicht die generelle Abschaffung des Zinses, sondern betrifft nur die Zinsen, die gegenwärtig auf Grund der hohen Staatsverschuldungen anfallen. Wer keine Zinsen zahlt, bekommt auch keine Kredite, wird da drohend erwidert. Die Umsetzung dieser Drohung der internationalen Banken wäre ein wahre Wohltat für die Völker.


Wenn die Nationalstaaten die Geldschöpfung für Kreditzwecke in die eigenen Hände nehmen, wenn sie ihre Geldwirtschaft unter eigene Regie stellen, dann werden die internationalen Großbanken nicht mehr gebraucht. Diese Logik erfordert also den sukzessiven Umbau der gesamten nationalen Finanzmärkte und neue Formen ihrer übernationalen Kooperation. Entscheidend ist, daß das Finanzwesen nie wieder der nationalen Kontrolle entzogen wird.

 

 

Die Politik muß wie jeder andere menschliche Bereich nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten konzipiert werden. Gegenwärtig sind die Entscheidungen noch spontaner Natur. Aber es ist eben doch interessant, daß die Verweigerung der Zinszahlungen im EU-Europa und im besonderen in Griechenland auf Widerstand stößt.

 

Auch in der in Deutschland verbreiteten Ablehnung von Euro-Bonds kommt diese Haltung zum Ausdruck, denn die Euro-Bonds sind Zinszahlungen der anderen Länder für ein nicht mehr zahlungsfähiges Land. Auch die Zögerlichkeit der spanischen Regierung, sich mit Geld aus dem EU-Rettungsschirm zu versorgen, kann auf die Angst vor neuen Zinslasten und Souveränitätsverlusten zurückgeführt werden. Der Zinsschnitt wäre die wirkliche Erlösung für Spanien. Alles in allem scheint es so zu sein, daß die Notwendigkeit einer allgemeinen Schuldenstreichung sich zwangsläufig und widersprüchlich durchsetzt, nicht geradlinig, sondern mit vielen Windungen belastet, aber dennoch unaufhaltsam.

 

 

Die unvoreingenommene, öffentliche Diskussion über die Einstellung der Zinszahlungen für alle Staatsschulden würde zweifelsfrei auf ein großes Interesse bei den Bürgern stoßen. Eine solche Diskussion wäre die Voraussetzung für eine Volksabstimmung, bei der es eben nicht nur um eine finanzpolitische Entscheidung gehen würde, sondern um die Entscheidung für die freiheitlich-demokratische Ordnung, denn ein zunehmender Schuldendruck auf die Bürger führt unweigerlich zu einer Einschränkung von Freiheit und Lebensqualität und damit letztendlich zu einem Rückgang der kulturellen Schöpferkraft eines jeden Volkes.