Der europäische Geist

Die deutschen Medien verharmlosen den Vergleich mit Nazi-Deutschland. Bundestag und Bundeskanzlerin schweigen. Und dabei ist das der schlimmste Vorwurf, den das Ausland der deutschen Politik machen kann. Finanzminister Schäuble wiegelt ab. Es sei purer Neid, daß über Deutschland hergezogen wird. Schuld seien die anderen selbst, weil sie ein so schlechtes Geschäftsmodell haben. Ein derartiger Zynismus kann die Empörung über Deutschland nur vergrößern. 

 

 

 

Der Zustand in  der EU offenbart nicht nur die Untauglichkeit der EU, sondern auch die Rolle, die  Deutschland in der EU spielt. Diese haben sich die Deutschen nicht ausgewählt, sondern sie wurden von den deutschen Politikern in sie hineinmanövriert, Hand in Hand von Regierungs- und Oppositionsparteien. Ein gewisses Erstaunen löste es aus, als vor geraumer Zeit aus internationalen Finanzkreisen die Forderung zu hören war, ein Wortführer war der amerikanische Börsenspekulant Soros, Deutschland solle bei der Überwindung der EU-Krise die Führung übernehmen. Erstaunen insofern, als der Hegemonialgedanke doch in der Vergangenheit von Seiten Deutschlands tunlichst zu meiden war. Der Vorwurf über Europa und die Welt herrschen zu wollen, ist doch das am weitesten verbreitete Pauschalurteil über deutsche Vergangenheit. Und plötzlich nun diese Aufforderung aus Kreisen der amerikanischen Hochfinanz? Die Absicht war dabei, damit das europäische Abzockersystem zu vereinfachen und Deutschland noch stärker an die Kandare zu nehmen. Gedanklich nachvollziehen kann man das nur, wenn man berücksichtigt, daß Europa  nicht  in einer vorübergehenden Finanzkrise steckt, sondern in einem Umbau nach finanzoligarischen Bauplänen - ein Umbau, der als Reaktion auf die Krise der Zivilisation den eigenen Untergang verhindern soll. Der Zweck heiligt die Mittel. Deutschland wurde ausersehen, den kontinuierlichen Fluß der Geldströme zum Zwecke des Machterhalts zu sichern. In den Augen dieser Leute ist Deutschland dafür prädestiniert auf Grund seiner Wirtschaftsgröße und seiner Finanzkraft. Aber hinzu kommt seine auf alle Ewigkeit festgeschriebene Büßerrolle. Kein anderes Land in Europa ist so entmündigt, daß es widerstandslos diese  kontinentale Finanztransmission übernimmt. Es trägt nun mal auf seiner Stirn das Kainsmal der alleinigen Kriegsschuld. Die Feindstaatenklausel steht noch immer in der Charta der Vereinten Nationen. Ebenso haben die Befehle und Erlasse der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges noch immer ihre Gültigkeit. Vor diesem Hintergrund kann es sich bei der Aufforderung zur europäischen Führungsrolle - keine der Siegermächte, einschließlich Rußland, hat dagegen protestiert - nur um einen fremdbestimmten Dienstleistungsauftrag handeln.  Deutschland ist nach wie vor ein Vasall der USA und wird von jedem Präsidenten auch als solcher behandelt. Die Aufforderung zur Hegemonialrolle ist eine niederträchtige Gemeinheit, die dem  deutschen Ansehen einen schweren Schaden zufügt. Deutschland wird zu dem gemacht, was man jahrzehntelang ihm nachgesagt - ein eigensüchtiges, ehrloses Subjekt zu sein. Das nationale Unglück des zwanzigsten Jahrhunderts nimmt kein Ende, der hinterhältige Betrug des deutschen Volkes. Schändlich, wie deutsche Politiker sich dabei hervortun. K.-T. von Guttenberg drängt die Bundesregierung dazu, Deutschland auf einen Krieg gegen den Iran vorzubereiten. Nein, man kann dieses politische Kalkül nicht zu schwarz malen, es ist tiefschwarz. Wenn deutsche Politiker, allen voran Bundeskanzlerin Frau Merkel, immer wieder auf die besondere Verantwortung Deutschlands verweisen, die deutsche Schuld sei die Verpflichtung zur nationalen Selbstverleugnung, so ist das in Wirklichkeit nur eine verhüllende Wortwahl für die bedingungslose Vasallenrolle. Mehr noch, so ist das der Grund für eine neuerliche deutsche Gefahr für Europa und die Welt. Nicht nur die nationale Überheblichkeit, sondern auch die nationale Selbstverleugnung ist kriminell und gefährlich für die anderen. Nur ein Land, das sich grenzenlos verachtet, ist geeignet, Büttel der internationalen Finanzoligarchie zu sein. Es ist erbärmlich, mit dieser Rechtfertigung andere Völker ins Elend zu stürzen. Deshalb sind die Vergleiche mit Nazi-Deutschland richtig. Warum widerspricht denn kein deutscher Politiker in aller Öffentlichkeit? Warum verteidigt niemand Deutschland? Sie haben Angst, ein Stein könnte ins Rollen kommen. In Deutschland herrscht kein nationalsozialistischer Geist. Gefährlich ist der Verzicht auf das nationale Selbstbewußtsein.  

 

 

 

Das System ist also ausgeklügelt. Aus Europa soll ein kräftiger Geldstrom fließen, um die zunehmend ineffizienter werdende Freie Welt, das westliche System, zu finanzieren. Politik kostet Geld, zumal wenn es sich um eine anachronistische handelt. Das, was wir heute in der EU beobachten, ist der Umbau Westeuropas zu einer Frondienstgesellschaft als Gegenstück zur Leistungsgesellschaft. Jeder frühere Zustand war nur ein Meilenstein auf dem Weg zu dem Zustand, in dem wir uns heute befinden. Diese historische Betrachtung ist bei konservativen Kritikern nicht ausgeprägt. Sie kritisieren den heutigen Zustand, aber nicht die Stationen, die dazu führten. Sie erkennen nicht die Logik der Nachkriegsära. Daraus resultiert ihre inkonsequente  Opposition. Der Widerstand gegen die heutige EU muß die Kritik der ganzen Nachkriegsära einschließen, sonst fehlt ihm die Konsequenz. Er kann nicht der Geschichte zustimmen und die Gegenwart ablehnen. 

 

Die EU-Kritik ist gegenwärtig unsicher. Sie zielt auf zwei Punkte: den Euro und die Verschuldung. Die Ablehnung des Euro wird in der Regel damit begründet, daß die Wirtschaftsräume der Euro-Staaten zu große Niveauunterschiede aufweisen. Werden diese Länder zusammengebunden, dann entsteht eine Unterordnung der schwächeren Länder unter die stärkeren, ohne daß sich die schwächeren wehren können, denn die Entscheidungen in der Eurozone werden von den stärkeren Ländern dominiert. Das trifft aber nicht den Kern. Der Euro ist deshalb nicht untauglich, weil er ökonomisch ungleiche Länder zusammenbindet, sondern weil er die nationale Souveränität der Länder mit Füßen tritt. Und das widerspricht dem Zeitgeist. Der Euro ist ein Herrschaftsmittel. Diese Tatsache darf man nicht aus den Augen verlieren. Sonst ergeht es einem so wie H.-O.   Henkel, der den Euro in einen Nord- und einen Süd-Euro spalten möchte. Ein solcher Schritt würde die nationale Entmündigung durch den Euro nicht aufheben, sondern fortsetzen. Auch ein zweigeteilter Euro würde Europa zerstören, denn dort , wo er regiert, hört die die nationale Souveränität auf. Sein Zerstörungswerk würde fortdauern, nur in anderer Form. Die Kritik am Euro, wie Henkel sie betreibt, beruht nicht auf einer anderen Grundlage, sondern ist nur eine Modifikation des gegenwärtigen Eurokonzepts. Sie ist deshalb für eine erfolgreiche Opposition unbrauchbar.

 

Eine ähnlich fatale Idee ist es, neben dem Euro eine zweite Währung einführen zu wollen. Jedes Land hätte dann zwei Währungen, eine herrschende Währung und eine scheinbar souveräne Währung, die sich stets dem Druck des Euro ausgesetzt sieht. Die Zwei-Währungs-Theorie beseitigt nicht die Probleme, die der Euro den Ländern schafft. Der äußere Markt und der innere Markt können nicht voneinander hermetisch getrennt werden. Das widerspricht der Funktion des Geldes als universelles Tauschmittel.

 

Bei den Euro-kritischen Ideen fehlt es an geldtheoretischer Begründung, warum für eine nationale Wirtschaft das eigene Geld notwendig ist. Es sei denn, man leugnet den Fortbestand der nationalen Wirtschaft. Beide Theorien verneinen die nationale Idee und liegen damit auf einer Linie wie das offizielle Eurokonzept, welches das Nationale als subjektive Form verleugnet. Beide Vorschläge sind Zugeständnisse an die gegenwärtige Politik. Sie kritisieren sie als Abwege, die man vermeiden kann, ohne die Grundideen aufzugeben. Wer nicht fest auf dem Boden der nationalen Souveränität steht, dessen Eurokritik führt ins politische Aus. Denn sobald die Eurokraten erkennen, daß die Kritiker in der nationalen Frage nicht sattelfest sind und der nationalen Organisationsform keine Zukunft geben, angeblich wegen der Gefahr, die vom Nationalen ausgeht, haben die Eurokraten Oberwasser. Man muß aber sagen, daß die nationale Unsicherheit nicht für die gesamte Kritik zutrifft. Gegenwärtig ist zum Beispiel die Wiedereinführung der D-Mark die tonangebende Linie bei der „Alternative für Deutschland“. Die konsequente Lösung ist in der Abschaffung des Euro überhaupt und der Wiederherstellung der nationalen Finanzhoheit, was die Einführung einer nationalen Währung bedeutet. Wer das fordert, aber gleichzeitig behauptet, Deutschland dürfe nicht zur D-Mark zurückkehren, wie der Vorsitzende der „Freien Wähler“ Bayerns, der bleibt für den Wähler ein Geheimnis.   

 

Von nicht geringerer Brisanz ist das zweite Kernproblem der EU-Kritik, um das die Ökonomen wissen und das sie deshalb um so mehr verdrängen.  Daß man Schulden zurückzahlen muß, ist für einen wohlausgebildeten und altgedienten  Ökonomen eine Selbstverständlichkeit, auch wenn er weiß, daß die Rückzahlung des heutigen Schuldenberges unmöglich ist. Der Grund für dieses merkwürdige Verhalten ist, daß der Zins das zentrale Thema des Geldwesens in der Zivilisation ist.  Der Zins ist es, der das Geld für die Herrschenden interessant macht und folglich ist jeder Zweifel am Zins ein Sakrileg. Wir müssen feststellen, daß die Hauptschwäche der Opposition darin besteht, daß sie keine rigorose Antwort auf die Frage gibt: Was soll mit den Schulden passieren?

 

Ob Euro oder Nicht-Euro ist für das Funktionieren der Volkswirtschaften ein Schlüsselproblem. Aber dieses Funktionieren setzt voraus, daß die Völker Luft zum Atmen haben. Und genau das ist es, die Völker werden unter dem Schuldenberg ersticken. Insofern steht die Frage nach der Beseitigung des Schuldenberges noch vor der Frage nach der Währung. Der Schuldenberg ist tödlich, ob in Euro oder in D-Mark. Ist es da nicht etwas verwunderlich, daß die ganze EU-kritische Diskussion genau diesen wunden Punkt meidet? Man wettert gegen den Euro und würdigt die Schuldenproblematik keines Blickes. Wir können uns das nur so erklären, daß die Kritiker vor der Forderung zurückschrecken, daß die Schulden aller EU-Länder gestrichen werden müssen. Das geht gegen ihr Gewissen.

 

An dieser Schwachstelle krankt die „Alternative für Deutschland“ vor allem.Und dieser Schwachpunkt zeigt, daß sie keine Partei der Erneuerung ist. Sie macht den Fehler der konservativen Kritik. Sie will das System korrigieren, damit es erhalten bleibt. Sie will nicht, daß  es von Grund auf verändert wird, demokratisch-reformatorisch. Insofern steht die Alternative hier vor einem für sie unlösbaren Problem. Diese Schwäche der konservativen Kritik kommt bei Peter Gauweiler prägnant zum Ausdruck. In einem Beitrag auf WELT-ONLINE vom 08.04.2013 wird er wiedergegeben: Er glaube dennoch, dass "diese Partei das Schicksal aller Einthemen-Parteien erleiden und scheitern wird", sagte Gauweiler der "Welt" . So berechtigt die Anliegen der AfD seien: "Ich sehe keine Alternative, als die Skepsis gegenüber der Euro-Rettungspolitik unserer politischen Klasse von Schwarz-Gelb bis Rot-Grün innerhalb der etablierten Parteien zum Ausdruck zu bringen." (Unterstreichung von mir) Damit wird das gegenwärtige Machtgefüge festgeschrieben.

 

Gegenwärtig läßt sich ein interessantes Phänomen beobachten. Die EU-Kritik war bislang eine abstrakte Kritik, die sich auf abstrakte Kategorien berief. Die Widersinnigkeit war noch nicht offenbar. Es schien so, daß die Mitgliedschaft in der EU ein Vorteil für die Länder sei, der den Verlust der nationalen Souveränität aufwog. Solange Geld floß, wurde von den Regierungen der Verlust der nationalen Souveränität hingenommen. Und Deutschland, die Lokomotive der europäischen Einigung, heizte anständig mit Geld ein. Aber die finanziellen Ressourcen sind nicht unbegrenzt. Es muß umverteilt werden. Und dieser Zwang zur Umverteilung provoziert die Kritik der nationalen Selbsterhaltung. Je weniger die Staaten von der EU profitieren, desto lauter wird ihre nationale Kritik. Das, was die EU-Ideologen stets verpönt haben, die nationale Souveränität, das wird zur unbezwinglichen Macht der EU-Kritik. Die EU wird an der nationalen Idee zerbrechen. Die EU-Kritik wird nicht mehr von einzelnen Personen und Parteien verkündet werden, sie wird staatliche Formen annehmen. Diese nationale Kritik wird um so stärker sein, je entwickelter die Demokratie ist, denn die Demokratie äußert sich national, sie ist national.

 

Die Völker Griechenlands, Italiens, Spaniens und selbst ein so kleines Volk wie die Zyprer, sind die Retter Europas. Von den Deutschen kann man das zur Zeit noch nicht sagen. Merkel und die EU-Spitzenfunktionäre beschworen stets den europäischen Geist. Sie nahmen für sich in Anspruch, mit der EU und dem Euro der europäischen Idee zu dienen, dem Wohlstand und dem Frieden Europas. Doch die europäische Idee ist vor allem die Idee der Selbständigkeit der Nationalstaaten als der  Grundvoraussetzung der Freiheit der Völker. Hier liegt der Lebensquell des geistig-kulturellen Schöpfertums Europas. Und diesen würden Eurokraten trocken legen. Aber dieser Quell sprudelt unermüdlich, weil der technische Fortschritt ihn endlos speist. Deshalb ist die europäische Idee stärker als ihre Widersacher.                                                                                                             

Zum Schluß: die AfD ist noch nicht die Lösung, aber sie kann der Anfang sein.

 

 

                                                                                 Johannes Hertrampf - 08.04.2013