Der verschwiegene Anfang

 

Johannes Hertrampf – 16.10.2014

 

 

Geld ist allgemeines Tauschmittel. Und deshalb pumpt Draghi unentwegt neue Geldströme in den europäischen Kreislauf, mit dem Versprechen, damit die Konjunktur in Gang zu bringen. Wenn die Wirtschaft genügend billiges Geld hat, dann kommt auch der Aufschwung. So begründet er jedenfalls sein Handeln. Was er tatsächlich erreicht, ist eine wachsende Verschuldung jener, die sein Geld annehmen, ohne damit Wirtschaftsimpulse auszulösen, denn das Geld von Draghi schafft noch keinen zahlungskräftigen Konsumenten. Beim jüngsten Treffen der selbsternannten Weltfinanzelite musste man eingestehen, dass die Wirtschaftsdaten für Deutschland und die EU sich rapid verschlechtern. Es klingt wie ein Treppenwitz, dass Europa damit den USA den Aufschwung verderben würde, denn jeder weiß, dass dieser amerikanische Aufschwung gar nicht existiert. Die EU-Sanktionen gegen Russland, von den USA den Europäern aufgezwungen, zeigen Bumerang-Wirkung. Diese wird nun von den USA als Feigenblatt für ihre eigene Flaute benutzt. Zugleich ist die amerikanische Schuldzuweisung an die Europäer ein Druckmittel, den zunehmenden Widerstand der europäischen Wirtschaft gegen das Freihandelsabkommen mit den USA Paroli zu bieten.      

 

Nun kann man sagen, Absicht und Resultat stimmen wie so oft nicht überein. Aber es gibt genügend Kritik an Draghis Geldpolitik und es gibt Gegenvorschläge. Beides ignoriert Draghi, weil die USA ihr Eigeninteresse über den technisch-wirtschaftlichen Niedergang der EU stellen. Draghi ist nichts anderes als der Bevollmächtigte des USA-geführten Finanzkapitals für Europa, der für den augenblicklichen Erfolg sorgen muss: die Zuführung von Zinsgeldern, ausgepresst aus dem realwirtschaftlichen Kreislauf von Produktion und Konsumtion in Europa. Das ist unverzichtbares Geld für das westliche System. Daher hat Draghi Handlungsfreiheit.

 

 

Die zunehmende Zinsabschöpfung ist der Zweck der Geldpolitik der westlichen Welt, weil sie auf diese Weise die steigenden Aufwände für ihren Fortbestand finanziert. Der Unterschied zwischen der Merkel`schen Sparvariante und der Verschuldungsvariante der meisten EU-Länder ist aus dieser Sicht nur von sekundärer Bedeutung. Denn wie es zum Geldfluss kommt, ob über direkte soziale Mittelkürzungen oder über schleichende Teuerungsraten ist dem Finanzkapital gleich. Entscheidend ist, dass der Geldfluss stattfindet. Es sind zwei Varianten eines Vorgangs, bei denen für die Bürger am Ende das Gleiche herauskommt - ein sinkender Lebensstandard. Wenn linke Politiker den Schuldenkurs bevorzugen, dann begehen sie Betrug an den Bürgern, zum Nutzen des internationalen Finanzsystems. Der Sparkurs der Merkel-CDU wird von den Völkern in der EU zu Recht abgelehnt, aber die sozialdemokratische Schuldenpolitik ist nicht weniger volksfeindlich, weil sie den Völkern immer weniger Luft zum Atmen lässt. Dieser linke Opportunismus ist kein alternativer Überlebensentwurf. Er erzeugt die gleichen Nöte und Zwänge wie der Sparkurs. Nur zermürbt er nachhaltiger als jener den Willen zum Widerstand. Wenn die Menschen erkennen müssen, dass sie Betrügern auf den Leim gegangen sind, dann liegt ihr Selbstvertrauen auf lange Zeit am Boden.    

 

 

Dass die EZB den Werteabfluss reguliert, wird von der FED im Zusammenspiel mit IWF und Weltbank vorgegeben. Personalien werden dort entschieden. Diese drei Institutionen sind die Steuerungszentralen des internationalen westlichen Währungssystems. Aufgabe der EZB ist es, deren Vorgaben in Europa umzusetzen und dafür zu sorgen, dass der Widerstand nicht explosive Ausmaße annimmt und damit außer Kontrolle gerät. Die europäische Selbständigkeit ist vorläufig noch ein frommer Wunsch, wie die Ereignisse jüngst wieder beim vom Westen inszenierten Umsturz in der  Ukraine gezeigt haben. Noch lassen sich die USA ihre Führungsrolle von den Europäern nicht streitig machen. Noch haben sie genug Duckmäuser und Handlanger in der EU und in den europäischen Regierungen sitzen, die mit allen möglichen Kniffs und Tricks die Oberhoheit der USA über Europa sicherstellen. Dabei legen diese besonderes Augenmerk auf die Manipulierung der öffentlichen Meinung, indem sie mit einem dichten Netz von Stiftungen, Initiativen und Geheimgesellschaften,  die sich allesamt der demokratischen Kontrolle entziehen, alle gesellschaftlichen Bereiche überwachen und ausrichten. 

 

Die größte Macht übt der aus, der die öffentliche Meinung so dirigiert, dass sie von der Mehrheit der Menschen im Land übernommen wird. Dabei ist die kritische Betrachtung der Gegenwart ein wirksames Mittel, die Lüge über die Vergangenheit glaubhaft zu machen. Wer mit dieser Lüge infiziert ist, dem fehlt die Kraft, sich über die Gegenwart zu erheben. Der geistige Zustand Deutschlands ermöglichte es daher dem internationalen Finanzkapital, rigorose Einschnitte vorzunehmen, wie z. B. die Einführung des Euro und die Aufbürdung der Hauptlast der EU-Schulden auf Deutschland, ohne bei den Deutschen einen Sturm der Entrüstung zu riskieren. 

 

Trotz aller propagandistischen Volten gilt dennoch: nichts kann endlos ausgedehnt werden, am Ende zeigt die Wirklichkeit unerbittlich ihr Gesicht, das Wesen tritt in die Erscheinung (Hegel). Und dieses Wesen besagt: die westliche Finanzpolitik ist ohnmächtig, den Westen mit einem wirtschaftlichen Aufschwung zu sanieren. Sie kann ihn nicht verjüngen. Sie kann nicht verhindern, dass die globalen wirtschaftlichen Impulsgeber von außerhalb kommen. Der Westen profitiert noch, noch, von den sogenannten Schwellenländern. Doch deren Dynamik lässt den Vorsprung schnell dahinschmelzen, nämlich bis zu dem Endpunkt, an dem diese aus den entkräfteten Industrieländern nichts mehr holen können, weil sie technisch zurückgeblieben sind. Dabei muss eine Triebkraft beachtet werden, die bisher kaum gewürdigt wurde: Der geistig-kulturelle Hintergrund in anderen Regionen der Welt, der von der westlichen Zivilisation absichtlich verschüttet wurde, der anders ist, als die uns vertrauten westlichen Werte, der neue Produktivitätsschübe erahnen lässt. Die europäische Weltsicht ist nicht die Offenbarung schlechthin, sondern eine vergehende Sicht. Die Welt wandelt sich gegen sie. Der Letzte wird der Erste sein, weil dessen Fundus noch nicht ausgeschöpft ist. Die Gründe der hohen Dynamik liegen nicht nur in den materiellen Interessen jener Völker, sondern auch in deren geistig-kulturellen Wurzeln, in der nationalen Identitätssuche, in Abgrenzung zum westlichen Denkmuster. Gegenwärtig dominiert eine konfrontative Selbstdarstellung, die wir als nicht optimal bezeichnen, da sie die Freisetzung der positiven Effekte negativ belastet. Besser wäre es, wenn die westliche Welt sich in diesen Wandlungsprozess einbringen würde. Der Westen muss sich in Bescheidenheit üben. Es wäre zum Vorteil der ganzen Menschheit, wenn der Übergang in die Zukunft von allen Völkern getragen wird, in einer Weise, in der nicht das geistig-kulturelle Potential einer Region dominiert, sondern im friedvollen Nebeneinander und Austausch miteinander. Auch von diesem Standpunkt aus, ist der Führungswahn des Westens schädlich. Die alten Kulturen der Völker sind nicht vorbei, sie sind Energiespender der Zukunft.  

 

Doch zurück. Wieso kommt es nicht zu dem angekündigten wirtschaftlichen Aufschwung des Westens?

 

Das liegt vornehmlich an zwei Gründen:

 

a) Da ist zunächst der Geldabfluss über den Zins, der zu einem realen volkswirtschaftlichen Werteverlust führt. Der Strom an billigem Geld erhöht den Zinsabfluss und damit die Entnahme von Sachen und Leistungen, die der Reproduktion des Landes fehlen. Diese Werte betreffen alle Sachen und Leistungen, die unmittelbar der Erhaltung des alten Systems dienen. Solange dieser Zinsabfluss stattfindet - und dieses Geld wird in „Herrschaftsmittel“ umgesetzt, kann es keine volkswirtschaftliche Gesundung geben. Die systemerhaltenden Ausgaben, wie Militäreinsätze, organisierte Asylantenströme, alle EU-bedingten Geldausgaben usw. sind unproduktive Ausgaben, die der Zukunftsgestaltung fehlen.

 

b) Die Unterbindung dieser Abschöpfung ist primär, aber nicht hinreichend. Es müssen neue Verbraucherinteressen freigesetzt werden, die der Volkswirtschaft Impulse geben. Der Markt muss sich qualitativ erweitern. Das ist existentiell für die Erneuerung. Dabei geht es in erster Linie um den Binnenmarkt. Der Titel eines Exportweltmeisters ist verfänglich. Der Export sucht sich die Nischen in anderen Ländern. Leicht kommt es da zum Tempoverlust an technischer Innovation im eigenen Land, worunter das kulturelle Niveau des eigenen Volkes leidet und seine Kreativität Schaden erleidet. Die Konkurrenz um Marktanteile in anderen Ländern ist insofern ein Hemmnis. Die kulturelle Nivellierung ist kein wünschenswerter Vorgang. Je leistungsstärker die Länder werden, in die heute die Exporte fließen, desto schwächer wird dieser Strom. Und da sollte man nicht in Kriegsrhetorik verfallen und von einer Verschärfung des Konkurrenzkampfes sprechen. Deutschland muss in dieser Hinsicht umdenken. Der Binnenmarkt mit seinem produktiven Konsum, im Gegensatz zum parasitären Konsum, ist das Fundament einer jeden Volkswirtschaft. 

 

 

Zu beiden Bedingungen schweigen nicht nur die Politiker, sondern auch die Ökonomen. Beide Punkte stellen das westliche System zur Disposition.

 

Lassen wir außer Betracht, dass der Schuldenabbau gar nicht gewollt ist, weil Zinsabführung die gängigste Form der Wertabschöpfung ist, so ist ein Schuldenabbau auch gar nicht mehr möglich, weil der Schuldenumfang viel zu groß ist. Diese Tatsache wird zwar hin und wieder erwähnt, ist aber nicht Ausgangspunkt konsequenter Folgerungen. Ein Schuldenschnitt, der als Antwort förmlich in der Luft liegt, wird als zweischneidiges Schwert hingestellt, das den Wohlstand der Sparer, der Rentner und Pensionäre gefährdet. Beim partiellen Schuldenschnitt müssten angeblich die Völker der Gläubigerländer bluten, die beim Geldverleihen nicht gefragt wurden, aber beim Schuldenstreichen natürlich ganz oben stehen, denn das Geld, das dabei aus den Büchern der Banken verschwindet, müsste von den Bürgern ersetzt werden. So sieht es jedenfalls die Bundesregierung. Die Banken werden so systemrelevant eingestuft, dass die Völker für sie per se einspringen müssen. Mit dieser Feststellung peitschte Merkel 2009 die Bankenrettung durch den Deutschen Bundestag. 

 

Bei einem allgemeinen Schuldenschnitt würden dagegen auch die Schulden der sogenannten reichen Länder ersatzlos gestrichen. Für die Banken bleibt keine Möglichkeit mehr, im Gegensatz zum partiellen Schuldenschnitt, das gestrichene Schuldengeld umzuschichten oder dem Steuerzahler aufzubürden.

Aus diesem Grunde wird von den Politikern und Ökonomen ein allgemeiner Schuldenschnitt gar nicht in Betracht gezogen. Es ist klar: ein partieller bedarf schon umfangreicher  Manöver, um das System nicht in Schieflage zu bringen. Ein universeller wäre dagegen ein wirkliches Novum in der Geschichte. Er wäre das „Aus“ einer geschichtlichen Ära, ein  Aus ohne Krieg und sozialem Elend. Die Zinsabführungen stünden den Völkern zur Verfügung.  

 

 

Und genau über dieses „Aus“ muss gesprochen werden. Die Völker brauchen ein Ausstiegsszenarium aus der Verschuldung, was gleichbedeutend ist, sie brauchen ein Ausstiegsszenarium aus der maroden westlichen Zivilisation.

 

Ein solcher geordneter Ab- und Übergang mag für manche Ohren ungeheuerlich klingen, ist aber die einzige Möglichkeit, die, rational geführt, eine globale Katastrophe ausschließt. Und nicht nur das. Von der westlichen Welt hängt maßgeblich ab, ob dieser geordnete Übergang stattfindet und sie dabei ihre Potentiale ausschöpft, die im Verlaufe der Zivilisation entstanden sind. Vergessen wir nicht: Sie hat ihren Vorsprung den Völkern zu verdanken, die sie jahrhundertelang ausgebeutet hat. Blut  und Tränen von Milliarden Menschen sind der Preis ihres Vorsprungs. Die ganze Zivilisation glich jenem Götzen - in Anlehnung an eine Bemerkung von K. Marx -, der den Nektar aus den Schädeln Erschlagener trank. An dieser historischen Tatsache ist nicht zu deuteln. So ist nun mal die Geschichte abgelaufen. Moralische Entrüstung und Vorwürfe helfen nicht weiter, sondern verdunkeln nur den Blick in die Zukunft. Notwendig sind Schlussfolgerungen, die im Interesse aller Völker liegen.

 

Die Schuldenunion der EU kann die Auflösung der EU nicht verhindern. Sie ist eine Form des partiellen Schuldenschnitts, die zur Isolierung Deutschlands in der EU beigetragen hat. Der partielle Schuldenschnitt ist ein Schuldenerlass für zahlungsunfähige Ländern, damit sie mit besserer Bonität neuerlich zinspflichtige Kredite aufnehmen können. Der partielle Schuldenschnitt ist nicht mehr als eine Systemreparatur, bei der ein verschlissenes Teil ausgetauscht wird. Alte Schulden werden gestrichen, damit Platz für neue wird. Makaber ist, wenn an der Vergabe neuer Geldmittel die zahlungsfähigen Länder noch auf Grund der Zinsdifferenzen an den gebeutelten Ländern verdienen. Deutschland hat eine derartig schamlose Abzocke mit Griechenland betrieben.

 

Doch auch diese Geschäftemacherei hat ihre Grenze, nämlich an dem Punkt, wo der wachsende deutsche Schuldenberg Zinsen abverlangt, die nur durch Sozialabbau großen Stils aufgebracht werden können. Dann geht es dem „reichen“ Deutschland wie Griechenland … den Letzten beißen die Hunde!

 

Die Dezentralisierung des globalen Finanzsystems scheint auf den ersten Blick unrationell zu sein, aber sie ermöglicht die Rückverlagerung der finanziellen Kompetenz in nationale Verantwortung. Demokratisierung des Finanzgeschehens erfordert ein Abgehen von der Zentralisierung. Die daraus entstehenden Beziehungen zwischen den Völkern schaffen engere Bande, als die Zwänge globaler Finanzinstitutionen, die immer eine Machthierarchie darstellen. Die finanzielle Entflechtung ist unerlässlich, aber nicht hinreichend für eine neue Wirtschaftsordnung, denn die entscheidenden Antriebskräfte der Wirtschaft kommen von den Verbraucherinteressen der Völker. Geld ist allgemeines Tauschmittel, erzeugt aber noch keine neuen Interessen. 

 

Prof. Sinn prophezeit Europa ein langes Siechtum. Das ist zu wenig.                                                                  

 

 

 

Johannes Hertrampf – 16.10.2014