Der Welten Undank

 

3. Februar 2012

 

von J. Hertrampf

 

 

Die Bundesregierung findet für ihre EU-Politik keine Anerkennung, weder im eigenen Land, noch bei ihren Verbündeten. Vielmehr wird die Kritik immer lauter. Die EU ist nicht das Elysium, zu dem die Völker in freudiger Hoffnung hinströmen.

 

Sie ist ein Konstrukt, von oben aufgesetzt und nicht von unten gewachsen. Sie führt die Völker nicht zusammen, sondern entzweit sie. Wer sich besonders hervortut, der ist besonders verdächtig. Speziell Deutschland wird von allen beargwöhnt. Und dabei haben alle deutschen Regierungen stets ihre geschichtliche Verantwortung betont. Um alles richtig zu machen, haben sie als einzige in Europa das enge Verhältnis zu Israel zur obersten Staatsraison erklärt. Erst in jüngster Zeit wurde der Bundesregierung wieder die deutsche Geschichte unter die Nase gehalten, als sie Griechenland unter Kuratel stellen wollte und damit ihr Defizit an demokratischer Haltung offenbarte. Sie kann einfach das latente Mißtrauen der Europäer nicht entkräften.

 

Die EU-Finanzpolitik ist endgültig festgefahren.
Man kann zwei Maximen ausmachen, die je nach Bedarf herangezogen werden. Da ist erstens das amerikanisch-angelsächsische Vorgehen der freien Finanzwirtschaft, das einen lockeren, unbekümmerten Umgang mit Geld hat. Fehlt Geld, muß man es beschaffen – ist seine Devise, als Fiat-Geld und als Bürgschaften. Mit jeder neuen Geldblase tut sich das Ungeheuer der Inflation auf, die den Deutschen als Trauma in den Knochen steckt. Und da ist zweitens die Linie der strengen Haushaltsdisziplin und rigiden Sparsamkeit, die den Deutschen mehr liegt, obwohl sie bei ihnen nicht weniger böse Erinnerungen weckt. Im Hintergrund beider stehen die Interessen der weltweit agierenden Privatbanken, die wie in einem Spinnennetz die Völker eingefangen haben und ihre Gewinne einfahren, damit die großen politischen Weichenstellungen finanziell abgesichert sind. Die eine wie die andere Maxime weisen auf ein Ziel hin, sie sind für die Völker wie Regen und Traufe. Das Gerede um EU und den Euro, die angeblich beide für Europa gerettet werden müssen, ist nur die äußere Hülle, hinter der sich das alte Herrschaftsdenken verbirgt. Daher ist die ganze Suche nach einem schlüssigen Konzept nicht echt.

 

 

Verständlich, daß in dieser Situation keiner der Brüsseler Akteure sich zu weit aus dem Fenster lehnen möchte, denn er könnte schnell seinen Posten verlieren. In Griechenland, Italien und Spanien wurden die Regierungen ausgewechselt. Und in Frankreich steht das bevor. In Deutschland rücken die nächsten Bundestagswahlen näher und damit die Gefahr einer Riesenpleite für die CDU. So wächst die persönliche Angst, bei dem Monopoly auf der Strecke zu bleiben. Dieser Unmut ist es, der die Eurokraten mit dem Finger auf Deutschland zeigen läßt, weil einer den Schwarzen Peter haben muß. Die Deutschen sollen den Ton angeben und den Ausweg zeigen. Haben sie nicht immer ins Wunderhorn gegriffen und Geld verteilt? Denn das ist der springende Punkt, es fehlt an werthaltigem Geld. Und davon hat Deutschland noch Reserven, denn die Deutschen profitierten ja angeblich von EU und Euro am meisten. Das behaupten jedenfalls ihre Politiker. Mit diesem Argument wollen sie die Kritik unterbinden und stecken gleichzeitig in der Falle, denn wer viel profitiert, von dem wird das meiste erwartet. Daher spielt die deutsche Regierung auf Zeit: die Besserung kommt, man müsse nur Geduld haben.

 

 

Das Großkapital hat längst entschieden, daß der Euro das Zeitliche segnet. Der Euro ist nur eine Zwischenstation zur Weltherrschaft, ein Instrument globaler Machtpolitik. Nur haben die Politiker noch nicht grünes Licht. So sind sie weiter damit beschäftigt, einen europäischen Finanzteppich zu knüpfen, angeblich um den Euro zu retten und natürlich zum Wohle der Völker. In Wirklichkeit wird die nächste Stufe der monolithen Weltfinanzordnung vorbereitet, bei der der Euro nicht mehr gebraucht wird.

 

 

Ein Crash wäre für die Globalplayer kein Unglück, sondern ist ein Brandbeschleuniger bei der Umverteilung. Ein Crash ist in ihren Augen kein Zusammenbruch, sondern ein Umbruch, wenngleich unpopulär. Fein dosiert muß deshalb diese Wendung in die öffentliche Diskussion gebracht werden. Einige Ökonomen sagen ja schon seit langem, daß dieser Crash kommen wird, wie ein Naturereignis, sie sagen also nicht, daß man ihn vermeiden muß, sondern daß er kommt.

 

Befremden ruft hervor, wenn populistische, kleinbürgerlich-demokratische Kritiker den Crash voraussagen. Sie greifen gern die Angst der Leute auf, denn diese ist ein florierender Markt, auf dem sich gut Bücher verkaufen lassen. Sie geben sich als Volksfreunde aus und erteilen „gut gemeinte“ Ratschläge, wie man möglichst trocken unter dem Regen durchkommt. So raten sie allen Ernstes, das Ersparte in der Schweiz zu deponieren oder in Immobilien und Gold anzulegen und sich Nahrungsmittelvorräte für zwei Monate anzuschaffen. Als könnte damit der „Kleine Mann“ das heranziehende, unvermeidliche Unwetter überstehen. Sie schimpfen auf die Banken, um zu beweisen, daß ihr Protest von unten kommt und flunkern dem „Kleinen Mann“ die soziale Marktwirtschaft vor, die danach allen ein schönes Leben bringt. Sie sind die „Fröhliche“ der Banken, die aus der Tragödie ein Lustspiel machen. Auch für sie ist der Crash eine Geschäftsidee, die sie verteidigen. Nach ihnen liegt es bei jedem Einzelnen selbst, ob er die Chance nutzt, die sie aufzeigen. Diese egoistische Eigeninitiative, bei der jeder nur an sich selbst denkt, paßt durchaus ins herrschende Konzept.

 

 

Dem muß man entgegenhalten, daß diese dritte Katastrophe gründlicher sein wird als die beiden vorangegangenen im zwanzigsten Jahrhundert. Die Zivilisation ist in ihre letzte Krise getreten. Sie kann nur mit der Überwindung der Zivilisation enden. Die Kritik muß diese Konsequenz besitzen.
Wer ein Ende mit Schrecken propagiert, wie Herr O. Henkel, der setzt den Schrecken ohne Ende fort. Sein Nord-Euro würde die gleiche Wirkung haben, wie der Euro: die Zerstörung Europas. Wer für die Erhaltung der nationalen Souveränität ist, der muß für das unbedingte Recht auf nationale Währungen eintreten. Wenn die Wiedereinführung dieser nationalen Existenzbedingung Geld kostet, ist das kein Grund darüber zu lamentieren, sondern die Schuldigen zu bestrafen. Die Selbstkritik muß konsequent sein, Herr Henkel. Wenn Sie seinerzeit den heutigen Euro gefordert haben, war das ein Irrtum, der nicht durch den Nord-Euro korrigiert, sondern fortgesetzt wird.

 

 

Es gibt nur die Alternative: entweder eine Selbstzerstörung der Menschheit oder ein sukzessiver Ausstieg aus der Zivilisation. Schließt man die erste Variante aus, dann ist die zweite für jeden unausweichlich. Die Überwindung der Zivilisation reicht tief in die persönlichen Lebensumstände eines jeden Menschen. Sie ist nicht das Ablegen einer äußeren Machthülle, bei der das individuelle Dasein nur marginal berührt wird. Umgekehrt: die Überwindung der alten Machtstrukturen ist im Vergleich zur Schaffung neuer Lebensinhalte und Lebensformen die leichtere Aufgabe, wenngleich sie eine dominante Bedingung ist. Die Erneuerung stellt jeden Bürger vor grundlegende Entscheidungen. Ein Durch-die-Maschen- Schlüpfen gibt es diesmal nicht. Je mehr er sich zu entziehen sucht, desto schmerzlicher wird die Wandlung. Hinzu kommt, daß die Nutznießer der alten Verhältnisse alles versuchen werden, diese Ablösung zu vermeiden. Sie werden also Hindernisse aufbauen, die den einzelnen zwingen, sich weiter den alten Zwängen zu beugen und damit den Wandel verlängern.

 

 

Der Crash ist also keine Bedingung der Erneuerung, sondern ein zusätzlicher und überflüssiger Tribut. Der Crash ist eine brutale Umverteilung der Werte. Er ist eine Form der Erhaltung der alten Ordnung. Es ist völlig falsch, ihn mit einem Gewitter zu vergleichen, dem die schönstem Sonnentage folgen würden. Diese Feststellung hat grundsätzliche Bedeutung. Für die alternativen Demokraten kann es nur einen Weg in die Zukunft geben, auf dem zwei Aufgaben miteinander verknüpft sind: der Kampf gegen den Crash und die Einleitung der Erneuerung. In dem Maße wie es gelingt, den Crash zu vermeiden, befindet sich das Volk auf dem richtigen Weg. Die Erneuerung beginnt nicht nach dem Crash. Sie ist nicht eine Aufgabe von morgen, sondern von heute. Sie muß zu einer sofortigen Entlastung der Bürger führen. Die Erneuerung beginnt also mit der Formierung der Kräfte, die den Crash verhindern. Die Zukunft beginnt in der Gegenwart. Daher müssen die alternativen Demokraten zur Entschlossenheit aufrufen, unter allen Umständen den Crash zu vermeiden.

 

 

Ist die unbedingte Ablehnung eines finanziellen Zusammenbruchs realistisch? Muß die dritte Katastrophe nicht stattfinden? Die Unvermeidlichkeit liegt im heutigen System begründet, nicht in der allgemeinen menschlichen Genesis. Es gibt nur das Gesetz des Wandels, aber nicht des Gesetz des Zusammenbruchs der Menschheit. Zwar ist nicht auszuschließen, daß die Menschheit den Zweck ihres Daseins nicht erreicht, aber dieser Abweg wäre nicht gesetzmäßig. Er kann aus dem bisherigen Werdegang der Menschheit nicht gefolgert werden. Es liegt in der natürlichen Veranlagung und Befähigung des Menschen begründet, in seinem Handeln die spontane Naturwelt auf einem höheren Niveau zu reproduzieren. Dieses Grundgesetz des Menschen setzt sich nicht ohne sein Zutun durch, weil es ja nur im menschlichen Handeln existiert.

 

 

Dieses Gesetz muß auch die Maxime moderner Politik sein. In der deutschen Politik der Gegenwart ist von dieser Notwendigkeit nichts zu spüren. Bei ihr fehlt jeder Ansatz. Sie hat keinen Nerv dafür. B. Obama wurde Präsident, weil er mit seinem „Yes,we can“, dem amerikanischen Volk aus der Seele gesprochen hatte. Unbestritten haben ihn mächtige Kräfte, die gar nicht seinen Wandel meinten, geschoben und seinen Weg geebnet, um ihn für sich auszunutzen. In gewisser Weise ist das sogar das Schicksal Obamas, in dieser Widersprüchlichkeit agieren zu müssen. Seine Tragik ist ein Sonderfall der allgemeinen Regel, daß sich der Fortschritt in der Zivilisation hinter dem Rücken der Herrschenden durchsetzt.

 

Das amerikanische Volk nimmt die globalen Veränderungen wahr und die hilflosen Versuche seiner herrschenden Klasse, diesen Rollenverlust aufzuhalten, was zur Folge hat, daß die amerikanische Gesellschaft den starken Abwärtsstrudel nicht aufhalten kann. Obama weckte die Überzeugung, diesen Niedergang zu beenden. Er machte allerdings einen Fehler. Einerseits sprach er dem Volk aus der Seele, andererseits stützte er sich nicht auf das Volk, sondern auf seine demokratische Partei, die aber nur die andere Hälfte der Kräfte ist, die Amerika beherrschen. Das führte zwangsläufig dazu, daß er in seinem praktischen Tun weit hinter den Erwartungen blieb, die er geweckt hatte. Immer spürte man die starke Leine, die ihn zurückzog. Auch international stand er faktisch allein da, denn seine Partner waren alle von altem Geist. Leider auch seine deutschen Partner, die ihn überhaupt nicht verstanden hatten. Das Verhältnis von Frau Merkel zu Obama ist dafür seit je ein beredtes Zeugnis. Da war zu keinem Zeitpunkt ein geistiges Zusammenspiel. Oder, was konnte er von Berlusconi oder von Sarkozy erwarten? Obama hatte in den Europäern keine Partner, höchstens Handlanger. Aber die brauchte er nicht. Man muß sagen, die europäischen Politiker haben ihre Vasallenrolle nie abgelegt, obwohl Obama darauf keinen Wert legte. Sein Etablissement schon, aber für dieses ist der Begriff „change“ auch nur eine Schablone, die neu ausgefüllt werden soll. Mit der Wahl Obamas zum Präsidenten eröffnete sich für Deutschland ein großer Spielraum, den die deutsche Regierung nicht zu nutzen verstand. Für sie war die Welt in den Konturen das Kalten Krieges stehengeblieben. Sie verteidigte einfach nach altem Schema „F“ die westliche „Werte“-Gemeinschaft. Damit steht aber ein Politiker heute auf verlorenem Posten, auch wenn er von den Gestrigen Beifall erhält. Den Bonus, den Deutschland in der Welt hat, vermochte sie nicht in dynamische Impulse zum Wandel einzusetzen. Immerhin ein Bonus trotz der offiziellen Geschichte. Ein Bonus also der inoffiziellen, der verschütteten Wahrheit.

 

 

Die Aufforderung zur Führungsrolle für Deutschland ist ein falscher, gefährlicher Ratschlag, ganz objektiv. Wir fragen nicht nach den Absichten, wir sagen nur, daß eine Führungsrolle Deutschlands für Deutschland und Europa schädlich wäre. Es lag nie im Interesse Deutschlands, die Rolle eines Hegemons in Europa zu spielen, obwohl die imperialen Kräfte diese Absicht durchaus hatten. Solche Ambitionen mögen sich bei Teilen der CDU bis heute erhalten haben. In einem Europa freier Völker ist dafür kein Platz. Die Angriffe, die die deutsche Regierung kürzlich erst wieder einstecken mußte, hat sie sich selbst zuzuschreiben, ihrer Unbeweglichkeit, ihrem Starrsinn, der sich darin ausdrückt, daß sie keine Gelegenheit verstreichen läßt, um zu verkünden, daß sie alles tun wird, um den Euro zu retten. Das sind die alten Ansprüche, aber die Völker erwarten neue Ideen und neue Erfahrungen.