Das nationale Europa

Deutschland rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit Europas. Zunächst in negativer Hinsicht. Es ist eine ganz selbstverständliche Reaktion, daß in kritischen Zeiten die Länder sich gegenseitig beobachten und beurteilen und Rückschlüsse ziehen. Dieser Wunsch nach Selbsterhaltung des Volkes beweist, daß die Völker nach wie vor eine gesellschaftliche Organisationsform sind und die Menschen nicht auf sie verzichten. Jeder Politiker würde augenblicklich seinen Einfluß im eigenen Land verlieren, wenn er das Nationale verleugnen würde. Und umgekehrt gewinnt er an Einfluß, wenn er sich in schwierigen Zeiten auf das Nationale beruft. Keine Regierung kommt daran vorbei. Kein Land mit demokratischer Verfasssung unterwirft sich kritiklos den Regelungen der EU, sondern es fragt sich, welche Vorteile oder Nachteile diese mit sich bringen. Die entscheidende Frage ist nicht die nach der Zukunft der EU, sondern die nach der eigenen Zukunft. Kann diese nicht positiv beantwortet werden, regt sich Widerspruch. Auch im heutigen Europa ist das Nationale eine nachhaltige Kraft, die politische Systeme zu Fall bringt, wenn sie ihm nicht Rechnung tragen. Wenn in jüngster Zeit gefragt wird, worin die europäische Idee besteht, dann kann man eben mit Blick auf die Geschichte sagen, in der Vielzahl nationaler Freiheiten, die sich verteidigen und gegenseitig respektieren. Nicht das Nationale war der Grund der Konflikte und Kriege, sondern seine Unterdrückung und Mißachtung. Auch heute erleben wir einen Aufstand des Nationalen gegen die EU- Diktatur. Am Nationalen zerbricht die EU. Diesen Grund  müssen auch die EU-Kritiker akzeptieren, wenn ihre Kritik erfolgreich sein soll. Tun sie das nicht, wird ihre Kritik zu einem Irrläufer und sie verlieren die Unterstützung im Volk. Der Appell an die nationale Verantwortung hat immer die Menschen zu Höchstleistungen begeistert und sie bereit gemacht, die sie beherr-schenden Normen zu brechen. Daher muß die Kritik an der EU von der nationalen Idee durch-drungen sein. Es ist eben nicht zufällig, warum die EU-Ideologen das Nationale diskreditieren, warum sie vor ihm eine dicke rote Linie ziehen. Wer vor dieser Halt macht, der besiegelt seinen Erfolg. Der mag noch so viele ökonomische und finanzpolitische Argumente gegen EU und Euro ins Feld führen, er wird die Menschen nicht mobilisieren.                                                         

 

 

 

Deutschland rückt in den Mittelpunkt der europäischen Aufmerksamkeit, auf Grund seiner Größe, seiner Leistungskraft, weil in kritischen Situationen der Schwache nach dem Starken Ausschau hält. 

 

Der eigentliche Grund, warum sich die Augen mehr und mehr auf Deutschland richten, ist jedoch seine Politik, seine Rolle in der EU. Das Unverständnis für Deutschland erklärt sich nicht aus seiner wirtschaftlichen Stärke, sondern aus der Europa-Schädlichen Politik von Bundestag und Regierung. Nicht die Schuldenkrise isoliert Deutschland, sondern seine Politik in der Schuldenkrise, seine Rolle beim Umbau Europas. Die von Schäuble ins Spiel gebrachte Neiddiskussion ist eine falsche Fährte und vergiftet die Beziehungen zwischen den Völkern.                                  

 

 

 

Ein Beispiel dieser Irreführung ist der Artikel von U. Dönch auf FOCUS-ONLINE vom 14.05.2013. Dort schreibt er unter der Überschrift „Ist Deutschland zu stark für Europa?“, daß wieder alte Ängste ausbrechen, Deutschland würde sich zum Zuchtmeister Europas aufspielen. Es würde sich um einen erneuten Versuch handeln, sein Hegemoniestreben umzusetzen. Erinnerungen an das Deutsche Kaiserreich von 1914 und an die nationalsozialistische Herrschaft von 1939 werden geschürt. U. Dönch liegt völlig auf der Linie des obligatorischen Geschichtsverständnisses, wonach Deutschland die Kriegsschuld trägt. Eine komplexe Analyse der damaligen Umstände würde internationale Verwicklungen aufdecken. Nach heutiger Erkenntnis kann definitiv gesagt werden, diese beiden Katastrophen waren Ereignisse, denen die europäischen politischen Umständen zu Grunde lagen. Man darf daher die europäischen Tragödien nicht Deutschland allein anlasten, ohne damit den Anteil Deutschlands klein zu reden oder gar zu bestreiten. Deutschland war ein  konkur-rierender Bestandteil der imperialen westlichen Zivilisation. Die Reduzierung der Kriegsschuld auf Deutschland ist jedoch ein falsches Geschichtsbild, das wiederum falschen politischen Begründungen dient. Die Brille, durch die die Geschichte und das heutige Geschehen gesehen wird, ist die gleiche. Sie hat den Fehler, daß sie die Vergangenheit und die Gegenwart verfälscht.

 

 

 

Inwiefern ist die heutige Situation mit damals vergleichbar? Worin besteht die Übereinstimmung und worin der Unterschied? Damals wie heute befindet sich Europa im System der westlichen Zivilisation. Damals am Beginn der Krise, heute an ihrem Ende. Das, was damals sich abzeichnete,  ist heute zur vollen Entfaltung gelangt. Deutschland als europäischer Zentralstaat lag im Zentrum europäischer Spannungen. Im Vergleich zu damals ist Deutschland heute ein unverhüllter Vasallenstaat, zunächst der beiden Hauptsiegermächte USA und Rußland und heute nur noch der USA. Deutsche Politik war in jüngerer Zeit noch nie so weitreichend fremdbestimmt wie heute. Darin liegt die Hauptgefahr, die von ihm für andere Völker ausgeht. Es ist der Vasallenstatus, der Deutschland zur Bedrohung für andere macht. Es ist nicht seine wirtschaftliche Stärke, seine große Bevölkerungszahl, es ist seine Fremdbestimmtheit. Wird dieser Vasallenstatus außer Betracht gelassen, kommt man zu ganz unhaltbaren Aussagen. Es werden Deutschland  böse Absichten unterstellt, die in Wirklichkeit anderen Köpfen entsprungen sind. Die deutschen Politiker tragen dennoch ihren Anteil, denn niemand zwingt sie zu regieren. Sie könnten jederzeit zurücktreten. Doch einem solchen Ansinnen steht ihre unersättliche Gier nach den Belohnungen für eine unterwürfiger Politik entgegen. Deutsche Interessenvertretung ist noch nicht einmal mehr eine Floskel, es ist sogar ein Tabu. Der demokratische Widerstand kommt daher auch nicht aus den Reihen der etablierten Parteien, sondern aus der außerparlamentarischen Opposition. Von allen europäischen Regierungen ist die deutsche die am wenigsten im nationalen Interesse denkende und handelnde – und begründet dies mit der deutschen Geschichte. Hier steht fürwahr die Welt auf dem Kopf. Nur die Opposition kann deshalb der Träger des nationalen Geistes sein, selbst wenn sie sich scheut, das zu sagen, weil sie Angst hat vor der Rechts-Extremismus-Keule. 

 

 

 

Nie war die deutsche Willfährigkeit größer als heute, weil die Abhängigkeit direkte Zügel trägt. Deshalb ist die Aussage, die Krise isoliere Deutschland, in doppelter Hinsicht irreführend. Zum einen ist es nicht eine Krise, sondern der Umbau, bei dem Deutschland die Bauaufsicht hat. Die Isolation ist der folgerichtige Begleitumstand dieser Funktion. Zum anderen wird nicht Deutschland isoliert, sondern die deutsche Regierung. Damit entsteht ein ungewollter Nebeneffekt: Die Isolation führt zur Schwächung des Vasallenstatus. Der Umbau führt zur Wiederbesinnung der nationalen Kräfte, die letztendlich das Gebilde der ganzen Nachkriegsordnung auflösen werden.

 

 

 

Im Unterschied zu den anderen EU-Ländern trug bislang der Widerstand gegen die EU in Deutschland mehr theoretischen Charakter. Weder die Parteien, noch die Gewerkschaften riefen zu Massenprotesten auf. Der deutsche Finanzminister konnte sogar auf Zinseinnahmen durch die Vergabe von Hilfskrediten verweisen. Die Bürgschaften und Milliardenzahlungen wurden zunächst nicht direkt für die Bürger spürbar. Sie waren mehr eine latente Inflationsgefahr. Den deutschen Bürgern wurden damit zu Lasten der anderen Völker große Zugeständnisse gemacht. Die sozialen Einschnitte waren kaum vorhanden. Doch diese Zeit geht zu Ende. Nun beginnen die Preise  und Abgaben zu steigen. Die Auswirkungen werden täglich spürbarer.

 

   

 

Damit formiert sich der Widerstand langsam, aber irreversibel. Dort, wo sich die fortschrittsfeindlichen Kräfte am meisten konzentrieren, in Deutschland, dort bildet sich die alles entscheidende nationale Gegenkraft. Alles treibt auf die Spitze. Der Umbau wird also nicht die vorgesehene Orwell´sche Gesellschaft zum Resultat haben, sondern er wird das Ende der Zivilisation sein. U. Dönch zieht ebenfalls die Geschichte heran, um den Weg Deutschlands abzuzeichnen. Bei ihm läuft aber alles auf eine Wiederholung der Geschichte hinaus. Da er nicht die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts als Ankündigung des Zusammenbruchs der Zivilisation versteht, kann ein solcher bei ihm nicht stattfinden. Er richtet den Blick nicht auf die internationale Finanzoligarchie als treibende Kraft in die dritte Katastrophe. Aber genau diese Tatsache ist es, die den Menschen die Augen öffnet, was zu tun ist, um die Katastrophe zu verhindern. Das war vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg nicht so klar. Diesmal führt die Spur deutlich ins internationale Finanzsystem und damit an den Nerv des Problems. Und diesmal muß Deutschland die treibende Kraft werden, damit die Geschichte eine Wendung nimmt.   

 

Doch nicht so bei U. Dönch. Er täuscht die Leser. Er schreibt nämlich am Ende: „Für uns besteht die „Deutsche Frage“ darin, für ein Europa der robusten, sich selbst finanzierenden Nationalstaaten zu kämpfen. Denn ein solches Europa braucht weder Zahlmeister noch Zuchtmeister. Und erst recht keinen Sündenbock.“ Er verschweigt, daß die Staaten in der EU sind und unter einem Schuldenjoch stöhnen. Die Forderung nach souveränen Nationalstaaten ist eine Fata Morgana, wenn man die Realität aus den Augen läßt. An dieser muß man anpacken und ganz konkret formulieren: Austritt aus der EU, Abschaffung des Euro und vor allem - Entschuldung aller EU-Staaten, der großen und der kleinen, der armen und der reichen. Wer nicht den Weg zum Ziel weiß, der wird nie am Ziel ankommen und läßt nur Enttäuschte zurück.                

 

 

 

Eine idealtypische Forderung nach souveränen Nationalstaaten ist ungeeignet, den europäischen Widerstand zu organisieren, weil sie die Menschen nicht auf das sie belastende Hauptproblem richtet. Realität ist heute, daß wir in einem weltweit verflochtenen Schuldennetz der Finanzoligarchie leben. Dieses Netz ist es, welches die Völker empört und zur Rebellion treibt - und sie zu einer europäischen Protestgemeinschaft vereint. Konkret heißt das, in den jeweiligen Ländern müssen von den Parlamenten Schuldenmoratorien beschlossen und Verwendungsprogramme für die einbehaltenen Zinsbeträge aufgestellt werden. Die Voraussage, daß mit Schließung der internationalen Banken auch die nationale Geldwirtschaft lahmgelegt wird, ist unbegründet. Diese wird neu organisiert im Rahmen der nationalen Finanzhoheit. Auf dieser Grundlage werden sich neue zwischenstaatliche Finanzbeziehungen entwickeln, aber immer in nationaler Verantwortung und nicht über die Nationalstaaten hinweg. Nicht die Eigentumsform der Banken entscheidet, wie von linker Seite behauptet wird, sondern die nationale Verfügbarkeit ist entscheidend. Leicht wird das Nationale aber zur schädlichen Phrase, wie im Falle von U. Dönch, wenn die politische Ausrichtung auf das aktuelle Hauptproblem fehlt. Das gilt es anzupacken. Hieran muß es sich bewähren. Hier scheiden sich schließlich die Geister.

 

 

 

Die Befreiung von der Schuldenlast ist die wichtigste Aufgabe der Gegenwart. Sie muß im Mittelpunkt eines jeden alternativen Konzeptes stehen, sonst ist dieses nur ein Trugbild. Wir hatten schon in unserem vorigen Beitrag darauf hingewiesen, daß die Partei „Alternative für Deutschland“ die Verschuldung nicht thematisiert. Die Diskussion über den Euro darf nicht isoliert geführt werden. Sie muß eine Diskussion über den Schulden-Euro sein. Mit dem Euro können die Völker Europas das Schuldenjoch nicht abwerfen. Also nur ohne ihn. 

 

 

 

Vor allem wegen seiner EU-Politik machte Deutschland negative Schlagzeilen. Kann es sein, daß sich das Blatt mal wendet, daß die anderen Länder über Fortschritte der alternativen Opposition hoffnungsvoll berichten? Deutschland hält die EU über Wasser. Mit der Gründung der „Alternative für Deutschland“ ist das entstanden, was bisher fehlte: eine EU-kritische Partei in Deutschland mit starker Resonanz bei den Bürgern, die von den Medien nicht mehr totgeschwiegen werden kann. Damit wird endlich in Deutschland offen über die Fragwürdigkeit von EU und Euro gestritten. Natürlich gibt sich die Phalanx der Protagonisten noch nicht geschlagen. Es ist ein Verdienst der oppositionellen Akademiker und der neugegründeten Partei, daß diese öffentliche Diskussion stattfindet. Ein Zurück zu den alten Zuständen, bei denen EU-Kritik ein Sakrileg war, wird es nicht mehr geben. Dafür wird der Verlauf der Dinge in der EU sorgen, denn es gibt keinen Grund zur Annahme, daß sich die Lage entspannen wird. Im Gegenteil. Aber die Demokraten dürfen nicht mit verschränkten Armen warten, sondern sie müssen die Dinge in Fluß halten, indem sie für eine breite und öffentliche Diskussion sorgen und diese nicht den akademischen Kreisen überlassen. Wer glaubt, daß der Wandel eine Angelegenheit von „Experten“ sei, der gibt seine demokratische Verantwortung ab. Die Entscheidungen über EU und Euro sind politischer Natur, sind Entscheidungen über Ja oder Nein zu einer freiheitlich-demokratischen Erneuerung Deutschlands. Hier geht es um die Frage: Welche gemeinschaftliche Organisation und welche Währung gibt den Bürgern und den Völkern Europas mehr Handlungsfreiheit? Europa muß sich nicht gegen China, gegen Rußland oder andere aufstrebende Regionen verteidigen, gegen diese einen Wirtschaftskrieg führen, sondern Europa hat die Chance, ein vorbildlicher Kontinent zu werden, der Welt zu zeigen, wie die Welt von morgen aussehen kann. Mit seinen Leistungen soll es nicht belehren oder gar vorschreiben, sondern es soll Anregungen geben. Und es muß bereit sein, gern von den anderen zu lernen. Auch das ist nicht neu, denn wo stünde die europäische Kultur, ohne die geistigen Leistungen der anderen Völker der Erde? Die Vielfalt der Formen und Lösungen, das ständige Suchen nach besseren Wegen für Mensch und Natur, das ist die positive Linie der europäischen Geschichte, auf die wir uns konzentrieren müssen. Wie erfolgreich Deutschland dabei ist, hängt weitgehend von seiner technischen Innovationskraft ab.

 

 

 

Die Entscheidung über den europäischen Weg treffen nicht Politiker, Ökonomen und Finanzfachleute, sondern die Bürger Europas. Und was die Deutschen anbelangt: Die Völker sollen nicht nur sehen, wie die Deutschen klug diskutieren können, sondern, was ihnen wichtiger ist, wo die Deutschen praktisch Neuland betreten. Dann werden endlich die Schlagzeilen andere sein. Dann wird in Europa eine vertrauensvolle Aufgeschlossenheit entstehen.

 

Ein harmonisches Zusammenleben in Europa ist möglich.

 

 

 

                                                                                                   Johannes Hertrampf – 19.05.2013