Die Krise und ihre Konsequenzen

 

 

22. Juli 2009 FP Deutschlands

 

von J. Hertrampf

 

Die inflationäre Geldpolitik der USA führt dazu, dass die Zahl der Staaten, die dem Dollar als internationaler Leitwährung den Rücken kehren wollen, anwächst. Wenn niemand die amerikanische Währung haben will, weil sie absehbar zum reinen Inflationsgeld wird, dann gibt es zwei Möglichkeiten, dass erstens eine neue Leitwährung geschaffen wird oder, dass zweitens die Länder ihren Warenaustausch unter Zugrundelegung ihrer eigenen Währungen vornehmen. Beides hätte für die USA zur Folge, dass sie nicht mehr aus der ganzen Welt Werte abschöpfen können, indem sie Geld drucken und auf den Markt bringen, sondern für die Befriedigung ihrer Ansprüche nur auf die eigenen Kräfte zurückgreifen können. Dass trotzige „Yes, we can“ steht also vor einer großen Bewährungsprobe. Dabei geht es nicht darum, die Frage, neue Leitwährung ja oder nein, durch eine Macht oder Institution entscheiden zu lassen. Ob ein Staat den Dollar fallen lässt oder nicht und wie er dann seinen internationalen Handel abwickelt, liegt im Ermessen eines jeden Staates selbst. Niemand hat Vorschriften zu machen. Jeder Staat soll selbst entscheiden, welchen Weg er bevorzugt. Die Souveränität der Staaten verbietet es, ihnen diese Entscheidung zu entziehen.

Der Welthandel muss frei sein von Bevormundungen durch internationale Institutionen, wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds und WTO, die von den großen Staaten dirigiert werden. Wenn die USA ihre Führungsrolle im internationalen Finanzsystem verlieren und damit in ihre nationalen Schranken gewiesen werden, dann darf diese gewonnene Freiheit nicht postwendend durch andere Großmächte wieder zunichte gemacht werden. Der Wunsch, sofort wieder eine neue Leitwährung einzuführen, also nur einen Rollentausch vorzunehmen, würde nur zu neuen internationalen Interessengruppierungen führen, die neuerliche Spannungen zur Folge hätten. Die Welt braucht jedoch weder politische, noch wirtschaftliche Blöcke. Solche Blöcke erzeugen Spannungen, die von den Menschheitsproblemen ablenken. Die Kräfte, die durch solche Spannungen gebunden werden, gehen der Suche nach neuen Gesichtspunkten und neuen technischen Lösungen verloren. Interessenkonflikte zwischen Blöcken sind geschichtlich unproduktiv und müssen der Vergangenheit angehören. Das wird am besten dadurch erreicht, dass solche Blockbildungen vermieden werden.

 

Betrachtet man die Schritte, die von den westlichen Regierungen zur Bekämpfung der Finanzkrise gegangen wurden und erinnert man sich der vollmundigen Versprechen, dass alles getan werden muss, damit sich so etwas nie wiederholt, dann fehlt es bisher an Taten, die dem entsprechen würden. Das einzige, was die Regierungen sofort gemacht haben, war, riesige Geldmengen in das internationale kapitalistische Finanzsystem zu pumpen und damit den Völkern schwere Schuldenlasten aufzubürden. Bei der Suche nach den Ursachen blieb man tunlichst an der Oberfläche. Aber selbst bei diesem flachen Geplätscher gab es keine Konsequenzen, so dass sich die Frage stellt, ob hinter der ganzen zur Schau gestellten Betroffenheit tatsächlich die Absicht besteht, an dem System etwas zu ändern. Und hier berühren wir den wunden Punkt: nach dem, was bisher geschehen ist, drängt sich der Eindruck auf, dass es an der ernsten Absicht fehlt, etwas am Finanzsystem zu ändern. Vielmehr scheint es das Ziel zu sein, den Druck des Systems auf die Völker noch mehr zu erhöhen, so dass es nicht zu der von den Menschen erhofften Erholung kommen kann. Schulden und Zinsen sind die geeignetsten Mittel für eine steigende Ausplünderung, weil sie die arbeitenden Menschen dazu bringen, die Tretmühle immer schneller in Gang zu halten.

Die unbedingte geistige Voraussetzung dafür ist, dass die Opfer den Zusammenhang von Schulden und Zinsen wie ein unveränderbares Naturgesetz hinnehmen. Und so redet man über alles, nur nicht darüber, ob man sich von diesem Schuld-und-Sühne-Komplex befreien kann. Selbst die Scheinoppositionellen leisten hier mit ihrem sozialen Schutzschirmversprechen Hilfsdienste, indem sie Sicherheit vorgaukeln, denn wer unterm Schirm im Trockenen steht, der kann von Schulden und Zinsen nicht nass werden. Diese Irreführung finden wir bei den Linken und ihren rechten Widersachern.

 

Die Verschuldung der Völker hat innerhalb einer kurzen Zeit so schwindelerregende Ausmaße angenommen, dass schwere Unwetter zu erwarten sind. Wer diese Gefahr nicht aufzeigt, ihr nicht ins Auge sieht und nicht ein Gegenkonzept entwickelt, der sorgt dafür, dass die Opfer ihrem Verderben nicht entgehen werden.

 

Am Finanzsystem hat es keine grundsätzlichen Änderungen gegeben. Von den Herrschenden sind auch keine Überlegungen zu erwarten, wie man das System ändern kann, denn damit würden sie sich selbst das Wasser abgraben. Die Änderungsvorschläge können nur von systemexternen und systemkritischen Kräften kommen. Das sind zum einen die Staaten, die nicht zur westlichen Welt gehören und sich gegen deren Zugriffe wehren. Während Präsident Obama von der Führungsrolle der USA spricht, als könne die Welt nur so genesen, haben sich die BRICS-Staaten auf einen Kurs geeinigt, der sie von den USA unabhängig macht. Sie äußerten die Absicht, sich vom Dollarsystem abzukoppeln und stellten damit diesen Gedanken erstmalig auf eine starke politische Grundlage. Im Gespräch war, dass der chinesische Yuan den Dollar ablösen könne.

 

Die Volksrepublik China mit einer Bevölkerung von 1,3 Mrd. Menschen ist zu einer starken Wirtschaftsmacht geworden, obwohl sie vom allgemeinen technischen Niveau her noch nicht als Industrieland eingestuft werden kann. Ähnlich sieht es bei Indien und Brasilien aus. Die Wirtschafskraft dieser Länder liegt im immensen Nachholbedarf großer Menschenmassen. Von der Größe und wirtschaftlichen Dynamik her könnte China bzw. diese Gemeinschaft eine neue Leitwährung durchsetzen. Aber ist das realistisch? Gegenwärtig haben wir folgendes Bild: die hochentwickelten Industriestaaten stagnieren und die Schwellenländer prosperieren und haben ein hohes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Sie durchlaufen Phasen, die sie an die Industriestaaten heranführen. Dieser Prozess wird sich noch einen längeren Zeitraum hinziehen, mit dem Ergebnis, dass die Schwellenländer das Niveau der Industriestaaten erreichen. Diese Angleichung zeichnet sich ab, ist aber nicht wünschenswert, weil damit die globalen Probleme verschärft werden. Die Ziele der Schwellenländer sind ihrem Entwicklungsstand geschuldet, sie sind nicht die Lösungen für die Zukunft. Eine von ihnen bestimmte Leitwährung hätte keine Leitfunktion, da die Ziele nicht über das derzeitige Niveau der westlichen Industriestaaten hinausgehen. Der Gedanke der Leitwährung ist geschichtlich überholt, weil er Vormacht einräumt und damit Herrschaft impliziert.

 

Die Industriestaaten bringen keine Lösungen für die Hauptprobleme der heutigen Menschheit hervor. Sie sind von panischer Angst befallen, ihre Vorherrschaft zu verlieren. Die sogenannten Schwellenländer haben ein hohes Wirtschaftswachstum, das sich an den Zielen der westlichen Industriestaaten orientiert. Ein neues Gesellschaftsmodell ist bei ihnen noch nicht erkennbar. Wenn aber die ganze Welt sich auf dem Niveau der westlichen Industriestaaten befindet, dann ist sie verloren, weil die Erde ein solches Niveau nicht verträgt. Die künftige Welt kann nicht nach dem Muster der westlichen Zivilisation funktionieren, auch wenn von ihr starke materielle Anreize ausgehen. Der größte Teil der Menschheit lebt unter unwürdigen Verhältnissen, die schnell überwunden werden müssen. Das ist ein humanistisches Gebot und zugleich ein sicheres Mittel gegen künftige bedrohliche Verteilungskämpfe.

 

Die Hauptverantwortung für die Suche nach neuen Wegen liegt bei den technisch führenden Industriestaaten. Ihre Stagnation ist ein großer Schwachpunkt der gegenwärtigen Menschheitsentwicklung. Diese Stagnation ist der wichtigste Grund für die weltweiten ökologischen und kulturellen Schäden der Gegenwart. Auf dieses Versagen bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung sollten sie ihren Blick richten und nicht darauf, dass die weniger entwickelten Ländern immer stärker zu ihnen aufschließen und die alten Verhältnisse umstoßen und dabei Umweltbelastungen verursachen. Es ist völlig falsch, in diesen Ländern aufstrebende Rivalen zu sehen, gegen die man sich behaupten müsse. Der Verlust des alten Vorsprungs der Industriestaaten ist für die Menschheit wünschenswert und darf nicht verzögert werden. Das, was die aufschließenden Länder an Mehrbelastungen hervorbringen, muss durch die fortgeschrittenen Staaten kompensiert werden, so dass die Angleichung des Wohlstands nicht zu einer Mehrbelastung des natürlichen Haushalts führt, sondern in der Tendenz sogar zu einer Entlastung. Das ist auch eine Seite von Solidarität mit diesen Völkern. Die technischen Innovationen müssen aber in erster Linie von den westlichen Industriestaaten kommen, aber sie kommen nicht, weil sie, wie gesagt, damit beschäftigt sind, ihre Führungsrolle zu behaupten und dieser ihre ganze Aufmerksamkeit unterordnen. Die Verantwortung der Industriestaaten zu betonen, bedeutet nicht, dass die sogenannten Schwellenländer nicht auch technische Neuerungen großen Stils hervorbringen sollten. Doch die Hauptanstrengungen müssen vorläufig noch bei den fortgeschrittenen Industriestaaten liegen, bei Wahrung des partnerschaftlichen Verhältnisses zu allen weniger entwickelten Ländern.

 

 

Wenn die Industriestaaten aber auf Grund ihrer bornierten Interessen das nicht leisten – und die letzten Gipfeltreffen belegen das eindeutig -, wer soll dann das neue Denken in diesen Ländern in Gang bringen? Diese Aufgabe fällt der demokratischen Opposition zu. Auf ihr ruht die Verantwortung, weil die Regierenden versagen. Sie muss nicht nur appellieren und moralisieren, sie muss auf Systemveränderungen hinwirken. Die Beseitigung des kapitalistischen Finanzsystems nimmt nicht nur den Völkern die schwere Schuldenbürde von den Schultern, sondern macht auch der Realwirtschaft den Weg frei, die notwendigen technischen Höchstleistungen zu erbringen, damit die Menschheit überleben kann.

 

Das Dilemma besteht aber darin, dass die demokratische Opposition ihrer Verantwortung nicht gerecht wird. Ihr fehlt der Mut, die Rolle zu spielen, die ihr zukommt. Sie scheut vor der Verantwortung zurück. Wenn es ernst wird, weicht sie aus. Das kann man bei allen prinzipiellen Fragen beobachten. Es scheint so, als wolle sie nicht jegliche Bindung mit den Regierenden verlieren. Welchen Wert hat aber eine Opposition, die nicht kämpfen will? Die überall den Kompromiss sucht und immer den Kürzeren zieht?

 

Die Finanzkrise ist das Fiasko der Globalisierung. Sie beweist, wie morbid das System ist. Aber wie wir schon an anderer Stelle gesagt haben, können wir das System nicht einfach abschaffen – weil gar kein anderes fix und fertig zur Stelle ist -, sondern man sollte nur das herauslösen, wie bei einer Operation, was überflüssig ist: den Finanzkapitalismus. Und das bedeutet, dass an die Stelle des imperialen Geldsystems ein anderes gesetzt wird.

 

 

Als der Euro eingeführt wurde, gelang es den Herrschenden noch, eine abwartende Toleranz in breiten Schichten des Volkes zu erzeugen. Heute, nach dem Einbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise und der unersättlichen Gier der Banken nach immer neuen Milliarden, sieht die Sache anders aus. Die kritische Stimmung im Volk wird unüberhörbar. Die Absicht der demokratischen Kritik kann nicht sein, das bestehende internationale Finanzsystem weniger störanfällig machen, sondern seine Absicht muss sein, dieses zu entfernen. Und das bedeutet, die nationale Finanzhoheit wieder herzustellen und zu stärken. Die Auflösung des internationalen Finanzgeflechts und die Wiederherstellung der finanzpolitischen Souveränität der Nationalstaaten bedingen sich gegenseitig. Das bedeutet: der konsequente Demokratismus unterstützt die Abschaffung des Dollars als internationale Leitwährung, aber er lehnt es ab, eine neue, großmachtbestimmte internationale Leitwährung einzuführen. Die Anerkennung der Souveränität der Vielfalt schließt die Anerkennung der monetären Vielfalt ein.

 

 

Wenn die Finanzkrise das Fiasko der Globalisierung deutlich gemacht hat, dann hat sie auch das Fiasko der EU deutlich gemacht, denn die EU ist die europäische Variante der Globalisierung. Wer die alte EU-Politik weiterführen möchte und zugleich verkündet, die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zu bekämpfen, der ist ein Rosstäuscher. Die Krise der EU ist ein besonderes Erscheinungsbild der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Daher hat die EU im bisherigen Verlauf der Finanzkrise weiter nichts fertig gebracht, als was die einzelnen Staaten auch fertig gebracht haben: sie hat Geld auf den Markt geworfen, das sie nicht hat. Die jüngsten 442 Mrd. Euro sind eine solcher folgenschwerer Phantasieakt. Die EU hat also nicht Bemerkenswertes, nicht Originelles vollbracht. Nicht die EU, sondern die Realwirtschaft hat Widerstand gegen die Krise angemeldet. Gab es zu Beginn der Krise noch schwerste Vorwürfe wegen des Protektionismus, so haben die Staaten dann unter dem Druck der Realwirtschaft gesonderte Maßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen auf die Wirtschaft abzufedern. Eine solche Maßnahme ist die Abwrackprämie. Sie beruht auf einzelstaatlicher Entscheidung und beweist, dass die Staaten, wenn sie etwas zugunsten der Realwirtschaft unternehmen, die Brüsseler Zentrale nicht brauchen. Das muss man betonen, obwohl die Abwrackprämie den wirtschaftspolitischen Dilettantismus der Regierung offenbart.

 

 

Die Überwindung der Wirtschaftskrise kann nur über nationalstaatliche Aktivitäten erfolgen, Aktivitäten, in denen die Interessen der Bürger und der Realwirtschaft zusammenfließen. Bürger und Realwirtschaft stehen in gemeinsamer Gegnerschaft zum kapitalistischen Finanzsystem. Dabei muss jeder Staat seine Weise herausfinden, wie er sich zur Wehr setzt. Die Krise muss national bekämpft werden. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei der Überwindung der Krise in erster Linie um einen politische und erst in zweiter Linie um wirtschaftliche und finanztechnische Entscheidungen handelt, die ohne Teilnahme der Bürger nicht richtig getroffen werden können.

 

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Länder darf die nationale Selbständigkeit der Länder nicht einschränken. Das ist auch die Ansicht des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus, der sehr um den Verlust der Souveränität seines Landes besorgt ist. Die Vernunft ist hier nicht von den Eurokraten in Brüssel und vom EU-Parlament zu erwarten, sondern von den Völkern, die auf vielfältigste Weise ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht haben. Deshalb muss die Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes auch eingegrenzt werden. Es ist eine juristische Bewertung des Lissabon-Vertrages und keine gesellschaftliche Bewertung der EU. Aber wieso darf ein solches Urteil übergreifende Bedeutung haben? Es ist ein Unding, dass ein Gericht das letzte Wort haben soll, obwohl der Gegenstand seiner Bewertung ein ganz anderer ist. Das letzte Wort haben die Bürger.

 

 

Die Einführung des Euro hat den europäischen Volkswirtschaften nicht den angekündigten Auftrieb gebracht. Die Volkswirtschaften in der EU stagnieren. Wiegen die Reiseerleichterungen infolge des Wegfalls der Umtauschpflicht und des Schengener Abkommens die Stagnation auf, die eingetreten ist? Welche nachweislichen Vorteile hat die EU unserem Volk gebracht? Dafür aber eine enorme finanzielle und bürokratische Belastung. Deshalb braucht die EU nicht nur eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag, sondern über die ganze bisherige Richtung, sie braucht eine Volksabstimmung über die EU selbst. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag macht eine solche Grundsatzdiskussion und Grundsatzabstimmung der Bürger nicht überflüssig. Eine Sternstunde der Demokratie war die Urteilsverkündung nicht, weil dieses Urteil den Bürger außen vor ließ, weil es nicht bis zum Kern der Sache vordrang. Deswegen lässt dieses Urteil den Bürger auch kalt. Allmählich wächst sein Groll, bis er selbst die Bühne betritt und die Regie übernimmt.