Die alternative Kritik

 

13. Februar 2008 FP Deutschlands

 

von J. Hertrampf

 

Bei der Suche nach einem Ausweg wird immer wieder die Frage nach dem Standort gestellt, den man von einer Partei erwartet, die an der Spitze einer Erneuerungsbewegung stehen könnte. Zwar wird behauptet, dass die Bürger von Parteien die Nase voll haben und deshalb eine neue nicht akzeptieren werden, wie aber der andere spontane Weg in die Zukunft aussehen soll, bleibt unklar. Wenn die Bürger Parteien ablehnen, dann sind es die heutigen etablierten Parteien, die für den Niedergang der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich sind. Die Bürger wollen eine Änderung und alles, was dieser Änderung zum Besseren dient, werden sie unterstützen. Dieses ganze Geschwafel über Parteien JA, Parteien NEIN, Staat JA, Staat NEIN, sind Scheindiskussionen, die von der Suche nach einem Ausweg abzulenken.

 

 

Wo soll also die neue Partei stehen? Fast einhellig erhält man hier zur Antwort: in der Mitte. Denn wer in der Mitte steht, der hat die beste Übersicht und kann von den meisten gesehen werden. Die Mitte ist ein begehrter Platz. Sie bedeutet Stärke und Sicherheit und das sind zwei soziale Werte mit hohem Ansehen. Die Mitte steht für Ordnung und Wohlstand, also jenen guten Seiten einer Gemeinschaft, die vom Bürger hoch geschätzt werden. Deshalb unternehmen die Parteien alles, um beim Bürger in diesem Lichte zu stehen. Nur, so sind sie eben nicht und das wissen die Bürger, deshalb hat auch der Begriff der Mitte keine rechte Zugkraft mehr.

 

Trotzdem also: ab in die Mitte? Doch die Mitte ist besetzt. Alle Parteien erheben den Anspruch, für das Gemeinwohl da zu sein. Vor allem die CDU und die SPD sind nach eigener Überzeugung unverzichtbar für das Glück des Volkes und pochen deshalb darauf, Volksparteien zu sein. Die anderen Bundestagsparteien, einschließlich der Partei DIE LINKE, sind das unmittelbare Umfeld der Mitte, das die Handlungsspielräume der beiden Großen freihält. Doch was sich außerhalb des Bundestages bewegt, das ist politischer Rand. Im Bundestag sitzen also nur Abgeordnete – Regierungsparteien und Opposition – die entweder direkt die Verantwortung für das Staatsschiff tragen oder die Regierung bei der Umsetzung ihres Kurses mit wohlgemeinter Kritik beraten, damit sie nicht zu Bruch geht. Von dieser Opposition der Hiwis unterscheidet sich die außerparlamentarische, nicht regierungsfähige Opposition der Ränder, die zum politischen Vorfeld gehört, in dem die Parteien aber kräftig mitmischen. Auch diese Opposition erfüllt eine wichtige Aufgabe im Gesamtsystem: die Zersplitterung und Kontrolle der Kritik aus dem Volk in Initiativen und Organisationen. Das eröffnet ein breites Feld der subtilen Manipulation der Bürger zu einer gefügigen Masse.

 

 

Von dieser außerparlamentarischen Opposition ist jene zu unterscheiden, die jenseits von diesem ganzen Getümmel agiert, sich nicht vom System gebrauchen lässt und daher nicht nach Regierungsämtern strebt. Ihr Anliegen ist die gesellschaftliche Erneuerung, der Ausweg aus dem Irrgarten. Diese Opposition kann sich weder politisch, noch geistig auf eine bestehende Partei stützen. Wir nennen diese Opposition die demokratische Opposition oder die Opposition der freiheitlichen Demokratie, der es nicht nur um kosmetische Korrekturen geht, sondern um die Öffnung in eine freie Zukunft.

 

 

Seitdem sich die Demokratie als politische Kraft zu regen begann, hat sie nie eine dominierende Rolle gespielt. Das war so Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als sie sich energisch zu Wort meldete und sich nach zermürbenden Debatten der Monarchie unterwarf. Aber geradezu verhängnisvoll war ihr Versagen in der sogenannten „Weimarer Republik“, als sie schließlich einer fanatischen Diktatur das Feld räumte. Aber das war auch wieder so nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Aufrechten in beiden Teilen Deutschlands an den Rand der Politik gedrängt wurden. Der Grund für ihr Versagen in Deutschland ist offensichtlich darin zu suchen, dass sie nie recht wusste, welches ihr Leitbild eigentlich war – und das bis heute auch nicht weiß – und daher auch nie die Entschlossenheit aufbrachte, sich über das politische Gerangel zu erheben und als selbstbewusste und mitreißende Kraft die Führung zu übernehmen. Es entstand das Bild vom Demokraten als erfolglosem Gutmenschen, der letztlich an seiner kleinbürgerlichen Beschränktheit seine Grenze fand und nicht zu großen Gestaltungsentwürfen fähig war. Diese Schwäche erkannten seine Gegner sehr schnell. Die großen Zukunftslinien, die sie ihrerseits dem bangenden Volk versprachen, wurde nie Realität. Zum Schluss landete die Gesellschaft in einem Zustand, wo wieder die Demokraten auf den Plan traten, die ihre Ideale von Freiheit und Persönlichkeit als hoffnungsvoller Ausblick in die Zukunft propagierten.  Die Tendenz der gesellschaftlichen Bewegung war immer repressiv. So waren die Demokraten zwar stets zugegen, wenn der Druck der Herrschaft über das Volk zu groß wurde, aber nicht im entscheidenden letzten Akt, in dem die Würfel fielen und die Regeln des Regierens festgelegt wurden. So verhält es sich auch wieder in der Gegenwart, wo sich die Gesellschaft zersetzt und die politischen Strukturen das Leben abtöten, wo sich die totalitären Züge in der Gesellschaft verdichten. Wieder wird Ausschau gehalten nach den Demokraten, dass sie den Deus ex machina endlich hervorzaubern, der den Menschen die Freiheit gibt, ihre Anlagen und Hoffnungen in ihrem Leben zu verwirklichen. Bloß die Frage ist eben: was muss da getan werden, wie sieht der wirkliche Ausweg aus?

 

Verkünden die Demokraten ein Zukunftsbild, überzeugt und kühn? Oder sagen sie wenigstens, was zuvor weggeräumt werden muss, dass die Beseitigung der Nachkriegsordnung unvermeidlich ist und danach erst ein neuer Abschnitt deutscher Geschichte beginnen kann? Schrecken sie nicht vor der Fundamentalkritik zurück? Überwuchert nicht vielmehr die Kritik an den bestehenden Missständen den befreienden Blick nach vorn? Es ist zweifellos zu wenig, die Kritik am Bestehenden, die durchweg berechtigt ist, schon als Ausdruck demokratischer Gesinnung zu bezeichnen. Demokratie ist eben mehr als Einzelkritik mit angehängtem Verbesserungsvorschlag, mit dem Ziel, das System erträglicher zu machen. Die heutige Demokratie muss fundamentalkritisch sein, will das bestehende System durch einen neuen Zustand ablösen wollen. Nicht die gesellschaftliche Korrektur, sondern die Erneuerung muss das erklärte Ziel der wahren Demokraten sein. Doch woran sollen sie sich dabei orientieren? Die Antwort ist bei einigen schnell zur Hand: Die Ziele wurden in der Geschichte als Vorstellungen besserer Zustände erarbeitet, die nur bisher nie verwirklicht wurden. Ist das so? Unsere kritische Gegenfrage lautet daher: Sind die Ziele der Erneuerung schon tatsächlich vorformuliert in den Idealen der geistig-gesellschaftlichen Bewegungen der Vergangenheit? Geht es darum, endlich das zu verwirklichen, was diese vorgedacht haben? Hierauf antworten wir mit einem klaren Nein. Die Zukunft ist nicht einfach das Gegenbild der Gegenwart und Vergangenheit. Sie ist nicht schon embryonal vorgebildet, sondern sie ist eine Erfindung, die heute gemacht werden muss, sie ist eine originäre neue Leistung, die als Antwort aus den gegenwärtigen Widersprüchen gefunden werden muss, aber eben nicht schon vorhanden ist. Sich hier selbstgefällig zurückzulehnen und sich in den Idealen früherer Epochen zu sonnen, als ginge es nur darum, diese endlich umzusetzen, ist vergebliche Art, die Geister der Vergangenheit als Trümpfe ins Spiel zu bringen.

 

 

Die „Allianz Demokratischer Parteien und Organisationen“, die sich dem Leitspruch „Deutschland erhalten – Deutschland erneuern“ verpflichtet fühlt, hat diesen Weg nie beschritten, sondern war stets bestrebt, der demokratischen Opposition ein neues Gesicht zu geben. Mit ihren zwei Grundsatzpapieren, der “Gemeinsamen Erklärung“ von 2006 und dem „Aufruf“ von 2007 unternahm sie den Versuch, sich von sentimentalen Nachahmungen abzugrenzen und die mögliche Alternative aufzuzeigen.

 

Die erste Frage, die einer neuen Partei gestellt wird, lautet: Steht ihr rechts oder steht ihr links? Wenn auch das Bekenntnis zum Rechts-Links-Konflikt heute im allgemeinen nicht mehr so vehement vertreten wird, die Resultate des zwanzigsten Jahrhunderts stehen dem entgegen, so ist dieses Denken doch weiterhin präsent. Wenn es nämlich zur Sache geht, wenn alle Regeln des Anstands fallen, dann beginnt der nackte Klassenkampf, dann reduziert sich Politik auf Schlagabtausch von links nach rechts und umgekehrt. Dann fallen die Herren vom Schlage eines Herrn Kohl und Koch aus der Rolle. Die Bürger mögen solche Rückfälle nicht, aber für sie ist diese Einteilung eine leicht handhabbare Orientierungshilfe, die offensichtlich noch nicht ganz überholt ist.

 

Aus welchem Holz sind aber die Keulen, mit denen da aufeinander eingeschlagen wird? Was ist rechts und was links im politischen Sinne? Die Begriffe sind ganz abstrakt und bezeichnen keinen speziellen Inhalt, sondern werden im Nachhinein aufgefüllt. Die Tatsache, dass der andere gegenüber steht, reicht aus, in ihm einen Feind zu sehen. Doch der Zulauf entsteht erst dann, wenn auch soziale Ziele verfolgt werden. Diese sind der wirkliche Treibstoff der Opposition. Rechts und Links sind nur Mittel, ihn zur Verbrennung zu bringen. Wenn beide Seiten aus tiefer Überzeugung der anderen keinen fingerbreit nachgeben, beginnt der Kampf ums Überleben. Hier liegt der wirkliche Grund der Rigorosität. Die Furcht vor der Konkurrenz erzeugt die Unversöhnlichkeit beider Seiten, nicht der soziale Widerspruch, der sie hervorbringt. Daher sind auch die Gründe, weshalb man sich gegenseitig bekämpft, nicht rationaler, sondern emotionaler Natur. Die kritisch-theoretische Analyse ist in keiner Partei opportun. Die Behauptung des Guru ist wahr und darf nicht hinterfragt werden.

 

Den Herrschenden ist diese Kanalisation der realen Probleme ein willkommenes Mittel, denn damit werden enorme politische Widerstandskräfte gebunden, mit denen sie sich sonst selbst herumschlagen müssten. Ganze Heerscharen von Philosophen, Soziologen, Psychologen, sogar ein Kriminologe ist darunter, sorgen dafür, dass der wirkliche Grund für das „Teile und Herrschaft“-Spiel im Dunkeln bleibt.

 

Im Unterschied dazu gibt es für die Demokraten keine Maulkörbe und Scheuklappen. Sie suchen den Dialog mit allen, was ihnen als Inkonsequenz vorgeworfen wird. Die kalte Schulter zeigen, sei Stärke, die Abfuhr Überlegenheit. Und mancher Demokrat vermeidet den Kontakt, nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor diesem Vorwurf. Als M. Friedman mit H. Mahler sprach, war das ein Schritt, der die Absurdität des Antisemitismus als Ideologie mehr offenbarte, als die bezahlten Monologe der Fernsehkommentatoren. Die ideologischen Stützen sollen das brüchige System halten. Soziale Marktwirtschaft, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit verklären die Wirklichkeit. Alle Parteien, die sich diesen Ideologien verpflichtet fühlen, behindern die Erneuerung. Das betrifft auch die kleinen Oppositionsparteien und die sogenannten Querdenker in den etablierten Parteien. Wenn H. Geißler verkündet, nicht der Kapitalismus, sondern die soziale Marktwirtschaft ist das Wirtschaftsmodell, zu dem sich die CDU bekennt, dann beweist er damit das Unvermögen zu einer vernünftigen Alternative. Also brauchen wir noch mehr solcher Gespräche wie zwischen Friedman und Mahler, zu allen gängigen Themen, die das System stützen. Besonders die Linken begehen stur den Fehler, dass sie zu Gesprächen über den Graben nicht bereit sind. Aber das gilt für die Führer der anderen Parteien ebenso. Es gehört zur political correctness, die echten Probleme zu ignorieren und damit das oberflächliche geistige Wirrwarr zu erhalten und zu vergrößern. Das Chaos rechtfertigt die Herrschaft. – Rechte und linke Parteien sind von Natur aus reine Oppositionsparteien, aber infolge ihrer irrationalen Begründung ohne eigene Gestaltungsfähigkeit. In dem Moment, wo sie sich präsentieren müssen, übernehmen sie die von ihnen vorher verteufelten Formen und Gewohnheiten.

 

Die demokratische Alternative hat ein theoretisches Geschichtsverständnis, an dem sie ständig arbeitet. Sie kennt theoretisch wie praktisch keinen Stillstand. Das gravierende Merkmal zu allen bisherigen Parteien ist: sie ist eine Partei der permanenten fundamentalen Reform, in deren Ergebnis die Menschen eine Umwälzung durchmachen werden, vergleichbar der von der Urgesellschaft in die Zivilisation. Der treibende Grund ist damals wie heute der technische Fortschritt. Die durch ihn bedingte Umwälzung kann sich nicht mehr spontan vollziehen, wie bisher, sondern als vom Menschen gesteuerter Prozess. Die Technik selbst erzwingt nicht nur die Bewegung, sondern auch ihre Art und Weise. Daraus ergibt sich erstens, dass die Anerkennung der Erkennbarkeit der Gesellschaft die elementare Voraussetzung der Erneuerungskraft ist. Damit steht diese Partei im diametralen Widerspruch zum herrschenden Interesse, welches der Erkennbarkeit prinzipiell feindlich gegenübersteht und auf das Irrationale setzt. .

 

Der zweite große Unterschied zu aller bisherigen Bewegung ist die Herstellung eines neuen Naturverhältnisses. Hat der Mensch in der Zivilisation die Natur nur unter dem Gesichtspunkt seines Konsums betrachtet, was zu verheerenden Verwüstungen geführt hat, so muss er sie nun selbst als Zweck seiner Tätigkeit verstehen. Das trifft im speziellen für die organische Hülle der Erde zu. Die neuesten Erkenntnisse über die Naturzerstörung sind wahrscheinlich die auslösende geistige Bedingung für ein neues Handeln. Die Reproduktion der biotischen Hülle ist sein Gegenstand, nicht mehr nur seine Selbsterhaltung. Oder so ausgedrückt: seine Selbsterhaltung wird vermittelter.

 

Die Neugestaltung seines Naturverhältnisses ist eng verbunden mit der Neugestaltung seiner gesellschaftlichen Beziehungen. Und das schlägt sich drittens in der Schaffung von Bedingungen nieder, in denen die freie Individualität des Menschen der bestimmende Zug der zwischenmenschlichen Beziehungen ist. Es ist das nicht die Unabhängigkeit des Menschen, sondern eine bestimmte Abhängigkeit, die ihm freie Entfaltung garantiert. Auch dieser Zweck leitet sich unmittelbar aus der technischen Entwicklung ab, die ihm diese neue Abhängigkeit ermöglicht, aber auch als Lebensmaxime erzwingt. Dann, wenn freie Individualität möglich ist, muss sie umgesetzt werden, da sonst die Technik zerstörerische Wirkungen in der Gesellschaft hervorruft.

 

Die Funktion der menschlichen Beziehungen beruht in der ganzen Phase der Zivilisation auf der Gewalt, auf Strukturen, die rational organisiert wurden. Das war nicht nur zunehmend aufwendig, sondern ließ auch enorme subjektive Potentiale ungenutzt. Daraus ergibt sich viertens: Die geistige Grundlage einer höheren, sich freiwillig organisierenden Rationalität ist das ästhetische Bewusstsein, das in der ganzen bisherigen Entwicklung nur eine untergeordnete, ergänzende Rolle gespielt hat.

 

Die vor uns liegende Erneuerung muss über den Rahmen der Zivilisation hinausgehen. Sie kann nicht als Durchführung religiöser, ethischer oder sozialer Ideen und Utopien erfolgen. Auch nicht als zielloser spontaner Aktionismus. Diesmal heißt es: ohne richtige Theorie keine neue Praxis. Sie hat kein Vorbild in der Vergangenheit. Es wäre Betrug, den Menschen das Paradies auf Erden zu versprechen, aber ein erfülltes Leben ist möglich, ein Leben ohne Demütigung und Ausbeutung, als Merkmalen jeder Herrschaftsgesellschaft. Die freie Entfaltung der Individualität ist die innere und das Mittun des Menschen an der natürlichen Reproduktion ist die äußere Bedingung seines Glücks. Und im Maße er beides erreicht, findet er die Erfüllung seines Daseins. In seinem Verwobensein mit allem liegt sein Aufgehobensein über seine eigene Lebenszeit.