Das Ende einläuten

Es ist schon seltsam. Wenn man oppositionelle Demokraten fragt, ob der Zusammenbruch des heutigen Währungssystems unvermeidlich sei, kommt fast ausnahmslos die Antwort: Ja, das kann man nicht verhindern. Nimmt man nur den Zeitraum nach 1989, dann scheint diese Antwort folgerichtig zu sein. In keiner bedeutenden Frage ist es der Opposition gelungen, die herrschenden Kreise von ihrer Politik abzubringen. Nichts wurde verhindert. Alles erfolgte Schritt für Schritt.  Das jüngste Beispiel in dieser Kette ist das Aufbegehren gegen den ESM-Vertrag, das alle Schichten des Volkes erfaßte. Millionen schauten mit Bangen nach Karlsruhe. Selbst prominente Kläger hatten  ihre Zweifel und mit der Niederlage gerechnet. Mit viel polemischer Rhetorik haben sie sich in die Öffentlichkeit gebracht, waren aber nicht Organisatoren des Widerstands.

 

 

 

Das Urteil bestätigt den ESM für Deutschland und erklärt ihn nicht für unzulässig, nicht für grundgesetzwidrig, obwohl die Kläger und mit ihnen Millionen Deutsche den ESM im Widerspruch zur  freiheitlich-demokratischen Ordnung sehen. Das Urteil ist widersprüchlich, aber in seiner Tendenz eindeutig grundgesetzwidrig. Wer das Urteil wegen seiner Klauseln als Achtungserfolg für die Demokratie bewertet, wie G. Gysi, der übergeht die grundsätzliche Zustimmung der Richter zur Grundgesetzbeugung. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dem Urteil erneut zum Steigbügelhalter der Politik gemacht. Wer unter solchen Umständen sich damit begnügt, das Beste  aus dem Urteil herauszuholen, der verscherzt eben selbst seine Glaubwürdigkeit als oppositioneller Kritiker. Zweifellos liegt der Widersprüchlichkeit des Urteils die Absicht zugrunde, den Widerstand gegen den ESM zu paralysieren. Wir sehen in ihm kein Zugeständnis an die Kläger,  keine Unsicherheit der Richter, sondern einen ausgeklügelten Schachzug, die verbreitete Ablehnung unter den Bürgern ins Aus zu leiten. Jeder, der diesem Urteil einen positiven Zug abgewinnen kann, unterwirft sich der Absicht der Verfassungsrichter.  Die deutsche Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro wird nicht als rote Linie festgeschrieben, sondern darf mit Zustimmung des Bundestages überschritten werden und der Geheimniskrämerei der EU-Bürokratie wurde ein parlamentarischer Riegel vorgeschoben, an den sich die Eurokraten nicht halten werden, weil der ESM-Vertrag ihnen ausdrücklich Sonderrechte einräumt. Bedenkt man, daß der Bundestag stets willfährig dem Führungsanspruch der Bundesregierung gefolgt ist und das ESM-Direktorium nach eigenen Spielregeln arbeitet, dann sind die Vorbehalte des Bundesverfassungsgerichtes nur juristisch verklausulierte Roßtäuscherei.

 

 

 

Der EZB-Präsident M. Draghi hatte mit seiner wenige Tage zuvor durchgesetzten Entscheidung,  unbegrenzt Staatsanleihen von bankrotten EU-Staaten aufzukaufen, dem Karlsruher Urteil schon vorgegriffen. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den EZB-Präsidenten wäre aber nur der Bundesregierung möglich. Doch Frau Merkel hatte, ohne sich um das damals noch ausstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu scheren, Herrn Draghi sogleich grünes Licht gegeben, obwohl sie sich bislang stets gegen eine Schuldenunion ausgesprochen hatte und damit den Bundesbankpräsidenten vor aller Welt brüskiert. Das Verhalten von Frau Merkel steht mit ihrem grundgesetzlichen Auftrag erneut in Widerspruch. Erklären läßt es sich nur damit, daß sie einer permanenten Fremdsteuerung unterliegt. Dummheit, wie sie der Österreicher Frank Stronach für möglich hält, ist es nicht.

 

 

 

Die EZB-Entscheidung, unbegrenzt Staatspapiere maroder Staaten aufzukaufen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, mit seiner Einschränkung bezüglich der Überschreitung der 190 Milliardengrenze, sind nicht deckungsgleich. Aber praktische Komplikationen sind bei der Zustimmungsroutine des Bundestages nicht zu erwarten. Frau Merkel feierte das Karlsruher Urteil denn auch als Bestätigung ihrer politischen Linie und Herr Juncker, Euro-Gruppenchef, drängte auf erhöhtes Tempo bei der Inkraftsetzung des ESM-Vertrages. Das ist in wenigen Worten die  entstandene Situation. Der Regierungskurs wurde durchgesetzt und von den Klagen gegen den ESM-Vertrag ist nichts übrig geblieben als ein paar Erinnerungen. Das Bundesverfassungsgericht wollte den Anschein erwecken, als stünde es über den Parteien, als hätten Regierung und Kläger Federn lassen müssen. Dabei ist eindeutig, daß die Regierung Gewinner ist und und die Kläger die Verlierer sind. Insgesamt macht das Urteil den Weg in die politische und fiskalische Union frei und ist ein Auftakt für ein weiteres rigoroses Vorgehen in die europäische Diktatur. So ist die Äußerung von Herrn W. Schäuble zu verstehen, wenn er die Medien und die Politiker auffordert: „Helfen Sie mit, das dumme Gerede der Euroskeptiker zu bekämpfen.“ Nachzulesen in der „Badischen Zeitung“ vom 26.09.2012.

 

  

 

Die Auseinandersetzung mit der EU-Politik der Bundesregierung und ihren parlamentarischen Apologeten ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht keineswegs erledigt, sondern tritt in eine neue Phase. Es reicht nicht aus, die Eurofanatiker zu kritisieren, sondern man muß sich auch verstärkt mit den Euro-Kritikern befassen. Eine schlecht aufgestellte Opposition kann keine Erfolge erzielen. Der organisatorischen Zersplitterung liegt vor allem eine geistige Zerfahrenheit zugrunde, die von monarchistischen Träumereien bis zur Anerkennung der globalistischen Wertorientierungen reicht. Hierbei sind noch nicht einmal die vielen kleinen Postenjäger berücksichtigt, die kräftig auf der oppositionellen Welle rudern und lediglich einen einträglichen Posten suchen, ohne  sich um die tieferen Zusammenhänge des politischen Geschehens Gedanken zu machen.

 

 

 

Wenn der Widerstand gegen den ESM-Vertrag bisher nicht den erhofften Erfolg gebracht hat, dann erhebt sich die Frage, welche Schlußfolgerungen die oppositionellen Demokraten ziehen müssen. Offensichtlich sind die Grenzen der bisherigen Formen erreicht. Gerichtliche Klagen, Petitionen und unverbindliche Unterschriftensammlungen führen zu keiner Politikänderung. Das Bundesverfassungsgericht wollte und wird auch künftig nicht die politische Umorientierung herbeiführen. Es zeigt der Politik höchstens die Grenzen auf, aber es überläßt ihr die Entscheidung, sie einzuhalten oder sie zu übertreten. Das Bundesverfassungsgericht kümmert sich nicht um Inhalte, sondern um die juristische Kongruenz. Es hat keine Macht, Verstöße der Regierung gegen das Grundgesetz zu ahnden, der Regierung die Flügel zu stutzen. Damit ist es eine unwirksame Institution, ein juristischer Popanz, der dem Steuerzahler auf der Tasche liegt und mit seinen Urteilen verwirrt. Viele Oppositionelle hofften, das Bundesverfassungsgericht würde sich selbst zum politischen Schiedsrichter aufschwingen. Diese Hoffnung hat sich als nichtig erwiesen. Es wird auch künftig nicht über seinen Schatten springen. Die Opposition muß sich ihre Mittel selbst schaffen.

 

 

 

Auf die durch das Urteil geschaffene neue Situation, die höchstrichterliche Offenbarung der demokratischen Ohnmacht, ist die Opposition nicht vorbereitet. Generell halten sich die führenden Oppositionellen an den von der Regierung vorgegebenen Handlungsrahmen: Beschränkung auf die von der Regierung gewünschten  Protestformen. Sie unterwerfen sich der Regierung. Sie haben einen Horror, aus diesem Rahmen auszusteigen und Ausdruck des Volksbegehrens gegen die volksfeindliche Politik der Regierung zu sein. Diese Opposition weist auf den Widerspruch zwischen Regierungspolitik und Nationalinteresse hin. Sie erhebt den Anspruch, verändernde Kraft zu sein, die diesen Widerspruch überwinden will.  Doch ihr fehlt das Vertrauen in das Volk, sie ist nicht unmittelbar volksverbunden. Sie versteht sich nicht als Stimme des Volkes, sondern als Stimme der Vernunft, um sich politisch unangreifbar zu machen. Sie möchte nicht nur das Interesse des Volkes ausdrücken, sondern auch die Einsicht und Zustimmung der Herrschenden gewinnen. Der Appell an die Vernunft trägt insofern etwas Illusorisches an sich, er soll ihre Ehrenhaftigkeit belegen, ihre Seriosität und ist der Grund für die Erfolglosigkeit. Diese Opposition fürchtet sich vor dem Vorwurf, populistisch abgestempelt oder gar in die rechte Ecke gestellt zu werden. Sie ordnet sich den Normen unter, die ihr von der Regierung und den Medien vorgesetzt werden. Das Resultat ist, daß sie immer wieder ein leichtes Opfer der staatlichen und juristischen Instanzen wird, sie am Ende wie ein begossener Pudel dasteht und ihre Autorität beim Bürger verloren geht.          

 

 

 

Die Opposition ist - wie gesagt - nicht nur organisatorisch in viele Grüppchen zersplittert, sie ist auch geistig uneins. Die Ablehnung der EU ist keineswegs durchgehend, sondern häufig wird die EU tatsächlich als eine Form der europäischen Einigung verstanden, gewissermaßen als eine notwendige Schlußfolgerung aus den tragischen Ereignissen im zwanzigsten Jahrhundert. Doch wird bei dieser Betrachtung aus dem Auge verloren, daß der EU-Zusammenschluß, die sogenannte europäische Einigung, kein demokratisch vollzogener Prozeß war und keine Gegenstrategie zu den politischen Grundprozessen des zwanzigsten Jahrhunderts darstellte. Die sogenannte europäische Einigung erfolgte als Vasallenaktion europäischer Staaten, allen voran die BRD, unter

 

US-amerikanischer Regie und hatte nicht die Erneuerung Europas zum Ziel. Sie löste keinen gesellschaftlichen Aufschwung aus und führte zu einem Abfall der technisch-wirtschaftlichen Leistungskräfte. Anstatt sich auf die Zukunft auszurichten, wurde sie zur Frontstellung des Kalten Krieges. Sie sollte die Überlegenheit der westlichen Zivilisation als Terrain amerikanischer Vorherrschaft gegenüber dem Kommunismus formieren. Nach dessen Zusammenbruch sollte sie den Einflußbereich der westlichen Welt erweitern und den Niedergang der US-amerikanischen Vorherrschaft verhindern. Die EU wurde jedoch nie von den Völkern als Botschaft für die Zukunft verstanden, auch wenn die Regierenden beharrlich trommelten. Besonders verhängnisvoll wirkte sich die Absage an die nationale Ordnung aus, so daß Europa ein nicht national-strukturiertes staatliches Gebilde sein sollte.

 

 

 

Die führenden Vertreter der Opposition haben kein kritisches Gesamtbild vom zwanzigsten Jahrhundert, noch nicht einmal seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Fundament, auf dem sie agieren, wird von einer grundsätzlichen Bejahung der bundesdeutschen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg dominiert. Sie sind der Überzeugung, daß die Gründungsväter der BRD eine richtige Richtung eingeschlagen hatten, nur die Entwicklung sei immer mehr ins Abseits gedriftet. Sie polemisieren gegen die heutige Regierung und stellen nicht die Frage, ob der heutige Zustand nicht das Resultat einer über sechzig Jahre währenden Vorgeschichte ist. Damit dringt die Opposition nicht bis an die Wurzeln vor und begibt sich auf einen Kurs, der sie im Kreise laufen läßt. Der theoretische Grund für die Schwäche ihrer Kritik liegt darin, daß sie spekulativ-kritisch und nicht historisch-kritisch vorgeht. 

 

 

 

Die Konservativen sind heute die tonangebenden EU-Kritiker, innerhalb und außerhalb der Unionsparteien. EU-Kritik ist heute vor allem konservative Kritik. Obwohl sie sich in den Medien darstellen können, lösen sie keine spontane breite Zustimmung aus, weil ihnen eine überzeugende   Zukunftsgewißheit fehlt. Die Betonung der Werte der Vergangenheit regt nicht den Schöpfergeist an. Ihre Erfolglosigkeit ist die Fortsetzung des Versagens der konservativen Geisteshaltung im gesamten zwanzigsten Jahrhundert.

 

 

 

Diese sterile Fundierung hat Auswirkungen auf die jeweiligen Vorstellungen der EU-Kritiker, vor allem in der Hinsicht, was sie als Alternative zur gegenwärtigen EU-Politik vorschlagen. Ein Beispiel hierfür ist der Vorschlag von O. Henkel, den Euro-Raum in eine nördliche und eine südliche Euro-Zone zu teilen. In dieser Auffassung drückt sich aus, daß Henkel keine wissenschaftlich begründete EU-Kritik betreibt und sein Denken nicht auf einer prinzipiell anderen Grundlage errichtet. Offensichtlich ist seine Bindung an das System stärker als sein Mut, die Grenzen zu überschreiten.

 

 

 

Der Widerstand gegen die Europa-Politik der Bundesregierung hat zunächst die Abwendung der dritten Katastrophe innerhalb der letzten hundert Jahre zum Ziel. Dieser Widerstand läuft nicht auf eine Beschleunigung des Zusammenbruchs des gegenwärtigen Systems hinaus. Den Zusammenbruch als Bedingung für einen Neuanfang zu verstehen, wäre ein falsches Verständnis demokratischer Politik, wäre ein falsches Verständnis für den Zugang in die Zukunft. Der Crash muß vermieden werden - im Interesse des Volkes. Die Durchsetzung von wirklicher Reformpolitik ist schwerer, als die pathetische Forderung zu erheben, den Kapitalismus abzuschaffen.

 

 

 

Es reicht nicht aus, Kritik nur als Abwehr einer Bedrohung zu verstehen, Kritik muß den Zugang in die Zukunft eröffnen. Das Wichtigste an der Kritik ist nicht die Ablehnung der Regierungspolitik, sondern das Aufzeigen eines Zukunftsweges. Hinter der Kritik muß ein  Konzept stehen, das den Menschen eine Botschaft überbringt und sie von ihrer Verzagtheit und Niedergeschlagenheit befreit.     

 

Wir verweisen auf den generellen Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und Gesellschaftsentwicklung. Er macht den bevorstehenden Umbruch unvermeidlich. Dieser ist keineswegs ein Desaster für die Menschen. Und er ist um so menschen- und naturfreundlicher, je mehr der technische Fortschritt durch die Interessen der Bürger bestimmt wird. Es stimmt weder, daß der technische Fortschritt eine eigene Richtung aufweist, noch daß dieser nur durch den Konkurrenzkampf von Einzelinteressen zustande kommt. Das menschliche Interesse ist immer seine Triebkraft, aber dieses Interesse kann sich auf verschiedene Weise durchsetzen. Auch für den technischen Fortschritt gilt, daß ein neuer Typus von Volkssouveränität eine neue Triebkraft und Richtungsbestimmung ist. Die Art und Weise, wie über technische Wege entschieden wird, muß sich ändern. Der Vorteil des einen auf Kosten aller muß ersetzt werden durch den Vorteil aller, einschließlich des Vorteils der belebten Natur, bei dem alle mehr individuelle Freiheit gewinnen.

 

Die alte Teilung in Gewinner und Verlierer ist überfällig.

 

  

 

Die Fortsetzung und der Ausbau der freiheitlich-demokratischen Ordnung ist der Schlüssel für die Reformfähigkeit der Gesellschaft. Nur was reformiert wird, läßt sich bewahren. Die Abwendung der dritten Katastrophe ist ohne die Hinwendung zur Erneuerung nicht möglich. Unter den gegenwärtigen Bedingungen bedeutet das: die EU-Kritik sollte der Ansatz jeder Bürgerbewegung sein, von dem aus die Bürger ihre Lösungswege entwickeln. Die Führer der demokratischen Opposition müssen sich an die Bürger wenden, nicht an die Institutionen des Systems.

 

 

 

 

 

                                                                        Johannes Hertrampf – 18.09.2012