Der natürliche Rückhalt

 

 

Die Geheimdienste kontrollieren die Politik. Warum also die Aufregung, daß  A. Merkel unter Aufsicht der Amerikaner steht? Die Empörung aus den Reihen deutscher Politiker soll bei den Bürgern Unterstützung wecken. Die Bundestagswahlen haben aber offenbart, wie zerrüttet Deutschland ist. Die CDU hat zwar die meisten Stimmen bekommen, aber selbst vom Anschein einer populären Volkspartei ist nichts zu spüren. Auf die Kernfragen deutscher Politik - EU und Euro - gibt sie keine vernünftigen Antworten.

 

 

 

Der inzwischen ausgehandelte Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD sichert der CDU die Fortsetzung ihres bisherigen Kurses zu. Diese Selbstaufgabe wird die SPD in die größte Krise ihrer ganzen Existenz stürzen, denn sie macht sich zum Juniorpartner der Partei, die den Fortbestand Deutschlands aufgegeben hat. Es scheint so, als habe mit dem Koalitionsvertrag endgültig das letzte Stündlein für Deutschland geschlagen. Denn die beiden größten etablierten Parteien sind einen düsteren Pakt eingegangen, garniert mit sozialen Versprechungen. Unbedingt weiter so, ist die Devise. Keine Analyse des Zustands, in dem Deutschland sich befindet, aus der sich die Hauptorientierung für eine politische Wende ergeben würde. Von einer alternativen Opposition ist nichts zu spüren.  

 

 

 

Wenn nun öffentlich wird, wie sehr deutsche Politik unter Kontrolle der Amerikaner abläuft - und das schon seit eh und je - regt sich bei den Bürgern kein Mitleid. Die Bestürzung der deutschen Politiker ist gespielt. Und Obama zur Rede zu stellen, davor wird sich jeder sehr hüten, denn alle wissen um ihre Vasallenrolle. Wer Deutschland und Europa in diesen Abgrund geführt hat, der hat am Ende nichts zu lachen. 

 

 

 

Oft hört man in dem Zusammenhang, Europas und Deutschlands Niedergang seien eine Chance, weshalb es einigen mit dem Niedergang nicht schnell genug geht. Ist aber der Niedergang wirklich eine Chance? Kann man ihm wirklich einen erlösenden Lichtschimmer abgewinnen? Für uns ist das eine irreführende These, weil sie suggeriert, als würde dem Niedergang folgerichtig die Erneuerung folgen oder gar, als wäre der Niedergang eine Bedingung der Erneuerung. Der nationale Absturz steht jedoch in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erneuerung, er ist keine Voraussetzung des Wandels, sondern ein Ausdruck der Unfähigkeit, einen Wandel einzuschlagen. Konsequente Demokraten müssen daher für einen Wandel ohne vorangegangenen Niedergang plädieren. Nicht das Elend, sondern die Erkenntnis verleiht neue Kräfte. Das Elend erstickt vielmehr die Erkenntnis, weil es den Menschen die Zeit zum gründlichen Nachdenken nimmt. Was aus der Not geboren wurde, trägt die Merkmale der Not. Die Erneuerung ist mehr als der Not gehorchend. Das zwanzigste Jahrhundert liefert dafür den Beweis, denn es führte zu keinem Wandel, trotz zweier Katastrophen, trotz des starken Willens von Millionen nach einer besseren Welt. Es ist schon seltsam, heute solche Ansichten zu vertreten.

 

 

 

Aber worin besteht diese dem Wandel innewohnende Vernunft? Was fehlte bisher? War es das Ungleichgewicht zwischen Beharrung und Veränderung? War das eine zu viel und das andere zu wenig? Oder reicht es aus, auf den alten Werten zu sitzen und Veränderungen ringsum kritisch zu beleuchten, also eine Wächterrolle einzunehmen? So abstrakt wird heute von den Konservativen die Frage nach der Vernunft beantwortet. Sie tun so, als wäre alles besser gelaufen, hätte man sich mehr an die alten Werte gehalten. Aber warum haben sie dann im zwanzigsten Jahrhundert dem nationalen Geschichtsverlauf nicht eine andere Richtung gegeben? Warum haben sie vor dem Nationalsozialismus versagt? Und warum sieht es mit ihnen auch im einundzwanzigsten Jahrhundert nicht besser aus? Die beiden Nachkriegsordnungen in Deutschland waren ein nationales Unglück. Die Konservativen standen aber immer am Rande der Ereignisse. Sie vermochten nicht, Deutschland auf einen demokratisch-nationalen Weg zu bringen. Jene Kräfte, die an der Spitze deutscher Politik standen, schufen keine zukunftsfähigen Strukturen, sondern banden Deutschland fest in das internationale rechte und linke Vasallentum ein. Vernünftig war beides nicht, denn vernünftig ist immer nur die Antwort, die der geschichtlichen Notwendigkeit gerecht wird. Die Konservativen hatten solche Antworten nicht und die Entwürfe derjenigen, die den Ton angaben, erwiesen sich als falsch. 

 

 

 

Das Bestimmende am Handlungsbewußtsein ist der Inhalt, worauf man sich ausrichtet. Wenn man nicht weiß, was sich ändern soll, weiß man auch nicht, was sich nicht ändern soll. Und hier liegt der Haken der Konservativen, daß sie das, was sich ändern muß, nicht sagen, sondern nur das, was bleiben soll. Ihre Rückwärtsgewandtheit ist ein Reflex auf den Nihilismus, der die Initiative übernimmt. Sie sagen, was man nicht verändern darf, aber das ist zu wenig. Damit stehen sie auf einer Position, von der selbst keine Impulse ausgehen, die lediglich an der sich ändernden Wirklichkeit den bekannten Habitus früherer Zeiten vermißt. Sie laufen damit ständig der Bewegung hinterher, anstatt neue Werte zu begründen. Sie haben keine Einsicht in den Geschichtsverlauf. Deshalb ist ihre Kritik unfruchtbar, denn die einzig erfolgversprechende Kritik ist das Aufzeigen der geschichtlichen Alternative und nicht die Verteidigung der Vergangenheit.  

 

 

 

Häufig stellen sich die Konservativen in die Linie von Bismarck, der nach heutigem Verständnis des Konservatismus eben kein Konservativer war. Ihr Rückgriff ist eine Fehldeutung, denn Bismarck nutzte nur die konservativen Kräfte seiner Zeit als Mittel zur Veränderung. Und hatte damit Erfolg. Ihre Interessen waren für ihn nicht Zweck seiner Politik. Insofern war Bismarck ein konservativer Revolutionär. Die Schaffung des Deutschen Reiches war nicht eine Zielsetzung der Konservativen, sondern die Beibehaltung des Partikularismus. Und die Schaffung eines stabilen europäischen Gleichgewichts war ebenfalls nicht ihr Anliegen, sondern die Sicherung von Vormachtstellungen. Die  Sozialgesetzgebung Bismarck`s entsprang ebenfalls nicht ihrem Interesse. Ohne die konservativen Kräfte hätte er seine Ziele nicht verwirklichen können. Ihre Zustimmung gewann er mit der Idee des Deutschen Reichs in Gestalt einer starken deutschen Monarchie als Bollwerk gegen den demokratischen Geist von 1848. Er setzte auf sie, ohne sich an ihnen zu orientieren. Und der deutsche Kaiser ließ ihn gewähren, weil er Deutschland voran brachte.  

 

 

 

War damals die nationale Zersplitterung das deutsche Hauptproblem, so besteht dieses heute darin, daß Deutschland ein Vasall der Amerikaner ist. Für die anderen europäischen Staaten trifft das mit gewissen Einschränkungen auch zu. Dieser Status wird hauptsächlich über das US-dirigierte  internationale Finanzsystem ausgeübt. Aber nicht nur. Es gibt die militärischen Systeme und die  vielfältigen politischen Organisationen. Neuerdings wird die europäisch-amerikanische Freihandels-zone vorbereitet, um die Europäer noch fester in das amerikanische Imperium einzubinden. Die Herauslösung aus der amerikanischen Umklammerung ist die Hauptvoraussetzung der Erneuerung Deutschlands und Europas, mit der ein neues Kapitel deutscher und europäischer Geschichte beginnen kann. Die konservativen Kräfte haben diese Aufgabe weder im zwanzigsten noch bisher im einundzwanzigsten Jahrhundert erkannt, sondern sie opponieren gegen den rapiden Werteverfall im fremdbestimmten Deutschland. Sie können ihn nicht aufhalten, eben weil sie  nicht die politischen Kräfte für einen gesellschaftlichen Wandel organisieren können. Appelle zur Erhaltung des Abendlandes und zur Wiederrichtung des deutschen Reiches können den Werteverfall nicht aufhalten, weil sie nicht die Ursachen der heutigen Gesellschaftskrise bekämpfen. Da die Konservativen davor zurückweichen, sich nicht an die Spitze der nationalen Befreiung stellen, nehmen sie auf das wirkliche Geschehen keinen Einfluß. Ihre nationale Gesinnung wirkt wie eine sentimentale Erinnerung. Im Unterschied zu Bismarck stehen sie auf verlorenem Posten. Als politische Richtung haben sie keine soziale Basis. Ihr entscheidender Fehler ist, daß sie vergangene Leitbilder in die Zukunft projizieren, wobei sie die vergangenen Zustände verklären.

 

 

 

Schon seit langem rumoren die Konservativen in der BRD gegen die Politik der Führungsriege Angesichts der desaströsen EU-Politik der Bundesregierung wird ihr Unmut immer lauter. Das führte schließlich zur Gründung der Partei „Alternative für Deutschland“. Im Grunde genommen ist sie die Zusammenführung konservativer Elemente aus allen anderen etablierten Parteien, ein Sammelbecken. Sie ist nicht vor allem Euro-  und EU-kritisch, sondern vor allem bügerlich-konservativ. Alexander Dilger, Landeschef der AfD in NRW, hat auf WELT-ONLINE am 29.10.2013 die AfD als „eine bürgerliche Partei mit liberalen, konservativen und sozialen Elementen“ bezeichnet. Sie sei nicht generell gegen EU und Euro, sondern fordere tiefgreifende Reformen, so der Wirtschaftsprofessor aus Münster. Das sind Töne, die sich vom landläufigen Erscheinungsbild der Partei deutlich unterscheiden, vor allem aber von den Erwartungen vieler Bürger, die von der Politik der Bundesregierung die Nase voll haben. Sukzessive scheint sich in der AfD ein Sinneswandel zu vollziehen, in Richtung einer liberal-konservativen Neuauflage der FDP. Die ursprüngliche Euro- und EU-Gegnerschaft, die sie im Handumdrehen zu einer politischen Kraft werden ließ und viele Hoffnungen weckte, wird in den Hintergrund gerückt.

 

 

 

Den Konservativen fehlt eine gesellschaftliche Theorie. Und das macht sich bei der AfD bemerkbar in der Unklarheit ihrer politischen Ziele. Auch ihre Scheu vor der rechten oder linken Ecke, indem sie solche Vorwürfen mit der Bemerkung ausweicht, daß sie sich vom gesunden Menschenverstand leiten läßt, anstatt zu sagen, daß die Rechts-Links-Spaltung sich durch die gesamte Herrschafts-gesellschaft hindurchzieht, ist ein Zeichen von Unsicherheit. Sie opponieren nicht generell gegen die politische Wirklichkeit der BRD, die längst ein Mißbild der freiheitlich-demokratischen Ordnung ist, sondern nur gegen einzelne Auswüchse wie eben die verfehlte Euro- und EU-Politik. Damit bleibt der klare, unbestechliche Geist der Wissenschaft auf der Strecke. Sie sind nicht Gegner, sondern Kritiker, auch im Hinblick auf die Bundesregierung. Sie bieten sich als Gesprächspartner für die Regierung an, obwohl diese ihr zu verstehen gibt, daß sie mit ihnen kein  Gespräch will. Den Grund für diese mangelnde Konsequenz sehen wir vor allem im Fehlen einer eigenen geschichtstheoretischen Grundlage.

 

 

 

Die Euro- und die EU-Kritik sind keine ausreichenden Grundlagen einer Alternative für Deutschland.  Die EU-und Euro-Politik sind nur Teilbereiche der Politik. Ihre Kritik führt nicht automatisch zum gesellschaftlichen Wandel. Indem man sich kritisch mit EU und Euro befaßt, stellt man noch keine Alternative dar. Die neue Ausrichtung von Wirtschaft, Bildung, Kultur u.a.m. bleibt offen. Da hilft es auch nicht, wenn man für diese Bereiche programmatische Forderungen aufstellt. Es fehlt die neue Leitidee, die insgesamt das Profil prägt. Verwendet man den Begriff Alternative konsequent, stellt man die gegenwärtige Ordnung der BRD in Frage. Aber genau davor scheuen die Programmierer der AfD zurück. Sie verengen das geschichtliche Problem und suchen nach einer Lösung innerhalb des bestehenden Systems. Sie stellen sich nicht auf die Aufgabe ein, sondern richten die Aufgabe nach ihrem Verständnis zurecht. Das tun sie nicht unbewußt, sondern wissentlich, indem sie ihre Bindung zur Geschichte der BRD betonen, ihre Kritik als Bestandteil der BRD-Geschichte hinstellen. Offensichtlich ist das auch ihrem Wunsch nach Gefahrenabwendung von rechter und von linker Seite geschuldet. Sie verkennen die systemerhaltende Funktion des Rechts-Links-Konflikts. Sie wollen ihn vermeiden, bekennen sich aber zu seinen Wurzeln. Wer seine  Verbundenheit mit der Linie von Adenauer bis Merkel bekundet, der spricht sich für den Rechts-Links-Konflikt aus, denn die BRD war seit ihrer Gründung so aufgestellt und hat so funktioniert. Man kann nicht diesen Konflikt ablehnen und die Linie der BRD anerkennen. Ähnlich verhält es sich mit der EU-Kritik. Die heutige deutsche EU-Politik ist die Konsequenz der BRD- Geschichte. Die Wurzeln des Übels sind also nicht marginal, sondern essentiell. Hier liegt der Grund ihrer Unsicherheiten und Zwiespältigkeiten - und schließlich der Grund für ein erneutes Versagen der Konservativen. Auf den Fundamenten der Nachkriegsordnung kann sie sich nicht begründen. Sie versteht die heutige Situation nicht als Endphase der Zivilisation und damit als Vorabend einer weltgeschichtlichen Zäsur.

 

 

 

Die Kritik der heutigen Finanz- und Wirtschaftspolitik ist zwar wichtig, aber keine ausreichende Grundlage einer gesellschaftlichen Alternative. An diesem Ökonomiezentrismus litt schon die Politik der DDR. Ihm lag die Maxime zugrunde, wonach die höhere Arbeitsproduktivität das zentrale Kriterium der gesellschaftlichen Überlegenheit sei. Das sagen zwar die heutigen Ökonomen nicht, sondern sie beugen sich einfach dem ökonomischen Zwang. Gesellschaftspolitik hat ihren eigenen Gegenstand und ist nicht einfach eine Folge von Wirtschaft und Finanzen.

 

 

 

Hinderlich für die politische Ausrichtung der AfD ist der Umstand, daß ihre geistigen Hauptvertreter aus den Wirtschafts- und Finanzwissenschaften der BRD kommen. Das wird vielfach als Vorzug ihrer Sachkenntnis bezeichnet, hat aber auch einen Pferdefuß. Der Übergang von einer systemverpflichteten Wissenschaft zu einer geistigen Grundlegung der gesellschaftlichen Erneuerung erfordert ein rigoroses Umdenken. Maximen müssen überwunden werden, die bislang als unantastbar galten. Das zeigt sich beispielsweise darin, daß die Ökonomie-Professoren keinen Vorschlag machen, wie der Schuldenberg beseitigt werden kann. Für W. Schäuble ist dagegen diese Frage nicht heikel: „Wenn mich junge Menschen fragen, wann wir endlich ganz ohne Schulden sind, dann sage ich: Hoffentlich nie. Denn Schulden verschwinden nur nach einer Währungsreform.(focus-online 01.11.2013 - „Jetzt ist es raus: Der Staat zahlt seine Schulden nie zurück“)

 

 

 

Der Tenor auch bei den AfD-Ökonomen war bisher, daß große Belastungen für die kommenden Generationen unvermeidlich seien - und daß das heutige Wirtschafts- und Währungssystem in seinen Grundzügen erhalten bleiben soll. Bleibt abzuwarten, wie sie mit der neuen politischen Vorlage umgehen werden. Sie sprechen die aktuellen Probleme aus, aber sie wagen es nicht, Grenzlinien zu überschreiten. Im konkreten Falle heißt das eben, die Schulden der alten Gesellschaft generell nicht anzuerkennen.

 

 

 

Die konservative Opposition sieht nicht den Zusammenhang zwischen technischer Revolution und subjektiver Differenzierung, sprich insbesondere des Nationalen, so daß ihr, entsprechend der politischen Vorgabe, das Nationale auch einen suspekten Zug hat. Wer den Aktionsradius seiner Analyse durch die herrschenden politischen Ansichten begrenzen läßt, der gibt wissenschaftliche Maßstäbe preis. Das zeigt sich deutlich in den Ansichten von H.-O. Henkel bezüglich des Nord- und Südeuros. So theoretisch unbegründet sein Eintreten für die Einführung des Euro war, so theoretisch unbegründet ist heute seine Euro-Kritik.                                    

 

 

 

In allem Sein steckt Wiederholung. Auch in der Praxis des Menschen. Das zentrale Problem der Erneuerung ist das neue Naturverhältnis des  Menschen.

 

Die universelle Ausrichtung des Menschen ist eine Besonderheit im Vergleich zu allen anderen Naturerscheinungen, die niemals die Welt auf sich focussieren, indem sie sich in der Welt als Mittelpunkt vorstellen. Diese universelle Ausrichtung ruft den Anschein hervor, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. 

 

 

 

Bisher zog der Mensch aus dem Wirken der Naturgesetze den für ihn größtmöglichen Vorteil. Sein Umfeld war die Grenze dieser Fähigkeit. Er klopfte die Welt ab, um ihre Brauchbarkeit für sich herauszufinden. Als Orientierung diente ihm das bipolare Schema, an dem er noch heute festhält. Von daher gibt es zwei Ordnungen der Natur, zwei Welten, die sich gegenseitig ausschließen.

 

 

 

Die erste Natur ist die Natur, in der der Mensch kraft Anwendung der Naturgesetze „herrscht“, in der er den Ton angibt. Das ist die kultivierte Natur. Die zweite Natur ist die Natur, in der sich die Naturgesetze ohne menschliche Absicht durchsetzen, die ursprüngliche Natur. Die Wirkungen  dieser Welt empfindet er als störend, fremdartig, weshalb er sie behandeln muß. Das unvorherge-sehene Wirken der Naturgesetze erscheint ihm sogar als „feindlich“. Er kämpft gegen die Naturgewalten, die ihm im Wege stehen. Die Herrschaft über die Natur, die kultivierte Natur, ist nach seiner Meinung ein gutes Werk. Aus dieser Herrschaft über die Natur entwickelt er ein ganzes Wertesystems: gut - böse, schön - häßlich, nützlich - schädlich.

 

 

 

Die Nutzung eines breiten Spektrums von Naturgesetzen ist ein Merkmal der Zivilisation, auf das  die Struktur ihrer praktischen und geistigen Welt zurückreicht. Das geht soweit, daß der Mensch sich einbildet, unabhängig von ihr zu sein. Wo Naturgesetze seine Einbildung durchstoßen, schafft er neue Einbildungen, um sich zu behaupten. Auf diese Weise entfernt er sich immer mehr von seinem Ursprung. Die Natur ist für ihn beliebiges Rohmaterial. Die Gleichgewichte, die er schafft sind auf ihn bezogen. Er setzt sich als eine Seite dieser Gleichgewichte. Sie existieren nur solange, solange er wirkt. Durch die Steuerung von Naturgesetzen, indem er ihre Wirkungsfelder schafft,  entwickeln sich unbeabsichtigt Konflikte. Die Naturgesetze stoßen in seiner Praxis aufeinander. Das sind dann die von ihm heraufbeschworenen und gefürchteten Nebenwirkungen, die seine Absicht durchkreuzen. Nur im Unterschied zum Zettel einer Arzneipackung sind sie nicht vorausgesehen. Obwohl er das weiß, vernachlässigt der Mensch die Technikfolgenabschätzung, weil der augenblickliche Vorteil im Konkurrenzkampf entscheidet. Die Nebenwirkungen verschlingen ihn schließlich. Die Bedrohung wächst exponentiell. Je mehr er voranschreitet, um so schneller. Ab einem bestimmten Punkt verliert er die Übersicht. Deshalb muß er diese Daseinsweise verlassen. Er muß sein Verhältnis zu seiner natürlichen Umwelt ändern.

 

 

 

Was muß er verändern?

 

Er muß sich neue Verbündete suchen. Er muß vom Beherrscher zum Partner werden. Das bedeutet, seinem Leben einen partnerschaftlichen Zweck zu geben. Das ist ein Gleichgewicht besonderer Art. Das Gleichgewicht des Partners mit seiner Umwelt ist die Harmonie. Sie beruht auf der Freiheit eines jeden anderen Subjekts. Das sichere Fundament dieser Freiheit ist die strikte Beachtung der Naturgesetze. Der Mensch muß diese wissen und den neuen Zweck seiner Tätigkeit. Um den Unterschied zu seiner bisherigen Tätigkeit zu verdeutlichen, sagen wir: bisher schuf er Gleichge-wichte und unterschied sich darin nicht vom ursprünglichen Naturzustand. Jetzt schafft er Harmonie, einen nur durch menschliches Wirken erreichbaren Zustand. Das ist der Schritt von der vorwiegend spontan ablaufenden zur vorwiegend bewußt ablaufenden Welt. 

 

 

 

Was sich fortsetzt, ist die Zusammenfassung der Naturgesetze in seiner Tätigkeit. Was sich ändert, ist der Zweck ihrer Anwendung. Besteht dieser darin, sich als Mittelpunkt der Welt aufzufassen oder besteht dieser darin, ein System mittelpunktlosen Seins zu schaffen, ein System der völligen All-Gleichheit. Der Mensch ist ein Sonderfall der Natur, den er aber nicht mehr als Vorrecht verstehen darf. Es bleiben zwei Welten: die Welt des spontanen Gleichgewichts und die Welt des harmonischen Zustands. Bisher konnte der Mensch seine Welt nicht aus dem spontanen Gleichgewicht herauslösen. Und was er nicht konnte, wollte er auch nicht. Nun zieht er eine neue Scheidelinie, indem er sich eine harmonische Umwelt schafft und sie erweitert.

 

 

 

Auch in dieser ist er der Endpunkt seines Bestrebens. Er bleibt über allem stehen. Er gibt das System, aus dem er hervorgegangen ist, auf. Diesen Wandel erlebt er als existentielle Krise, denn sein neues Dasein ist ihm unbekannt.   

 

 

 

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Die Entwicklung der Menschheit verläuft ungleichmäßig. Deutschland könnte eine Pionierrolle einnehmen. Stattdessen hemmt es den Fortschritt, nicht von sich aus. Es übt sich in dieser Rolle über die Zeit hinaus. Wichtiger als alles andere ist die freie öffentliche Diskussion um die Zukunft Deutschlands. Worin besteht der Kern der Erneuerung? Worin liegt der Rückhalt des Menschen? - Seine Rück- und Neubesinnung auf die Natur. 

 

 

 

                                                                             J. Hertrampf - 04.12.2013