Die Besinnung auf das Natürliche

 

 

30. Juli 2012 FP Deutschlands

von Dr. J. Hertrampf

 

Es ist nicht zu übersehen – der Politik fehlt eine Gestaltungsidee.
Was die Regierung auch an großen Vorhaben anpackt, die Energiewende, die Eurorettung, die Krisenbewältigung, immer zeigt sich bald, daß die Sache nicht klappt.

Wenn nun trotzdem die Bundeskanzlerin sagt, daß ihr Politik Spaß macht und sie deshalb gern eine weitere Wahlperiode die Regierung führen würde, so möchte man einwenden, daß der Wähler dies hoffentlich verhindern wird. Ein politisches Amt wird in einer Demokratie nicht vergeben, um jemanden einen Gefallen zu tun, sondern um die bestmögliche Leitung eines öffentlichen Anliegens zu gewährleisten. Eine Verteilung von Ämtern nach dem Spaßprinzip hat mit Demokratie nichts zu tun. Eine solches Wunschdenken legt die demokratiefremde Einstellung der Bundeskanzlerin offen. Ein Demokrat ist ein Mensch mit einer hohen sozialen Verantwortung. Aus dieser und nicht aus seinem Befinden leitet er seine persönlichen Schlußfolgerungen ab.

In einer Demokratie hat jeder das Recht, seine Meinung zu sagen. Da das uneingeschränkt gilt, hat niemand die Pflicht, sich der Meinung des anderen anzuschließen. Wer seine Meinung als alternativlos bezeichnet, verlangt Gefolgschaft und schließt die Suche nach einer anderen Lösung aus. Die Überlegenheit der Demokratie besteht nun aber gerade darin, daß die Antworten im Fluß bleiben, daß sie nur solange gültig sind, wie es keine besseren gibt. Es gehört zum Umgang unter Demokraten, daß sie die Gegenmeinung herausfordern, also nicht nur dulden und trotzdem das Gespräch suchen. Das gilt für jede Vereinskultur, das gilt vor allem für den Umgang der Regierung mit dem Volk. Wer diese Regel nicht einhält, ist für ein politisches Amt ungeeignet.

 

Hier liegen zwei entgegengesetzte Bewertungskriterien für den Erfolg von Politik vor. Das eine lautet: der Spaß entscheidet über den Erfolg und das andere lautet: der Nutzen für die Gemeinschaft ist maßgebend. Ein solches Spaßkriterium schließt den sozialen Nutzen aus. Der Spaß ist eigentlich das Kriterium für das Spiel. Beim Spiel entscheidet das persönliche Vergnügen der Beteiligten. Der Zweck des Spiels ist ganz persönlich. Die soziale Verantwortung ist höchstens eine Komponente, ein Material, mit dem gespielt wird. Damit ist der Zweck des Spiels definiert: Lusterfüllung. Das Spiel ist zwar für die Entfaltung des Subjekts förderlich, indem bestimmte Fähigkeiten geübt werden, aber das ist nicht vordergründiger Zweck. Wird der Spaß zum Zweck menschlicher Tätigkeit bestimmt, so in der Spaßgesellschaft, dann verliert das Leben seinen Halt, weil es sich von der sozialen Verantwortung abkoppelt. Der spielerische Umgang mit dem eigenen Leben und dem Leben der anderen ist ein sozial unverantwortlicher Umgang. Der Spaß an der Politik ist nur die angenehme Empfindung des Nutzens für den Politiker, die Selbstbefriedigung des Politikers. Spaß und gesellschaftliche Nützlichkeit sind nicht miteinander verknüpft. Der Spaß verlangt nur das persönliche Vergnügen und das Fehlen einer ernsthaften Gefahr. Doch genau diese entsteht, wenn der Spaß zum Zweck wird. Denn der Spieler verschließt sich bis zuletzt dem Risiko. Der Spieler verliert immer im wirklichen Leben.

 

Aber was ist die soziale Verantwortung, die im Leben an übergeordneter Stelle stehen muß? Sie ist das Sinnen nach der Wohlfahrt für alle. „Der Regen fällt nicht ihm, die Sonne scheint nicht ihr: du auch bist anderen geschaffen, und nicht dir“, schrieb der schlesische Philosoph Silesius. Der Sinn ist demnach nicht an sich zu erkennen, sondern nur aus dem Zusammenhang mit anderen und schließlich: mit anderem. Diese soziale Verantwortung kommt in den ethischen Prinzipien zum Ausdruck. Ein Mensch, der sich von ethischen Grundsätzen leiten läßt, der handelt verantwortlich. Eine Verantwortung nur auf sich bezogen, ist sinnlos. Diese ethischen Prinzipien beziehen sich auf den Beitrag des Einzelnen für die Gemeinschaft. In der ganzen Zivilisation haben wir das Phänomen moralischer Gebote, die nachdrücklich auf den Zusammenhalt der Gesellschaft ausgerichtet sind.

 

Mit dieser abstrakten Orientierung steht die Moral in Widerspruch zur Herrschaft, die immer egoistisch ist. Die Moral ist somit das geistige Gegenstück zum bestimmenden Prinzip der Zivilisation. Sie ist ihre Korrektur und soll die Ausartung der Herrschaft verhindern. Bedient sich die Herrschaft der Moral, dann verliert diese ihre erhaltende Funktion. Sie ist also nur insofern eine erhaltende Bedingung der Herrschaftsgesellschaft, insofern sie auf Distanz zur Herrschaft steht und ihr damit hilft, das rechte Maß zu finden. Diese gegensätzliche Stellung der Moral wird von den Gesellschaftskritikern häufig verabsolutiert und die Moral zu einem Auswegbewußtsein stilisiert. Man brauche, meinen sie, die Gesellschaft nur nach den moralischen Grundsätzen zu organisieren und sie würde dadurch vollkommen werden. Und so appellieren sie an die Vernunft der Herrschenden und an die Bereitschaft der Notleidenden, ihr Leben neu einzurichten. Dabei übersehen sie, daß der Wert der Moral nur dadurch gegeben ist, daß ihr eine brutale Herrschaftsgesellschaft entgegensteht. Die Mauer stürzt um, wenn ihr die Stütze genommen wird und die Stütze fällt um, wenn sie nicht mehr die Mauer halten muß.

 

Das Auswegbewußtsein äußerte sich in der Zivilisation in idealen Gesellschaftsbildern, denen die zwingend wissenschaftliche Begründung fehlte. In der Religion war es das andere Leben im Jenseits und im Kommunismus das andere Leben im Diesseits. In der Religion ist es offensichtlich, daß sie die Menschen zu einer Anpassung an die bestehende Welt auffordert, da der Mensch als unvollkommenes Wesen die Welt nicht ändern könne. So bleibt ihm nur die Möglichkeit zu warten und seinen Glauben nicht zu verlieren. Dort, wo die Religion praktisch wird, macht sie die Welt erträglicher, aber nie mit dem Anspruch, sie von Grund auf zu ändern.

 

Anders bei den diesseitig orientierten Utopien. Auch bei ihnen gilt, daß sie zivilisationserhaltend sind, eben auf Grund dessen, weil sie die Menschen auf einen Weg orientieren, der nicht zum Ziele führt. Alle diese Utopien – auch die angeblich zur Wissenschaft geläuterte, ein Widerspruch in sich – sind gescheitert und haben bei den Menschen Verbitterung hinterlassen. So nützlich das utopische Denken, die Moral, unmittelbar für das Herrschaftssystem ist, auf Grund ihrer Kritik des Herrschaftssystems, so wenig kann man es einfach für die wirkliche Erneuerung der Gesellschaft einsetzen. Dieses Werkzeug paßt nicht, weil es für einen anderen Zweck gefertigt wurde. Das bedeutet, daß die Ideale der Zivilisation als Wegweiser nicht für die Überwindung der Zivilisation funktionieren. Die Verfolgung dieser Ideale wird immer wieder in die Herrschaftsgesellschaft zurückführen. Je mehr sich ihr illusionärer Charakter erweist, desto mehr werden ihre Verfechter Mechanismen der Herrschaftsgesellschaft anwenden. Sie scheitern an ihren eigenen Maximen. Mit diesem Bewußtsein kann die Erneuerung Deutschlands nicht erfolgen. Immer dann, wenn die Umsetzung beginnen soll, versagen sie.

Diese Schlußfolgerung ziehen wir, weil die Moral adäquates Bewußtsein ist. Sie ist nicht etwa falsches Bewußtsein, sondern sie ist ein den zivilisatorischen Verhältnissen entspringendes Bewußtsein. Dieses kann nicht einfach abgelegt werden, sondern es geht in die neue Bewußtseinsstufe ein, aber eben nicht als bestimmendes. Es liegt hier ein ähnlicher Rollentausch vor wie beim Übergang zum neuen technischen Typ. Auch dieser bedeutet nicht das Verschwinden seiner beiden Vorstufen, sondern eine neue Gliederung, an deren Spitze nun die automatisierte Technik steht. Von dieser gehen die Impulse zu einem gesellschaftlichen Wandel aus. Die abstrakten Ideale sind nicht mehr die geistigen Leitgedanken, aber sie bleiben Kriterien des Fortschritts. Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit usw. sind geistige Werkzeuge, aber sie stehen nicht im Mittelpunkt menschlichen Handelns.

 

Ein neues Denken ist weltweit noch nicht ausgebildet. Wenn gegenwärtig häufig moniert wird, daß die Veränderungen so zäh sind, dann liegt das vor allem am fehlenden geistigen Vorlauf. Dieser ist heute der Hauptgrund für die zunehmenden sozialen Spannungen. Dabei ist die Brisanz der Situation den Herrschenden durchaus bewußt. Die Finanzkrise wird zur allgemeinen politischen Krise. „Europa droht eine soziale Explosion“, sieht Martin Schulz, der Präsident des Europa-Parlaments, voraus. Natürlich möchten einerseits die Herrschenden eine soziale Explosion vermeiden. Andererseits wollen sie aber nicht auf ihre Privilegien verzichten. Das ist der Widerspruch, über dessen Lösung sie sich den Kopf zerbrechen.

 

An diesem Gordischen Knoten versucht sich auch Joschka Fischer. In einem Beitrag in der „Sächsischen Zeitung“ vom 19. Juli 2012 gibt er den Ratschlag, die europäischen Strukturen noch zügiger zu zerschlagen. Besonders hat er es auf Deutschland abgesehen. Deutschland ist in seinen Augen eine Gefahr für den Fortbestand der internationalen Finanzherrschaft. Deshalb deutet er die jüngsten Meinungsverschiedenheiten in der EU so: „Deutschlands Einfluß in Europa schwindet. Das ist gut, denn nun können die Mitgliedsstaaten entscheiden, wie ihre Union in Zukunft aussehen soll.“ Und als Resümeee´verkündet er: „In Europa wird eben nicht Deutsch gesprochen, sondern bestenfalls broken English. Und das ist sehr gut so, denn alles andere würde das europäische Projekt tatsächlich gefährden.“ Ist das Nationale für ihn ein störendes Hindernis auf dem Weg zum europäischen Einheitsstaat, so ist das Deutsch-Nationale für ihn geradewegs das Haupthindernis, das unbedingt aus dem Weg geräumt werden muß. Fischer und mit ihm die Grünen sehen im Nationalen die Ursache der europäischen Kriege. Sie verdecken damit die eigentliche Ursache: der Versuch der Finanzoligarchen, den Niedergang der Zivilisation militärisch aufzuhalten. Die eigentliche Absicht wird nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sehr deutlich. Neue Kriege werden ausgetüftelt, weil der Krieg ein Elixier der Zivilisation ist.

 

Fischer erkennt, daß das Nationale eine Organisationsform des Widerstands ist, die besonders in Deutschland verhindert werden muß. Deshalb verteufelt er das Nationale und erfüllt damit den Auftrag des internationalen Finanzkapitals. Man muß überhaupt sagen, daß die Grünen die wichtigsten ideologischen Vorreiter der Finanzoligarchie sind, denen am deutlichsten eine neue Weltordnung vorschwebt. Wenn sie allerdings die treibenden objektiven Gründe für die Zivilisationskrise erkennen würden, müßten sie sehr schnell einsehen, vorausgesetzt, sie würden eine sachliche Betrachtung anerkennen, daß dieses Zukunftsbild irreal ist.

Es ist also kein Zufall, daß sich das Hauptfeuer auf das Nationale richtet. Nur ist es eben vergeblich, weil der wissenschaftlich-technische Fortschritt die nationale Form begünstigt. Von daher ist es nicht auszuschalten. Wie anders sollen die protektionistischen Züge gewertet werden? Solche Leute wie Fischer müssen deshalb scheitern, auch wenn sie noch so verbissen gegen die nationale Opposition ankämpfen, auch wenn sie noch so gewissenlos die geschichtlichen Tatsachen verschleiern. Es ist unvermeidlich, daß ihn seine Kampfansage in die Isolation bringt, weil er sich gegen die Interessen des deutschen Volkes und aller anderen europäischen Völker stellt. Sein Fanatismus ist gegen die Logik der Geschichte machtlos. Er bestätigt mit seinem Beitrag in der „Sächsischen Zeitung“, daß die Aussage der demokratisch-nationalen Opposition richtig ist, wonach das internationale Finanzkapital die Auslöschung Deutschlands verfolgt, weil nur von Deutschland aus eine erfolgreiche Offensive zur deutschen und europäischen Erneuerung gestartet werden kann. Ohne Deutschland geht es nicht. Der Zerfall der EU und die Abschaffung des Euro werden den Deutschen als nationale Katastrophe hingestellt. Dennoch wird auch die Angst nicht die Notwendigkeit aufhalten und Deutschland wird dabei eine maßgebliche Rolle spielen.

 

Nun ist das Nationale ein Formelement, das die Menschen nach gemeinsamer Sprache, gemeinsamen Grenzen und gemeinsamer Geschichte zusammenschließt. Aber in ihm ist noch keine inhaltliche Zielsetzung festgelegt. In politischer Hinsicht wurde unter nationaler Fahne für sehr abstrakte Ideen gekämpft, die sich nachher in ihren Resultaten gar nicht mit den Erwartungen der beteiligten Menschen deckten. Das Nationale ist selbst ein Produkt der Zivilisation, dessen Ausrichtung von der demokratischen Opposition näher definiert werden muß. Es muß die Form sein, in der sich das Notwendige, das Progressive, Bahn bricht. Es genügt nicht, von der nationalen Befreiung zu sprechen, sondern es muß gesagt werden, worin diese besteht. Das Nationale ist eine Form, in der die Notwendigkeit wirkt.

 

Natürlich dürfen diese Inhalte nicht als ein langfristig angelegter Handlungsentwurf verstanden werden, den die Menschen einfach zu realisieren bräuchten. Deshalb müssen Demokraten Visionen ablehnen, da diese bedeuten, daß einer für alle denkt. Jede Generation muß sich ihre Aufgaben und Wege selbst erarbeiten. Zum technischen Fortschritt gehört auch die Entwicklung neuer Sozialtechniken, die mit den Produktions- und den Kommunikationstechniken korrelieren.


Die Menschen müssen sich also auf zwei Ebenen bewegen: auf der Ebene der unmittelbar praktischen Gestaltung und auf der Ebene der Zukunftsvorbereitung. Auf diesem Gebiet reicht es aus, wenn sie die Prinzipien formulieren und neue sozialtechnische Fähigkeiten erwerben.

Das zentrale Problem der Erneuerung ist die Herstellung eines neuen Verhältnisses zur Natur, das darin besteht, daß die Menschen für diese die gleiche Verantwortung übernehmen, wie für sich selbst. Diese Problembestimmung ergibt sich unausweichlich aus der Technik, dem neuen technischen Typ, mit dem er heute der Natur gegenübertritt. Gleiche Verantwortung bedeutet hier, daß sie die Fähigkeit erwerben, die Natur in fortschreitender Weise zu reproduzieren. Wenn wir gesagt hatten, daß die humanistischen Normen für die Erneuerung nicht ausreichen, dann liegt der Grund darin, daß diese Normen nicht auch die gesamte Natur einbeziehen. Bestenfalls war das Verhalten gegenüber der Natur eine Ableitung des Verhaltens der Menschen untereinander, eine Übertragung der Maßstäbe des Menschen auf die Natur. Der Unterschied besteht darin, daß die künftige Gesellschaft sich als Mittel des natürlichen Zwecks versteht, die Maßstäbe menschlichen Verhaltens aus den natürlichen Gesetzen abgeleitet werden und nicht umgekehrt. Das bedeutet eine komplexe Neuausrichtung der menschlichen Lebensbereiche, seiner wirtschaftlichen, moralischen und ästhetischen Normen. Die Probleme der Natur spielen in seinem ganzen Leben eine zentrale Rolle und nicht erst dann, wenn sie zu einer Bedrohung seiner Existenz werden, so wie das heute der Fall ist. Die Natur erhält in seinem Leben ihren Eigenwert. Sie erhält ihn nicht zurück, da sie ihn noch nicht hatte, sondern der Mensch installiert ihren Eigenwert in sein Tun. Und das ist in dieser Hinsicht neu. Das ist das zentrale Anliegen der geistigen und praktischen Umwälzung. Das bedeutet, daß er nicht nur seine Aufgaben neu erledigt, sondern daß er sein ganzes bisheriges Schaffen neu aufarbeitet, seine ganze Geschichte aufarbeitet. Diese geschichtliche Aufarbeitung ist eine Bedingung seines Fortschritts. Vor ihm liegt eine arbeitsreiche Zukunft, eine Umwertung aller Werte und Umformung aller bisherigen Sichten und Formen. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht die Frage nach dem Zweck des menschlichen Daseins. Und diesen bezeichnen wir als den erweiterten Gegenstand menschlicher Tätigkeit.

 

Wenn wir heute sehen, womit sich die Regierenden befassen, müssen wir feststellen, daß sie davon
weit entfernt sind. Ihnen fehlt eine brauchbare Gestaltungsidee. Erst jüngst haben sie mit dem Bundestagsbeschluß zum ESM ein trauriges Exempel ihrer Unfähigkeit statuiert, das von einem neuen Parlament umgehend korrigiert werden muß.