Der dritte Weg als Alternative

Die Idee einer anderen Gesellschaft ist mit dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht verschwunden. Es ist die kapitalistische Gesellschaft selbst, die diese Idee als Gegenentwurf hervor-bringt. Eine Gesellschaft ohne die Gebrechen des Kapitalismus ist und bleibt die Hoffnung der Menschen, die unter den Gebrechen leiden. Die Anzahl dieser hoffenden Menschen wird immer grösser und mit ihr die Hoffnung. Viele Menschen bezeichnen dieses Gegenbild zum Kapitalismus als Sozialismus. Sie meinen damit nicht den gewesenen, praktizierten Sozialismus, sondern einen anderen, mit grösseren persönlichen Freiheiten. Die Definition ist unklar. Einig ist man sich, dass es eine bessere Gesellschaft sein soll. Es ist allerdings mehr ein fernes Ideal, welches mit diesem Namen bezeichnet wird. Dennoch ist für viele Menschen der Sozialismus der Inbegriff einer bes-seren Gesellschaft.

 

 

 

Der Dritte Wege erscheint dann als mögliche Variante, nicht als historische Notwendigkeit. Ihm liegt eine Geschichtsauffassung zugrunde, als könnnten die Menschen ihren Weg beliebig auswählen, so wie sie zu einer betimmten Zeit das eine machen können oder eben auch etwas anderes. Aber der Geschichtsverlauf ist keine üblich Wegbestimmung, keine freie Willensentscheidung, sondern unter der Oberfläche des freien Willens gibt es Bedingungen, die sich durchsetzen, die den Menschen keine andere Wahl lassen, sich in einer bestimmten Richtung zu bewegen. Es gibt nicht mehrere Wege, zwischen denen er wählen kann. Es gibt keine Auswahl, auch wenn der Mensch sich das einbildet. Das bedeutet nicht, dass der Mensch überhaupt keine Gestaltungsfreiheit hätte, aber diese ist viel enger, viel begrenzter, als er das wahr haben will. Das muss sich die politische Kritik ständig vor Augen halten, wenn sie nicht ins Phantastische abgleiten will, wenn ihre Ideen nicht lediglich verkleidete Wünsche sein sollen.

 

 

 

Der Erste Weg, das ist der raue Kapitalismus, der in der westlichen Welt sein eigentliches Domizil hat, das in den letzten zweitausend Jahren eingerichtet wurde: Europa und sein Ableger die USA, die innerhalb eines Jahrhunderts wie ein böses Gewächs über alle Form hinauswuchsen. So sind die USA eine deformierte Gesellschaft, in der sich audrückt, dass die Zivilisation am Ende nichts Neues mehr hervorbringt. Die westliche Welt, mit den USA an der Spitze, kämpft mit allen Mitteln um ihre Überlegenheit und um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit. Ihr Zukunftskonzept ist die Globalisierung. Diese leitet sie aus den wirtschaftlich-technischen Neuerungen und Verflechtungen ab, ohne dabei die bishherigen politisch-sozialen Grundstrukturen in Frage zu stellen. Das muss die Gesellschaft auf die Zerreissprobe stellen, weil es ein unlösbarer Widerspruch ist. Die herrschenden Kreise der USA, die an ihrem Wahn, die Welt zu führen, festhalten, wollten sich mit Obama eine neue Chance geben. Der Aktionismus und die Theatralik einerseits und die blutige Realität amerikanischer Politik anderseits vertiefen jedoch den Widerwillen gegen die westliche Welt und die USA. Da hilft auch nicht, wenn man die Globalisierung mit der Sozialen Marktwirtschaft etikettiert. Der Widerspruch bleibt und erweitert sich. Noch sträubt sich die westliche Welt gegen die er- nüchternde Einsicht, noch igoriert sie die geschichtliche Bewegung. Der Erste Weg, für den sie steht, stösst bei den Völkern auf zunehmende Ablehnung. Eine aktuelle Studie des britischen BBC, die sich auf Untersuchungen in 27 Ländern stützt, bestätig die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus. Die meisten Menschen ertragen ihn mit Ablehnung, stets in der Hoffnung, einen anderen Weg zu finden.

 

 

 

Der Zweite Weg war der reale Sozialismus, wie er von Marx und Lenin konzipiert wurde und mehr als ein halbes Jahrhundert existiert hat. Er sollte den Gesellschaftsfortschritt verkörpern. Auf fundamentale Thesen gestützt, wurde er auf dem Reissbrett vorgezeichnet und von dort auf die gesell-schaftliche Wirklichkeit übertragen. Er war eine Gesellschaft für Menschen erdacht, aber nicht von den beteiligten Menschen selbst erarbeitet. Es war ein Leben nach Vorlage. Das hatte zur Folge, dass die Menschen sich in ihr nie richtig heimisch fühlten, denn das Eigne ist nicht nur etwas Erkanntes Umgesetztes, sondern etwas Erarbeitetes. Die allgemeine Interesselosigkeit nahm diesem Weg die Lebenskraft, so dass sein Ende ohne erheblichen Widerstand eintrat, selbst in der Sowjetunion als der Führungsmacht.

 

Der Dritte Weg, als konkurrierende Idee zum Zweiten Weg, sollte weder das eine, noch das andere sein. Er verhielt sich im Wettstreit der Systeme neutral. Er wollte das nicht Akzeptierte der beiden anderen Wege vermeiden, ohne ein eigenes klares Konzept zu besitzen. Er verfügte nie über ein so theoretisches Gerüst wie der Zweite Weg. Seine Vorstellung war eine idealisierte Gesellschaft, in der das Glück, die Bedürfnisbefriedigung aller, gewährleistet wird. Damit hatte er das gleiche Ziel wie der Zweite Weg. Im Verlaufe der Zivilisation hatte sich als allgemeines Ziel gesellschaftlicher Organisation der allgemeine Glückszustand als zentrale Idee herausgestellt. Alle gesellschaftlichen Überlegungen waren darauf ausgerichtet, um so mehr, als die Wirklichkeit dem gerade nicht ent-sprach. Gemeinsam war all diesen weltverbessernden Absichten, dass sie die Ereichung eines solchen Zustandes als irdisch real ansahen, im Unterschied zu den religiösen Wegen, die diesen Zustand nur im Jenseitig ansiedelten. Im Gegensatz zu den jenseitigen Vorstellungen ist auch der Dritte Weg eine diesseitige, praktisch erlebbare, Variante einer glücklichen Gesellschaft, die bis heute sich vor allem moralisch begründet, also keinen speziellen theoretischen Unterbau hat. Der Zweite Weg war nach dem Willen der Begründer des „wissenschaftlichen“ Kommunismus von der Utopie zur Wissenschaft erhoben worden. Dieser Anspruch erwies was sich allerdings als Irrtum. Wissenschaftliche Ausssagen sind immer praktizierbar, aber genau daran scheiterte der „wissen-schaftliche“ Kommunismus. Im Unterschied zu diesem baut der Dritte Weg insgesamt auf einer moralischen Überzeugung einer besseren Welt auf, wenn auch Wirtschaftswissenschaftler bestimmte Grundzüge seiner praktischen Umsetzung entwarfen. So wurden in der Wirtschafts- und Geldtheorie Elemente einer Sozialen Marktwirtschaft und die Freigeldlehre entworfen. Aber alle Ver-suche einer praktischen gesellschaftlichen Reform blieben erfolglos. Wenn Politiker dennoch nicht müde werden, die Soziale Marktwirtschaft zu fordern, dann wollen sie damit eine konzeptionelle Begründung ihrer Politik vortäuschen.

 

 

 

Bis heute fehlt es an einem wissenschaftlichen Entwurf einer neuen Gesellschaft. Es fehlt an einem überzeugenden Ansatz. Das führt zu einer starken Verunsicherung der Opposition. Auf der einen Seite ist die Überlebtheit des Kapitalismus unverkennbar, auf der anderen Seite fehlt es an einer überzeugenden Idee. Was heute als Altenative zum Kapitalismus angeboten wird, tangiert vor allem religiöse - christliche und islamische – Gedanken aus der Bergpredigt und aus dem Koran. Sie be-gründen damit eine irdische Gesellschaft überirdisch. Gott wird zur praktischen Idee gemacht, deren Auslegung religiösen Würdenträgern obliegt. Übereinstimmend mit dem Zweiten Weg ist beim Dritten Weg das Festhalten an dem konsumtiven Glückszustand, der durch die Gerechtigkeit als dem zentralen Ordnungsfaktor verwirklicht werden soll. Damit wird die angestrebte Gesellschaft mit der Erfüllung des in der Zivilisation beklagten konsumtiven Defizits gleich gesetzt. Eine so begründete Gesellschaft unterscheidet sich nicht vom Ziel des Zweiten Weges, nur dass dieser von sich behauptete, die wissenschaftliche Begründung zu besitzen, indes bei den nicht auf Wissen begründeten Vorstellungen von einer jenseitigen Begründung ausgegangen wird, die nicht des Beweises durch den menschlichen Geist bedarf. An die Stelle der Wissenschaft tritt der Glaube an das göttliche Wort. Die Interpretation obliegt, wie gesagt, religiösen Sachverständigen.

 

 

 

Bedingt durch die reale Gesellschaft stand bei allen bisherigen gesellschaftlichen Konzepten die Verteilung der Güter und Leistungen im Mittelpunkt des Interesses. Es ging immer darum: Wie werden die hergestellten Güter und Leistungen gerecht verteilt bzw. welche Bedingungen müssen geschaffen werden, damit gerecht verteilt werden kann. Denn die Gerechtigkeit wird als der Weg zum Glück angesehen. Die Vergesellschaftung des Eigentums an den Produktionsmitteln, die Abschaffung des Geldes bzw. die Vermeidung seiner Anhäufung oder einfach die Schaffung eines Überflusses an Gütern und Leistungen, sind die wichtigsten Ratschläge zur Schaffung eines allge-meinen Glückszustandes. Immer ging es darum, die Verteilung der Güter und Leistungen so zu regeln, dass die grösste Zufriedenheit aller erzielt wird. Heute können wir sagen, dass ein solches Ziel ein Trugschluss ist, weil es der Natürlichkeit des Menschen widerspricht. Eine Gesellschaft aus zufriedenen Menschen wäre eine Gesellschaft, bei der es keine Entwicklung mehr gibt und damit könnte der Mensch auch nicht zu seiner natürlichen Funktion finden. Die Natur selbst hat vorgesorgt, dass dieser Zustand nicht eintritt, weil die Menschen als Individuen geboren werden, die alle in ihrer Besonderheit einmalig sind. Jedes System ist ein System von Konkretheiten, deren Existenz eben durch das System gewährleistet wird. Das System ist die Organisation, in der die Konkretheiten existieren können. Das ist überall so, auch in der Gesellschaft. Wie diese Organisa-tion hergestellt wird, das ist die Frage. Ein Konzept, das die Verteilungsgerechtigekeit in den Mit-telpunkt stellt, die letztlich immer auf Gleichheit hinausläuft, muss scheitern. Die Gesellschaft ist wie alles Natürliche nicht auf Gleichheit, sondern auf Ordnung ausgerichtet. Diese Ordnung ist in der Gesellschaft jedoch nicht unveränderlich, sondern sie ändert sich grundsätzlich entsprechend des technischen Typs, der vorherrscht. Dieser beseitigt nicht die Ordnung, sondern die Art der Ordnung. Hier gibt es also eine Abfolge, wie es bei der Technik eine Abfolge gibt. Eine solche Histori-zität gibt es in der Natur nicht. Wir haben bei ihr verschiedene Ordnungen, aber keinen Ordnungswandel innerhalb einer Ordnung, eines Systems. Diese Historizität ist dem menschlichen Dasein vorbehalten. Sie ist nicht etwas ihm von aussen Aufgezwungenes, sondern er bringt sie selbst hervor durch den interessengetriebenen technischen Fortschritt. Es besteht also technische Determi-niertheit und keine Beliebigkeit. Der Mensch kann seine Ordnung nicht willkürlich bestimmen, sondern sie muss dem technischen Typ adäquat sein.

 

 

 

Im Gegensatz zu den religiös begründeten Gesellschaftskonzeptionen, vertreten wir den Stand-punkt, dass ein alternatives Gellschaftskonzept auf Erkenntnis beruhen muss - durch Wissen zur Freiheit. Diese These der vollständigen wissenschaftlichen Begründung ist insofern berechtigt, als alles menschliche Handeln, das so herangeht, erfolgreich ist. Der Mensch, der sich von anderen Lebewesen durch technischen Fortschritt auszeichnet, beweist dies täglich, denn Technik ist die Kombination kausaler Zusammenhänge durch den Menschen, auch dann, wenn noch nicht von wissenschaftlicher Erkenntnis der Zusammenhänge gesprochen werden kann. Die Gesellschaft gehört zu den natürlichen objektiven Erscheinungen, in denen Gesetze wirken, deren Erkenntis nur durch partielle Interessen erschwert wird, die sich gegen die Erkenntnis richten. Aus diesem für die  Zivilisation typischen Zustand tritt der Mensch nun heraus. Damit gilt für die Gesellschaft der in anderen Bereichen längst bewiesene Satz: Der Umfang der wissenschaftlichen Fundierung ist der Garant des Erfolgs. Der Misserfolg löst immer die Suche nach den Fehlern aus, hat eine Analyse der Handlung zur Folge. Aus dem Scheitern des Zweiten Weges muss diese Schlussfolgerng gezogen werden. Deshalb sagen wir, die Theorie war falsch, nicht das Vorhaben, etwas theoeretisch Be-gründetes zu schaffen. Das aber war die allgemeine Reaktion der fortschrittsfeindlichen Kräfte nach dem Scheitern des Sozialismus. Sie wollten keine Analyse des Scheiterns, indem sie die Gesellschaft selbst mystifizierten. Das „Versagen“ der Wissenschaft, die Lückenhaftigkeit der Erkenntnisse, ist aus allen Praxisbereichen bekannt. Das Scheitern des Sozialismus hat also letztlich theoretische Gründe. Die Überzeugung von Marx, dass auch die Gesellschaft sich nach Gesetzmässig-keiten bewegt, ist dagegen richtig. Er war ein Protagonist wissenschaftlich begründeter er Gesell-schaftsgestaltung. Daher auch seine und Engels' lebenslange Auseinandersetzung mit dem mecha-nischen Materialismus, für den es keine eigene gesellschaftliche Gesetzmässigkeit gab.

 

 

 

Das zentrale Ordnungsproblem der Gesellschaft ist das Verhältnis des Individuums zur Gemein-schaft. Nicht, dass sich das Individuum in Beziehung setzt, sondern wie diese Beziehungen beschaf-fen sind. Nicht in der Antwort auf die Frage nach dem Warum liegt das Erkenntnisproblem, denn diese Antwort enthält noch keine praktikable Erkenntnis, sondern die Antwort auf die Frage nach dem Wie, die das Warum auflöst, bringt uns den brauchbaren Wissenzuwachs. Hier stossen wir auf die menschliche Besonderheit und stellen fest, dass dieses Wie nicht gleich bleibt. Die Einmaligkeit des Teils ist eine der ganzen Natur eigene Erscheinung. Das System, zu dem das Teil gehört, sichert die Existenz des Teils. Insofern ist seine Existenz systemabhängig. Aber dieses System des menschlichen Zusammenlebens ist nicht unveränderlich. Es weist - wir hatten schon darauf verwiesen - Entwicklung auf, die im Kern darin besteht, dass sich das Individuum imfassender mit Technik ausstattet. Doch Technik ist die zweckmässige Zusammenführung gesetzlicher Zusammenhänge in menschlichem Handeln. Menschliche Entwicklung beruht somit auf Vergrößerung der Gesetzlich-keit im menschlichen Handeln. Das ist der Hauptinhalt der Entwicklung. Der Mensch organisiert seine Umwelt in steigendem Masse auf gesetzmässiger Grundlage.

 

 

 

Entsprechend der technischen Typen unterscheiden wir drei Ordnungen individuellen Verhaltens in der Gemeinschaft.

 

 

Erstens die Beziehungen der konkreten Determiniertheit der Handlungen auf der Stufe der Werk-zeugtechnik, die durch eine Vielzahl feststehender Verhaltensweisen vorbestimmt sind. Bei dieser Form bleibt das Individuelle auf einenr niedrigen Stufe, es kann sich nicht entfalten. Das Individuelle auszuleben bedeutet immer, über Bekanntes hinausgehen. Auf dieser ersten Stufe ist das auf Grund des niedrigen technischen Standes äusserst riskant. Wenn der Mensch sich an die über Gene-rationen hinweg gemachten Erfahrungen hält, sich also von Bekanntem leiten lässt, steht er auf der sicheren Seite. Insofern das Individuelle das Bekannte überschreitet, sind Erfahrungswerte sehr unsicher bzw. nicht anwendbar. Der Fehlgriff lauert in dem Falle auf Schritt und Tritt. Das Individuelle darf sich alo nur in Nebensächlichem äussern, das seine Existenz nicht gefährdet. Dieses Zurschaustellen des Indiviuellen geschieht dann umso vordergründiger. Der Schmuck ist in diesen Verhältnissen die wichtigste Äusserung des Individuellen. Man unterscheidet sich voneinander, ohne sich praktisch zu gefährden. Das gilt für den Schmuck des Körpers und die Verzierung der Gerätschaften, deren man sich bedient. Das heisst nicht, dass Schmuck bedeutungslos ist, er erfüllt eine wichtige soziale Funktion, Er sagt etwas aus über die Stellung des Indiviuums in der Gruppe und über seine Zugehörigkeit. Auf der Stufe der Werkzeugtechnik spielt das Indiviuelle eine unter-geordnete Rolle. Die kollektive Norm weist dem Indiviuum seinen Platz zu, dem er sich bei Strafe seines Untergangs nicht entziehen darf.

 

 

 

Zweitens die Organisation der erweiterten Indiviualitätsäusserung auf der Stufe der Maschinentechnik. Diese Stufe der indiviuellen Organsation räumt dem Individuellen grösseren Spielraum ein und führt zu einer entsprechenden inneren sozialen Dynamik. Die Teilung in Arbeitszeit und Freizeit wird obligatorisch für den Alltag, wobei die Freizeit die Zeit indiviueller Freiheit wird. Für die Masse der Indiviuen ist die Freizeit die Möglichkeit sich individuell zu äussern, wenngleich auch hier in eingeschränkter Form der zur Verfügung stehenden Mittel. Es kann in begrenztem Umfang eine gesonderte private Lebensführung entwickeln. Für einen kleinen Teil der Gesellschaft besteht infolge der hohen Produktivität der Arbeit nun jedoch schon die Möglichkeit der exklusiven Entfaltung der indiviuellen Anlagen und Fähigkeiten, vor allem für Künstler, Philosophen, Erzieher und Wissenschaftler, ein neuer Zug gegenüber stationären Kulturen. Es bildet sich eine Sphäre gesonderter geistiger Tätigkeit. Allgemein ist ein verstärktes Abweichen von der Erfahrung festzustellen. Man erkennt, dass sich das Individuelle im Neuen ausdrücken kann. Nicht die Erfahrung steckt den Raum ab, sonder das Erkennen der Gesetze. Garantierte bisher die Erfahrung die Sicherheit, so ist es nun vor allem das erkannte Gesetz. Solange sich das Individuum an das Gesetz hält, ist es auf der sicheren Seite. Neuland bleibt ungewiss, verliert aber seine Bedrohung. Die Verbreitung entsprechender Kenntnisse ist für die Zivilisation im Vergleich zur Kunst und Religion die entscheidende geistige Grundlage der Gesellschaft und damit auch für die indiviuelle Befreiung. Dabei wird nicht auf die Erfahrung verzichtet, sondern es ist nur so, dass die hauptsächlichsten Organisationslinien auf theoretischer Grundlage hergestellt werden, z.B. bei der Herstellung und Unterhaltung des Staates. Die Rationalität als durchdringendes Prinzip ermöglicht Herrschaft, aber auch Fortschritt. Die Wissenschaft wird zu einer Bedingung von Herrschaft und Fortschritt. Die Idee der Freiheit beruht letztlich auf dem Fortschritt durch Wissenschaft, der zum Reich der Freiheit führt. Das Indiviuum erkennt dieses Reich der Freiheit als sein Reich, als den Zustand, in dem es sich voll entfalten kann. Die Spaltung der Gesellschaft in Herren und Knechte ist nur eine Übergangsphase zu diesem Reich. Dieses Bewusstsein ist eine grosse Triebkraft der individuellen Kräfte. Die Wissenschaft macht die freie Indiviualität zum Zweck der Entwicklung. Fortschritt der Wissen-schaft bedeutet aber, dass sich der Mensch immer tiefer in die Zusammenhänge seiner Umwelt begibt, dass er sein indiviuelles Dasein immer enger mit seiner Umwelt verquickt. Der äusserliche Ausdruck des Indiviuellen im Schmuck bleibt erhalten, aber er korreliert nun immer mehr mit dem indiviuellen gegenständlichen Bezug. Ja, er wird selbst Bedingung des gegenständlichen Bezugs. Wissenschaft und Kunst als geistige Aneignungsformen bewegen sich aufeinander zu. Die Auflö-sung ihres gegensätzlichen Verhältnisses in der Zeit der Zivilisation schafft indiviuelle Wirkungsmöglichkeiten, aber auch neue Problemsituationen. Die Organisation der indiviuellen Beziehungen hat sich im Verlaufe der Zivilisation geändert. Die Freizügigkeit hat enorm zugenommen, besonders in der heutigen kapitalistischen Phase. Aber infolge der Herrschaftsverhältnisse ist diese Freizügig-keit äusserst fragil. Die soziale Unsicherheit wächst schneller als die Freizügkeit, so dass technisch bedingte positive Effekte überkompensiert werden.

 

 

 

Drittens schliesslich kommt es durch die Automatentechnik zu einer indiviuellen Organisationsform, bei der sich das Indiviuum vollends in den Vordergrund stellen kann. Es zeigt sich, dass nicht so sehr die Eigentumsform darüber entscheidet, wie die Vertreter des Zweiten Weges (Sozialismus) das annahmen, sondern die technischen Mittel sind es, die dem Individuum für seine Entfaltung zugute kommen. Der entscheidende Grund dafür liegt in neuen technischen Möglichkeiten (vor allem Kommunikation, Verkehr und Information), die dem Individuum eine größere Beweglichkeit einräumen. Handy und Internet, aber auch die indiviuelle Mobilität, schaffen dem Individuum immense Wirkungsräume. Das alles vollzieht sich zunächst in der alten Herrschaftsgesellschaft, gerät aber mit dem Herrschaftsprinzip in zunehmende Kollision. Zunächst gehen die Äusserungen auch den Weg der Nebensächlchkeiten. Mode und Schmuck, wie individueller Lebensstil nehmen zu. Sich extravagant Herausheben aus der Allgemeinheit ist ein Zeichen neuer Selbstdarstellungsmöglichkeiten, vor allem aber eines gehobenen indiviuellen Lebensgefühls. Die dadurch geförderten individualistischen Denkweisen liegen durchaus im Interesse des Systems, was sich unter anderem darin äussert, dass oppositionelle Strömungen schwer zustande kommen. Doch das eigentlich Neue ist, dass die Individuenen ihre Besonderheit produktiv ausdrücken, also in Kreativität, die über die indiviuellen Äusserlichkeiten hinausgehen. Von einem bedeutenden Kreativitätsaufschwung kann unter den gegenwärtigen Bedingungen jedoch nicht gesprochen werden. Dazu fehlt das gesell-schaftliche Umfeld. Soziale Unsicherheit und soziale Ängste lasssen die meisten kreativen Möglichkeiten verkümmern. Insofern bleibt vieles ungenutzt bzw. ergeben sich hieraus grosse destruktive Folgen, wie Massenarbeitslosigkeit, Kriminalität und soziale Verzweiflung. Der neue technische Typ hat also keinen spontanen Wandel der Gesellschaft zur Folge. Erst durch politische Umgestaltungen, die auf eine neue Volkssouveränität abzielen, vollzieht sich der wirkliche qualitative Wandel der individuellen Organisation. Solange das ausbleibt, wirken die technischen Möglichkeiten eher zerstörerisch. Die Konsequenz ist sogar eine fortschreitende allgemeine  Erosion der Gesellschaft, wie sie in der westlichen Gesellschaft festgestellt werden kann. Es bildet sich ständig neuer Konfliktstoff.

 

 

 

Betrachtet man diese drei technisch-kulturellen Typen, so muss man sagen, das Wesentliche ist die Erweiterung der kreativen Indiviualität, der Übergang vom Schmuck zur Kreativität. Es müssen daher die gesellschaftlichen Strukturen gefördert werden, die dem Rechnung tragen. Technischer Fortschritt und gesellschaftliche Veränderungen müssen nicht nur Hand in Hand gehen, sondern sie haben auch eine wesentlicheZielrichtung, die Individualisierung.

 

 

 

Damit haben wir den Kern herauskristallisiert, der für den Dritten Weg typisch ist. Dieser ist also nicht primär auf die Verteilungsgerechtigkeit orientiert. Es geht um die Überwindung der Grenzen der Zivilisation. Und da kann man nicht vom Eigentum und von der Verteilung ausgehen, sondern von der massenhaften Verfügbarkeit über neue Technik für jeden einzelnen. Ein Mehr an traditio-neller Bedürfnisbefriedigung bringt noch keinen Fortschritt. Die bisherigen Gesellschaftsreformer erkannten nicht, worin das Wesen des Fortschritts besteht: die Entwicklung erweiterter Möglichkeiten, die indiviuellen Anlagen zu äussern, vor allem in neuen Erfindungen und Entdeckungen. Aller Kampf gegen die überholte zivilisatorische Ordnung, der so nicht ausgerichtet ist, muss sich als sozialer Romantizismus erweisen, der sich seinem Ziel nicht nähern kann. Wer diesen Zusammen-hang zwischen moderner Techik und Individualität nicht beachtet, der kann nicht erfolgreich sein, auch wenn er noch so selbstlos kämpft.

 

 

 

Der Kommunismus war der bisher grösste weltgeschichtliche Versuch einer planmässigen gesellschaftlichen Wandlung. Er scheiterte an seinem theoretischen Dogmatismus. Seine politischen  Köpfe spürten im Verlauf der Zeit eine wachsende Unsicherheit und wurden dadurch um so mehr Dogmatiker. Sie lagen mit dem Herrschaftsprinzip der Zivilisation auf einer Linie. In ihm sahen sie nicht die zu überwindende Grenze, sondern im Gegenteil die Bedingung des Erfolges. Diesem Denkfehler war schon Marx verfallen, denn er hatte 1852 in einem Brief an Joseph Weydemeyer als erster die These von der Diktatur des Proletariats formuliert. Was aber die Diktatur zum Ursprung hat, bekennt sich zur alten Gesellschaft und kommt von dieser Fessel nicht mehr los. Damit wird die Zukunft stets vor sich her geschoben.

 

 

 

Dass sich der Kommunismsus als Krönung der Zivilisation verstand, war noch nicht einmal seine Hauptschwäche. Bei demokratischer Prämisse wäre dieses Problem lösbar gewesen. Sondern dass er zum Mittel der Diktatur griff und damit die Volkssouveränit in neuer Form ausschloss. Eine Erneuerungsbewegung kann noch so unvollkommen sein, ihr Erfolg hängt nicht ab, vom ursprünglichen Ziel, sondern vom Weg, zu dem sie sich bekennt. Wenn sie den Weg der konsequenten Volkssouveränität einschlägt, wird sie sich korrigieren, wird ihr Weg ein permanenter Reformprozess sein. Und das war eben beim Kommunismus nicht der Fall gewesen, weil er die Diktatur zum Geburtshelfer auserkoren hatte und damit fest fixiert war. Insofern verzichtete er auf das wichtigste schöpferische Potential, das Volk, das allein den erforderlichen Geist für diese komplizierte Wende hervorbringen kann. Eine neue Gesellschaft, die mit einer Diktatur beginnt, ist keine Gefahr für das alte System, denn sie kommt nicht aus der Zivilisation heraus. Jeder ihrer Ansätze muss ausarten und sich zerstören. Wenn das heutige System den Antikommunismus predigt, dann entweder aus Dummheit oder aus bewusster Falschorientierung, um die Opposition zu binden. Ob Absicht oder Dummheit ist sekundär, weil das objektive Resultat entscheidet. Und von daher sind beide Gründe gleichwertig.

 

 

 

Die Demokratische Alternative ist der gangbare Dritte Weg, sie ist der rationale Kern der demokra-tischen Opposition. Die demokratische Opposition ohne diese Alternative ist erfolglos, denn sie ist ohne solide Grundlage. Das hat sich praktisch erwiesen. Die demokratische Opposition ohne diesen Alternativgedanken ist oberflächlicher, spontaner Protest. Sie ist die Fortsetzung der kleinbürger-lichen Opposition in der letzten Zivilisationsphase, eine Opposition, die nicht willens oder nicht fähig ist, Neuland zu betreten. Sie ist Protest ohne machbares Gegenkonzept und daher nicht wirklich handlungsfähig. Ihr Aktivität hat den Fatalismus zur Folge.

 

 

 

Die Idee des Dritten Weges ist ein Ausdruck des Suchens, so wie der internationale und nationale Kommunismus es auch war. Doch wie diese Ideen ist auch er bisher stets gescheitert. Es gibt keinen praktischen Beweis seiner Machbarkeit.

 

 

 

Angesichts des Realitätsverlustes der westlichen Welt kommt es zu immer stärkeren Befreiungsbewegungen mit unterschiedlich begründeten Zielstellungen. Eine Diskussion über die Ziele führt zur Disparität der Kräfte. Deshalb sollten nicht die Ziele im Vordergrund stehen, sondern der Weg dahin. Gemeint ist: die volkssouveräne Demokratie. Das Bekenntnis zu diesem Weg ist das entscheidende Merkmal des Dritten Wege und führt zur Verifizierung der Ziele. Das heisst nicht, dass es über die Ziele keine Diskussion geben solle, sondern, dass für die politische Praxis der Weg ent-scheidend ist. Dieser Weg ist strikt einzuhalten und bedeutet öffentliche freie Diskussion und letztlich mehrheitsorientierte Abstimmung. Der Volkskörper muss als Subjekt verstanden werden, das in der Lage ist, den spezifischen einzig möglichen Weg zu erkunden. Der Volkskörper wird immer den richtigen Weg finden. Die Theorie kann diesen Findungsprozess aber abkürzen. Sie erfüllt in dem speziellen Fall die Aufgabe, die sie in jeder anderen Hinsicht auch erfüllt. Die Findung der spezi-fischen Ziele ist gar nicht anders möglich, selbst dann  und dort nicht, wo die Zielbestimmung im allgemeinen richtig ist. Die allgemeine Zieldiskussion darf also nicht in die konkreten Wegbestimmungen eingreifen, sondern sie muss abseits davon geführt werden. Die Menschen müssen sie kennen, sich ihnen aber nicht unterordnen.

 

 

 

Im Zentrum dieser allgemeinen Zielbestimmung steht der neue Gegenstand menschlicher Tätigkeit, die Reproduktion der belebten Welt durch den Menschen. - Was ist der Zweck menschlichen Tuns? Diese Frage muss neu beantwortet werden, da die bisherige Beantwortung den Menschen in einen tödlichen Widerspruch mit der Natur stürzt. Wenn das aber zutrifft, dann kann diese Antwort nicht zusammenhanglos neben der neuen Stufe der Individulität stehen, dann muss zwischen beiden eine enge ursächliche Beziehung stehen. Es gibt nicht verschiedene Auswege. Letztlich kann das eine nicht ohne das andere gelingen. Die Organisation der Indiviualität und die Aneignung des neuen Gegenstandes sind nicht unabhängig voneinander denkbar.

 

 

 

An dieser Stelle erhebt sich sofort die Frage: Wieso ist das so? Wieso ist die freie Indiviualität nur mit dem neuen Gegenstand möglich? Oder anders: Wieso ist die freie Indiviualität nicht auch bei Beibehaltung des alten Gegenstandes möglich, bei dem sich alles um den Menschen drehte? Das hauptsächliche Argument ist wohl, dass die Begrenzung auf den alten Gegenstand den Menschen immer mehr in Gegensatz zur Natur bringt.Wie kann aber ein Mensch frei sein, wenn er sich mehr und mehr in Fesseln legt und sich nicht auf die unendliche Vielfalt der Welt orientiert? Der bisherige Gegenstand ist bei weitem nicht ausgeschöpft, aber er ist nur ein Typus von Gegenstand und von daher begrenzt. Der Mensch als universell angelegtes Wesen kann nicht eine höhere Stufe seiner Freiheit erreichen, wenn er sich nicht der ganzen gegenständlichen Vielfalt der Natur zuwendet. Nur dann wird er eins mit ihr, wirken ihre Gesetze als Ganzes in ihm, kann er seinem „göttlichen“ Zweck in der Natur nachkommen. Das Ganze vom Standpunkt des Einzelnen aus betrachtet ist immer durch die Einzelsicht beschränkt. Durch die Vielheit aller nähern sich die Menschen dem Ganzen der Natur.

 

 

 

Es geht also um das Ganze, was von allen betrachtet wird. Wenn wir sagen, der neue Gegenstand ist notwendig, dann meinen wir, alle müssen sich dem neuen Gegenstand zuwenden, nicht ein einzelner oder wenige. Die ganze Gesellschaft muss sich ihm zuwenden. Diese allgemeine Zuwendung beeinflusst auch die Sicht jedes Einzelnen, auch wenn er sich weiter mit einer spezifischen Seite des Menschen befasst. Denn die Zuwendung zum neuen Gegenstand lässt den Menschen in neuem Lichte enststehen. Der so beleuchtete Mensch ist nicht identisch mit der alten Betrachtungsweise des Menschen.

 

 

 

Dieser neue Weg und das neue Ziel werden heute noch durch die alte Gesellschaft verdeckt. Das heisst, die Ansätze des Neuen sind vorhanden. Wie anders könnten sich sonst Widerstände bemerk-bar machen. Widertsand leisten kann nur das real Existierende. Die Spannung entseht also, wenn zwei Realitäten aufeinander treffen. Und diese neue Realtät bringt die alte Gesellschaft hervor. Wenn also die alte Gesellschaft indiviuelle Solartechnik oder die indiviuelle Kommunikationstechnik entwickelt, dann ist das eine neue Realität, die mit der alten Gessellschaft schon nicht mehr konform geht. Wir erleben die Ansätze einer neuen Gesellschaft. Und die müssen wir fördern.

 

 

 

Die Widerstandskräfte der alten Welt lassen nach, so dass sich das Neue freier bewegen kann. Das gilt beonders für die BRD in ihrem Abhängigkeitsverhältnis zu den USA. Doch diese Freiheit muss genutzt werden. Das liegt im deutschen Interesse und das liegt in Erwartung der Welt. Deutschland muss sich frei machen, nicht nur von etwas, sondern für vor allem für etwas, für einen Kreativi-tätsschub.

 

 

 

Die alte zivilisierte Welt hat eine hohe Schuld bei den Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Länder haben das Recht zu fordern. Wenn wir also diesen Forderungen nachkommen wollen, müssen wir dazu fähig sein. Wir müssen neue Ressourcen schaffen, damit wir überhaupt die Erwar-tungen erfüllen können. Die Verschmutzungen und Belastungen, die diese Länder verursachen, dürfen wir ihnen nicht zum Vorwurf machen, sondern müssen wir kompensieren. Deswegen dürfen wir nicht mit ihnen in Wettbewerb treten, sondern müssen sie von unseren Zwängen frei machen. Sie sollen nicht werden wie wir sind, weil wir sie sonst in unser Muster prägen würden. Wir müssen anerkennen, dass sie schon auf ihrem jetzigen Niveau zu Leistungen fähig sind, zu denen wir nicht fähig sind. Diejenigen Politiker bei uns, die uns in einen Kostenwettbewerb mit diesen Ländern bringen wollen, die die Einwanderung der besten Kräfte aus diesen Ländern betreiben, behindern uns bei Erfüllung unserer globalen Pflichten und schaffen neuen Konfliktstoff. Sprechen wir also nicht von Globalisierung, sondern von globaler Verantwortung, die wir haben. Reden wir nicht davon, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern davon, wie wir einen Formationswandel einleiten. Deutschland muss sich von der BRD befreien, die noch dem alten System angehört, um für die Freiheit der anderen zu wirken.

 

 

 

                                                                          Johannes Hertrampf (27.10.2009)