Das Selbstbewußtsein der Deutschen

Die Angst vor der Zukunft treibt wundersame Blüten. An der Spitze Bundeskanzlerin Merkel mit ihren Prognosen zum Euro und zur EU, zum Islam und zur Demokratie. Und in ihrem Gefolge Präsident Gauck, in der Pose eines Moralpredigers, der Gewichtiges zu sagen hat. Neuerdings mit seiner Feststellung vor dem Bundestag: „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“.

 

 

 

Der Name Auschwitz ist stellvertretend für die Greueltaten während der nationalsozialistischen Diktatur. Die Achtung vor dem großen Leid und dem Schwur von damals, so etwas nie wieder zuzulassen, muß uns Anlaß sein, das Wissen um die Geschehnisse und Hintergründe zu erweitern, zu vertiefen und öffentlich kundzutun, um unsere Verpflichtung zu erfüllen. Daß wir uns mit unserer Geschichte befassen, ist also eine unverzichtbare Voraussetzung für unser politisches Handeln. Deshalb haben wir Deutschen ein starkes Interesse an der historischen Wahrheit.

 

 

 

Bedauerlich ist allerdings, daß in den Medien die historische Erkundung heutzutage kaum tiefgründig betrieben wird und stattdessen ein oberflächliches, kurzsichtiges Vorteilsdenken und eine stereotype Sichtverengung im Vordergrund steht. Die Folge hiervon ist, daß sich an allen Ecken und Enden Widersprüche auftun, weil die anderslautende Wirklichkeit und differenzierende historische Analysen sich nicht in das vorgefaßte Korsett einordnen lassen. Bei den Regierenden sowieso, aber auch bei der Opposition besteht ein Mangel an politischer Historizität. Zukunft scheint vielfach nur Fortsetzung der Gegenwart zu sein. Eine solche Zukunft erzeugt aber Angst, sie ist kein Hort der Hoffnung und der Freude, denn sie ist ohne Perspektive. 

 

 

 

Gauck brachte mit seinem Satz nicht nur die Greueltaten in Erinnerung, sondern er stellte einen kausalen Bezug her zwischen diesem Verbrechen und der deutschen Identität. Er erklärte die böse Tat nicht als Ausfluß der faschistischen Diktatur, die sich Deutschland unterworfen hatte, sondern als eine Tat, die sich aus der deutschen Eigenart ableitet.  

 

 

 

Unter Identität eines Volkes verstehen wir die Gesamtheit der Besonderheiten eines Volkes, die sich in seiner Verbundenheit mit der Natur, seiner religiösen Welterfahrung, seinem Streben nach Welterkenntnis, seiner Weltoffenheit u.ä.m. äußern, die sein gesamtes Wollen, Fühlen und Handeln prägen. Jedes Volk gestaltet auf seine Weise menschliche Wirklichkeit. Somit sind der nationale Formenreichtum und der internationale kulturelle Austausch eine Bedingung der bestmöglichen Entwicklung der Menschheit. Die nationale Eigenart liefert aber noch keine Erklärung für den Antrieb der Entwicklung eines Volkes. Dieser entsteht letztlich aus den materiell-technischen Handlungsbedingungen, über die der Mensch die Naturgesetze in sein Leben hereinholt, sich wirklich aneignet. Jeder materiell-technische Fortschritt ist erweiterte Anwendung der Naturgesetze, was zur Folge hat, daß der Mensch seine Lebensweise dementsprechend umgestalten muß. Und je nachdem, wie das gelingt oder nicht gelingt, entstehen starke Entwicklungsschübe oder es bauen sich mehr oder weniger große Spannungen und Konflikte in all seinen Lebensbereichen auf, die um so erbitterter ausgefochten werden, je tiefer die anstehenden  Umwälzungen sind. Menschliche Entwicklung ist gesellschaftlicher Formenwandel, bei dem die gesamte Lebensweise mit den  materiell-technischen Bedingungen in Übereinstimmung gebracht wird. Menschliche Entwicklung ist also determiniert, sie ist zielgerichtet. Am Ende der Zivilisation wird der Streit um den Fortschritt mehr als zuvor über alle bekannten Grenzen ausgetragen. Die Lüge und Brutalität der Verlierer ist ungeheuerlich, denn die alten Mächte wollen verhindern, daß  der Übergang in eine neue Welt über die Grenze der Zivilisation hinaus stattfindet. 

 

 

 

Nun ist Gauck nicht historisch an das Problem gegangen. Und es erhebt sich die Frage: Warum tat er das nicht? Das ist um so verwunderlicher, als die Bestätigung seiner These nur historisch erfolgen kann. Doch er hat er keinen Nerv dafür. Es reicht ihm die Behauptung, daß die Tatsache des Verbrechens den Hang der Deutschen zum Verbrechen beweist. Er hätte gewissenhaft prüfen müssen, ob seine Feststellung mit geschichtlichen Tatsachen belegt werden kann, mit Nachweisen aus der Kunst, der Philosophie, der Ethik und schließlich der politischen Geschichte der Deutschen. So muß er sich fragen lassen: Gibt es auch nur Ansätze bei den deutschen Dichtern, Philosophen und Musikern für die Richtigkeit seiner Aussage, auf die er sich stützen kann? Wie will er beispiels-weise erklären, daß die „Ode an die Freude“ fest in die europäische Kultur eingehen konnte? Nein, die ganze deutsche Geistesgeschichte steht dem entgegen. Die Deutschen sind dem Leben, dem Diesseits zugewandt und nicht dem Tod und Verderben. Dieser Zug ist keine Besonderheit der Deutschen. Er trifft für alle Völker zu. Die Mordtaten im Dritten Reich und hier im besonderen die Verbrechen in Auschwitz entspringen nicht der deutschen Art. Diese Aussage ist falsch. Es gibt keine Linie als geschichtlichen Nachweis. Diese Aussage ist eine Verleumdung unseres Volkes.

 

 

 

Gauck stellt Auschwitz als Bestandteil deutscher Wesensart hin. Wäre es an dem, ließe dieser sich nicht vertuschen, er würde immer zum Vorschein kommen, so lange das deutsche Volk existiert. Und weiter. Wenn dem so wäre, dann wäre der Argwohn anderer Staaten gegenüber Deutschland  berechtigt und Deutschland, der böse Nachbar, verdiente wahrhaftig eine abweisende Behandlung in der europäischen Völkerfamilie.

 

 

 

Nun ist der Argwohn, das Mißtrauen gegenüber den Deutschen vorhanden. Aber ist er deshalb auch berechtigt? Ist er nicht vielmehr ein Mittel, die europäischen Völker gegeneinander aufzubringen, um sie leichter zu beherrschen? Argwohn entzweit die Völker und verdeckt ihre gemeinsamen Interessen. Wer in der Herrschaftsgesellschaft die Regierungspolitik auf den Charakter des Volkes zurückführt, der begeht an den Völkern großes Unrecht. In der Herrschaftsgesellschaft kann es keine fundamentale Übereinstimmung zwischen Regierung und Volksinteresse geben. Je mehr ein Volk den Regierenden freie Hand läßt, ihre ideologischen Nebelbildungen für bare Münze nimmt, desto verheerender sind die Folgen für das jeweilige Volk und die ganze Völkerfamilie. 

 

 

 

Es ist an der Zeit, daß das Ränkespiel, die Untaten und Verbrechen einer der Regierung dem Volk in die Schuhe zu schieben, ein Ende hat. Möge doch die deutsche Regierung es ablehnen, in Europa eine Führungsrolle zu übernehmen, auch wenn das von den USA wiederholt gefordert wurde. Vom deutschen Volk gibt es dazu keinen Auftrag. Selbst im Grundgesetz steht nichts davon. Eine deutsche Führungsrolle, was gleichbedeutend ist mit einer Führungsrolle der deutschen Regierung in Europa, ist eine Entmündigung des deutschen Volkes und anderer Völker. Die Proteste der Griechen, der Italiener, der Spanier gegen das Sparkonzept der deutschen Regierung sind berechtigt. Dieses Sparkonzept ist eben nicht Wille des deutschen Volkes, wie auch eine deutsche Führungs-rolle in Europa nicht das  Ansinnen des deutschen Volkes ist, mit dem deutschen Charakter nichts zu tun hat, sondern ein von den USA erteilter Vasallenauftrag ist. 

 

 

 

Werden die nationalsozialistischen Verbrechen der deutschen Identität zugerechnet, dann ist es von hier nur ein kleiner Schritt zum Deutschenhaß, wird dieser damit toleriert. Erschreckend ist, daß es im heutigen Deutschland diesen Haß gibt und der deutsche Staat nichts dagegen unternimmt. Ein Staat, der nicht gegen die Losung „Deutschland verrecke“ einschreitet, der löst bei den Deutschen Widerwillen aus, zu dem können die Deutschen kein Vertrauen haben. Bei ausländischen Bürgern löst dieses Staatsverhalten Befremden und Verachtung aus. Es schafft keine Bindung und keine Freundschaft. Es erzeugt nicht den Wunsch zu wirklicher Integration. 

 

 

 

Aber warum schreitet der Staat nicht ein? Das hängt doch offensichtlich mit der Auffassung zusammen, daß Deutschland bis in die Gegenwart für nationalsozialistische Ideologie anfällig sei und diesen Makel bis in alle Ewigkeit tragen wird, eben mit der Gauck`schen Behauptung. Die staatliche Untätigkeit gegenüber deutschfeindlichen Umtrieben hat also unmittelbar ideologische Wurzeln, beruht auf einer falschen Auslegung deutscher Geschichte.

 

 

 

Nach demokratischen Verständnis darf der Staat nicht für oder gegen eine Gruppe Partei ergreifen, solange diese nicht den Staat zerstören will. Er hat sich aus dem Prozeß der Meinungsbildung herauszuhalten. Das ist nicht immer der Fall, wie jüngste Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Pegida-Bewegung in Dresden und Leipzig  gezeigt haben. Beeinträchtigt wird die staatliche Neutralität, insofern Partei-Politiker hohe Staatsämter innehaben, so daß es für sie ein Leichtes ist, staatliche Organe in ihrem parteipolitischen Interesse zu benutzen. Daher kommt es nicht selten zu Verstößen gegen die demokratische Staatsidee, die juristisch geahndet werden müßten, nach dem Grundsatz: Jede Art von Deutschfeindlichkeit widerspricht dem Grundgesetz, wonach alle Staatsge-walt vom Volke ausgeht und staatliche Funktionsträger Beauftragte des Volkes sind. Aber wie so oft wartet der Bürger auch hier vergebens. 

 

 

 

Herrschaftsverhältnisse sind der Boden, der Vergehen bis hin zum Verbrechen gegen das eigene Volk und gegen andere Völker hervorbringt. Dieser Umstand wird erst beendet werden, wenn die Epoche der Herrschaftsgesellschaften verlassen wird. Das heißt nicht, daß bis dahin die Aufdeckung  der staatlichen Vergehen und ihrer Ursachen überflüssig wäre. Es müssen zunehmend alle demokratischen Mittel zur Enthüllung und öffentlichen Anklage genutzt werden. Dieser Anklage müssen vor allem konkrete Forderungen folgen, damit die Anklage die Bürger mobilisiert und Veränderung auslöst. Daran mangelt es gegenwärtig. Werden nur die Mißstände benannt, dann erzeugen sie oft Fatalismus und Gleichgültigkeit oder gar psychosomatische Störungen. Solche Wirkungen sind für die Herrschenden keine Gefahr. Hellhörig werden sie erst dann, wenn das Volk an die Schalthebel der Politik will, wenn die These „Der Mensch ist von Natur aus schlecht“ verworfen und durch die These „Der Mensch muß das System ändern“ ersetzt wird. Die Chancen dafür stehen gut, weil im letzten Jahrhundert das politische Allgemeinwissen enorm angewachsen ist. Zurückgeblieben ist dagegen die  Mobilisierung der Bürger zur Veränderung. Ein Grund dafür ist offenbar, daß Politik ein Tummelplatz der Parteien ist. Es ist ein Verdienst der Pegida-Aktivisten, daß sie eine überpartei-liche Form des demokratischen Widerstandes entwickelt haben, aus der sich eine basisdemokra-tische Kraft zur gesellschaftlichen Erneuerung bilden kann. Die einhellige Ablehnung der Pegida-Bewegung durch die Parteien weist darauf hin, daß sie diese als Bedrohung für ihren Politikbetrieb empfinden, daß diese ihnen das Wasser abgräbt.

 

 

 

Die nationalsozialistische Diktatur war eine Endzeiterscheinung der Zivilisation. Es bestätigt sich der Hegelsche Gedanke, wonach am Ende das Wesen in die Erscheinung tritt, mit seiner ganzen  jahrtausendelang erprobten Raffinesse und Gemeinheit. Im Deutschland des Zwanzigsten Jahrhunderts kulminierte die Irreführung und das Verbrechen. Die Mehrheit der Deutschen  war ein Werk-zeug in den Händen der Täter. Den Nationalsozialisten gelang es, diese Mehrheit zu täuschen und einzuschüchtern, durch Propaganda und durch Terror.

 

 

 

Vor dem Hintergrund individuellen Vorteilsdenkens, der Verdrängung übergreifender nationaler Verantwortung, dem Fehlen einer starken demokratischen Alternative und dem Kräftespiel inter-nationaler Interessen gelang dem deutschen Volk die Selbstbefreiung nicht und es hat für diese  schwächste Phase seiner Existenz bitter bezahlt. Aber sein Schicksal wurde damit nicht ein für allemal besiegelt. Es hat wie alle anderen Völker eine Zukunft. Wenn es sich der gesellschaftlichen Erneuerung zuwendet und durch Leistungen beweist, was seiner Art entspricht, wenn es entschlos-sener als bisher der heraufziehenden Gefahr einer dritten Katastrophe entgegen tritt, wird es Anerkennung bei allen europäischen Völkern finden. 

 

 

 

Ein Bundespräsident, der das Ringen des deutschen Volkes um Wahrnehmung seiner Aufgabe untergräbt, anstatt sich an die Spitze zu stellen, den wird der Souverän maßregeln. 

 

 

 

                                                                                                  Johannes Hertrampf - 26.02.2015