Europa schuldenfrei

 

 

 

29. März 2012 FP Deutschlands

 

von J. Hertrampf

 

Eines der markantesten Phänomene des Nachkriegseuropas – und zwar gilt das für Gesamteuropa, wir haben aber im folgenden den westlich orientierten Teil Europas im Auge – ist das beständige Abgleiten in den Schuldensumpf. Man kann hier einen Zusammenhang feststellen.

 

Je mehr in Europa die Nato- und die heutigen EU-Strukturen durchgesetzt wurden, desto tiefer versank es in den Schulden. Die Entkräftung des Westens folgt mit zeitlichem Abstand der Entkräftung des Ostens. Insofern besteht eine empirisch belegbare Folgerichtigkeit, obwohl sie diese gar nicht im Auge haben, wenn heute Politiker auf Grund der hohen Verschuldung auch strukturelle Änderungen in den Bündnissen fordern, indem sie noch stringentere Bindungen schaffen wollen – die Anpassung der Strukturen an den Grad der Verschuldung. Damit bestätigen sie auf ihre Weise diesen kausalen Zusammenhang.

 

 

Besonders in Hinsicht auf Griechenland wurde von fachlicher Schlamperei und Inkompetenz der Finanzpolitik gesprochen. Das hat gewiß seine Berechtigung, aber das Finanzdebakel ist so nicht zu erklären. Und die Unschuldsmiene, die deutsche Politiker aufsetzen, erinnert sehr an die Hackermasken von Anonymous, hinter denen sich Schlitzohren verbergen. Daher ist das Problem der Finanzsanierung kein finanztechnisches Problem, das von kompetenten Fachleuten gelöst werden kann. Die derzeitigen Ministerpräsidenten von Griechenland und Italien beweisen das, denn sie kommen aus der Branche und können den Karren nicht aus dem Dreck ziehen.

 

Der Staatsbankrott ist kein besonderes griechisches Problem, sondern steht früher oder später allen EU-Staaten ins Haus. Insofern war eine Überschrift in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 10/11. März 2012 bezeichnend: „Schuldenschnitt trifft Steuerzahler“ und darunter: „Bundesfinanzminister Schäuble atmet auf und sieht Europa auf gutem Weg“. Die Besonderheit Griechenlands besteht also darin, daß es am Anfang einer Umverteilungsorgie steht und an ihm eine Prozedur exerziert wird, die für alle vorgesehen ist. Auf Grund auslaufender Anleihen und neuer Haushaltsdefizite haben die EU-Staaten 2012 einen Finanzbedarf von 905 Mrd. Euro. Griechenland macht dabei mit seinen 35 Mrd. Euro nur einen kleinen Posten aus. Die Schwergewichte sind Italien mit 381 Mrd. und Frankreich mit 426 Mrd. Euro. Auch Spanien mit 230 und Deutschland mit 276 Mrd. Euro liegen noch weit über Griechenland. Dieses gewaltige Defizit ist durch keinerlei Reserven abgedeckt. Die Rettungsschirme sind selbst nur schuldengesichert. Die sogenannte Hebelwirkung ist nichts weiter, als die Zusicherung eines bestimmten Betrages im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Landes. Doch Investoren legen ihr Geld an, um Zinsen zu kassieren, nicht wegen der Sicherheit des eingesetzten Betrages. Diese ist eine selbstverständliche Voraussetzung für Zinseinnahmen, aber nicht schon die hinreichende Bedingung einer Geldanlage. Sie werden sich also nach anderen, zinssicheren und zinsgünstigen Geldanlagen umsehen. Dem kindlichen Wunschdenken waren jene Meldungen zuzuordnen, wonach China und Rußland den finanzschwachen EU-Staaten unter die Arme greifen würden. Jeder Dollar wäre zum Fenster rausgeworfenes Geld.

 

 

Natürlich ist den meisten Ökonomen die aussichtslose Situation bekannt, weswegen jene, die noch einen Funken Anstand haben, auf Distanz zur offiziellen Politik gehen. Sie wissen ganz genau, daß diese Rettungsschirme Plünderinstrumente sind, die nicht den finanziellen Absturz der Länder verhindern können, dafür aber aus Europa einen beständigen, wabernden Schuldensumpf machen. Der Zweck ist ein anderer als der öffentlich verkündete. Diese Rettungsschirme treiben das System der Verschuldung auf die Spitze, weil das westliche Systems sich sonst nicht mehr über Wasser halten kann. Insofern sind die Rettungsschirme Akte der Verzweiflung der Politiker und zugleich Zeichen ihrer Bereitschaft, Europa im Interesse eines wachsenden Zinsflusses zu verunstalten und bis zur Selbstzerstörung zu treiben. Die westliche Zivilisation wird nicht von außen besiegt, sondern degeneriert wie jedes System, das nicht mehr lernfähig ist.

 

 

Auf die Zinsen kommt es an. Die Geldschöpfung war für die Herrschenden noch nie eine unüberbrückbare Hürde, die ihnen großes Kopfzerbrechen machte und heute in Zeiten der elektronischen Geldschöpfung gleich gar nicht. Der Zinszwang ist das eigentliche Übel, das sie den Völkern heimlich still und leise aufzwangen. Zins ist eine zu entrichtende Abgabe an eine private Hand auf geliehenes Geld. Woher das Geld kommt ist sekundär. Wichtig ist, daß es da ist und mit ihm Zinsen abgezogen werden können. Die Zinsen sind das werthaltige Geld, auf das es den Banken ankommt, weswegen sie immer neue Schulden machen, auch mit rein fiktivem Geld. Die EZB hat innerhalb kurzer Zeit den Banken über eine Billion Euro für 1% Zinsen zur Verfügung gestellt, Geld, das diese zu höherem Zins beliebig verleihen können. Der Schuldenschnitt ist also eine einzige Farce, wenn sogenanntes frisches Geld aus dem Computer gezaubert wird und an die Stelle des abgeschriebenen Geldes zu tritt. In diesem Geldnachpumpen sieht Herr M. Draghi, EZB-Präsident, keine Gefahr, denn es sei großteils nicht im Wirtschaftskreislauf angekommen. Aber die Banken verleihen dieses Geld wiederum und kassieren dafür Zinsen. Und auf diese Weise kommt es im Wirtschaftskreislauf an und drückt die Kaufkraft der Bevölkerung. Die inflationäre Wirkung ist unvermeidlich. Die EZB hat also dafür gesorgt, daß den Banken durch den Schuldenschnitt keine Verluste entstehen. Was auf der einen Seite abgeschnitten wird, wird auf der anderen Seite den Banken zugeschoben. Die Geldblase wird nicht kleiner und die Tauschmittelfunktion des Geldes wird dem Zinsmachen völlig untergeordnet.

 

 

Doch woran erkennt man die Werthaltigkeit des Geldes? Wann kann man von werthaltigem Geld sprechen? Rein äußerlich ist zwischen dem einen Geldschein und dem anderen kein Unterschied. Die Werthaltigkeit wird vielmehr durch die Warenmenge bestimmt, die mit dem Geld erworben werden kann. Die Werthaltigkeit ist nicht dem Geld an sich gegeben, sondern durch den Tauschwert bedingt. Je mehr Waren erworben werden können, desto werthaltiger ist das Geld. Theoretisch ist also auch Fiat-Geld werthaltiges Geld, insofern mit ihm Waren erworben werden. Doch der Haken besteht darin, daß seine Werthaltigkeit um die Geldmenge gemindert wird, die im Umlauf ist und mit der jederzeit Waren gekauft werden können. Ist also ein Geldüberschuß zu den Waren und Dienstleistungen da, dann sinkt die Werthaltigkeit des Geldes. Man spricht von Inflation. Also muß vom Standpunkt der Herrschenden die den Konsumenten zur Verfügung stehende umlaufende Geldmenge gemindert werden. Und das ist die Aufgabe des Zinses. Mit dem Zins wird werthaltiges Geld abgeschöpft. Der Zins ist insofern ein Mittel der Umverteilung der Waren und Dienstleistungen in der Gesellschaft. Und zwar funktioniert das garantiert und ohne Getöse, weil mit ihm die Geldmenge verringert wird, die den Konsumenten, den Bürgern, zur Verfügung steht oder durch zusätzliche Geldschöpfung die Werthaltigkeit des Geldes verdünnt wird. Deflation und Inflation haben die gleiche Wirkung für den Konsumenten, seine Kaufkraft sinkt um die Größe, die mit dem Zins abgezwackt wird. Und die Bürger sind bereit, die Zinsen zu zahlen, weil der Staat, dessen Führer sie gewählt haben, die Schulden „in ihrem Auftrag“ gemacht hat.

 

 

Wer sich die Zinsen einsteckt, der verfügt über reale Kaufkraft. Der Zins ist die Aneignung von Kaufkraft ohne Gegenleistung des Zinsnehmenden durch ein Warenangebot. Er ist nicht der Preis des Kredits. Es ist also falsch, das Recht auf den Zins mit dem Kredit zu begründen. Der Kredit ist nur das Mittel, um den Zins zu erzwingen und zu rechtfertigen. Das Recht auf den Zins beruht wie jedes Recht auf Ausbeutung auf dem Recht des Stärkeren. Dieser setzt das Geld ein wie eine Waffe. Und letztlich sichert er sich auch sein Recht mit Waffen. Hinter dem Zins steckt also keine Leistung. Geld ist Tauschmittel und als Zins Herrschaftsmittel. Er ist Entzug von Kaufkraft, der von allen Bürgern getragen werden muß. Über Zins und Steuer werden alle Bürger erfaßt. Aber in der Herrschaftsgesellschaft eignen sich einige einen Teil dieses Entzuges über den Zins an und finanzieren damit die Ausübung der Herrschaft. Die Banken besorgen das Geld, mit dem der Staat seine Macht finanziert. Insofern sind Banken tatsächlich systemrelevant. Damit ist der Zins eine Bedingung der Herrschaftsgesellschaft, ein Tribut an diese.

 

 

Im Unterschied zum Zins ist der Kredit eine Bedingung der erweiterten Reproduktion. Diese Unterscheidung ist in der politischen Auseinandersetzung unbedingt zu beachten. Für die Erneuerung der Gesellschaft ist der Kredit unumgänglich, nicht jedoch der Zins. Der Zins als Makel des Kredits darf nicht wie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden.

 

Die drückende Last der Schulden kommt durch den Zins zustande. Deshalb haben wir schon vor Jahren ein Schuldenmoratorium gefordert, manche nennen es auch Zinsmoratorium. Gegen dieses Moratorium wurde eingewendet, daß mit ihm das Zinssystem und damit das Motiv der Kreditgewährung außer Kraft gesetzt würde. In der Tat, werden die Zinszahlungen eingestellt, so werden die Banken trocken gelegt und die von Privatinteressen gesteuerten Geldströme kommen zum Erliegen. Es fehlt den Kritikern einfach die Phantasie, daß die gesamten Geldbewegungen in einem Staat auch durch eine demokratisch legitimierte Bank gesteuert werden können. Das wichtigste Gegenargument war also, daß die Geldanleger damit geschädigt würden, da sie ja Teilhaber am Zins sind. Dazu soviel: Als Steuerzahler kann sich niemand der Zinszahlung entziehen. Er kann nur seinen Tribut mildern, insofern er Staatsanleihen erwirbt und der andere nicht. Wenn alle gleichviel Staatsanleihen haben, fällt dieser Vorteil weg, denn die Zinssumme würde sich dann auf alle gleich verteilen.

 

Das Verhältnis zwischen Banken und Staat kann man mit der Redewendung „eine Hand wäscht die andere“ kennzeichnen. Der jüngste Beschluß des Bundestages zur Griechenland-Hilfe hat gezeigt, daß von diesem Bundestag keine bürgerfreundlichen Entscheidungen zu erwarten sind. Die Abgeordneten schützen die Bürger nicht vor den Banken, sondern lassen sich mehrheitlich von der Bundeskanzlerin an die Leine nehmen. Das Parlament fungierte nicht als selbständige Institution, sondern als Willensvollstrecker der Banken. Daraus ergibt sich: 90% der Deutschen stehen auf der einen Seite und Bundestag und Bundesregierung stehen auf der anderen Seite. Innenminister Hans-Peter Friedrich ist ein unrühmliches Beispiel dafür, wie sich Abgeordnete dem Druck der Bundeskanzlerin beugen, ihren Eigennutz über den Gemeinnutz stellen. Dieses charakterliche Defizit ist besonders bei den Grünen usus. Unter deren Abgeordneten gab es nicht einen, der die Einsicht und den Mut hatte, der Parteiführung zu widersprechen. Einzig die LINKEN haben der verhängnisvollen Fehlentscheidung ein geschlossenes NEIN entgegengesetzt, ohne jedoch ein Zinsmoratorium zu fordern. Noch fehlt im Bundestag die freiheitlich-demokratische, EU-kritische Alternative, die weder links noch rechts die Lösung sucht, sondern sich einzig am Wohl des ganzen Volkes orientiert.

 

 

Daß Europa auf der Stelle tritt, hat nicht zuletzt seinen Grund darin, daß Deutschland als Zentrum Europas keine Initiative entwickelt. Deutschland ist unter den europäischen Ländern das einzige Land, in dem es keine populäre EU-kritische Partei gibt. Im Widerspruch dazu ist aber die EU-Kritik theoretisch weit vorangetrieben. Die Professoren Hankel, Schachtschneider, Starbatty u.a. haben in den vergangenen Jahren eine bedeutende Vorarbeit geleistet. Sie haben einen großen Anteil daran, daß sich im Land ein breiter Unwille artikuliert. Das hat dazu geführt, daß sich auch in den Parteien, mit Ausnahme der Grünen, kritische Stimmen meldeten, wie Schäffler, Willsch und Kolbe. Aber es fehlt die freiheitlich-demokratische Alternative mit einem klaren Nein zu EU, Verschuldung und Euro, die sich offen der Bundesregierung entgegenstellt. Das wäre ein hoffnungsvolles Signal für die anderen Völker und würde dem gemeinsamen Kampf gegen den Niedergang Europas starke Impulse verleihen.

 

Deutschland muß den Weg aufzeigen und selbst einschlagen, der aus der Verschuldung herausführt. Was die Bundesregierung speziell seit dem 17.10.2008 angerichtet hat, als sie das Finanzmarktstabilisierungsgesetz durch den Bundestag peitschte, ist völlig irrational und nicht mehr durch die Wirtschaftskräfte heilbar. Weder durch Sparen, noch durch eine Geldschwemme ist die Abwärtsspirale aufzuhalten, weil auf beiden Wegen der Wirtschaft und dem Volk Reproduktionskräfte entzogen werden. Unabhängig von allen internen Streitereien in der EU, Europa verliert beständig an Innovationskraft. M. Draghi richtet den Schlag auf den entscheidenden Punkt, wenn er meint: „Das alte europäische Sozialstaatmodell ist tot, weil es viel zu oft nicht ohne Schulden auskam.“ (siehe: Spiegel-online vom 22.03.2012) Dieser Angriff auf den Bismarck`schen Sozialstaat ist nicht neu, geht aber eben am wirklichen Problem glatt vorbei. Und Draghi hofiert die deutsche Politik, siehe Schäubles Genugtuung über den plausiblen Zusammenhang zwischen Sparen und Schuldenabbau, wenn er fortführt: „Die Deutschen haben es neu erfunden (er meint das abschüssige Sozialstaatsmodell von Rot-Grün und Schwarz-Gelb) – ohne übermäßige Schulden.“

 

 

Das Zinswuchersystem muß überwunden werden, das uns in diese Kalamität gebracht hat. Jede Sanierung ohne Systemänderung wäre kontraproduktiv. Deswegen sagten wir an anderer Stelle schon, die Krisenüberwindung und die gesellschaftliche Erneuerung sind zwei Seiten eines Vorgangs.

 

Nicht nur Griechenland, alle EU-Länder, Deutschland also eingeschlossen, brauchen den sogenannten Schuldenschnitt, der zu einem tatsächlichen Abbau der Schulden führt. Das ist eine ökonomische Notwendigkeit, denn mit dem heutigen Schuldenberg und seiner anhängenden Zinsbelastung führt kein Weg in die Zukunft. Es fehlen die Mittel, die für eine Erneuerung gebraucht werden. Aber der Schuldenschnitt ist auch eine politische Notwendigkeit, weil er den Staaten die Finanzquelle ihrer falschen Politik stilllegt und die Banken auf ihre finanztechnische Rolle im Reproduktionsprozeß zurückführt. Und schließlich wird durch einen europäischen Schuldenschnitt verhindert, daß die Völker gegeneinander ausgespielt werden, wenn z.B. Deutschland vom gebeutelten Griechenland Zinsen einkassiert.

 

 

Ein solcher Schuldenschnitt ist ein Akt des gemeinsamen Vorgehens der europäischen Völker. Er schafft ein Fundament für die künftige vertrauensvolle Zusammenarbeit. In der heutigen EU werden die Schulden von den schwachen auf die starken Länder verlagert und allen zusammen wird die Finanzhoheit genommen. Das erzeugt Zwietracht zwischen den Ländern und am Ende zählen alle Völker zu den Verlierern.

 

Die Forderung der Demokraten, die der gegenwärtig herrschenden Politik entgegengesetzt werden muß, kann daher nur lauten: Europa muß schuldenfrei werden.