Außer Spesen nichts gewesen

 

 

Die mehrfachen Rücktrittsandrohungen von Bundeskanzler Schröder veranlassten eine Fernsehanstalt die Zuschauer zu fragen, ob sie glauben, daß er es ernst meine. 78% der Befragten antworteten darauf mit „Nein“. Fast zeitgleich zu dieser Umfrage befand sich Bundespräsident Rau in China und verkündete dort: „Ohne das Vertrauen des Volkes kann kein Staat bestehen.“  Diese Worte, vor Studenten als Mahnung an die chinesische Führung gerichtet, waren angesichts der Verhältnisse in Deutschland im höchsten Grade peinlich, ja grotesk, denn diese jungen Leute wußten mit Sicherheit, wie es in Deutschland mit dem Vertrauen des Volkes zur Regierung bestellt ist. Anstatt sich  zum Hohepriester aufzuschwingen, wäre es besser gewesen, offen über die wirkliche Situation und über die Gründe des Vertrauensverlustes zu sprechen. Über solche Worte hätten die jungen Chinesen den Politiker aus dem fernen Deutschland sicher bewundert und sich seiner zeitlebens als an einen mutigen und aufrichtigen Mann erinnert. Doch unabhängig davon, ob die Politiker es wahr haben wollen oder nicht, es wird in Deutschland nachgedacht und diskutiert. Der kritische Geist arbeitet  unentwegt, wenngleich nicht in ihren Köpfen. Daraus schöpfen wir die Zuversicht, dass eines Tages aus Deutschland andere Botschaften kommen werden.

 

 

 

Die Hinfälligkeit der westlichen Welt kann nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht mehr kaschiert werden. Sie bietet ein abstoßendes Bild, weshalb vor allem die Völker der unterentwickelten Länder und der früheren Ostblockstaaten nach Alternativen suchen. Anstatt dieses Bestreben zu tolerieren, üben die Politiker der westlichen Welt - und Bundespräsident Rau war einer dieser Sendboten - einen massiven wirtschaftlichen, politischen, finanziellen und ideologischen Druck auf diese Staaten und Völker aus. Und nicht nur das, es werden militärische Exempel statuiert, um die Völker einzuschüchtern und ihre Gefolgschaft zu erzwingen. Hierher gehört auch der sogenannte Kampf gegen den internationalen Terrorismus, dessen weltweite Führung die USA beanspruchen. Dieser Kampf gegen den internationalen Terrorismus dient außenpolitisch der Absicherung der Globalisierungspolitik durch Anwendung eines rigorosen Staatsterrorismus und innenpolitisch der Einschüchterung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, um sich die außenpolitische Handlungsfähigkeit zu sichern. Für die USA und Israel ist der Staatsterrorismus inzwischen zu einem selbstverständlichen Instrumentarium geworden, weshalb sie vor allem Zielscheibe entsprechender Gegenaktionen sind. Trotz hoher technisch-materieller Überlegenheit und vielfältiger Unterstützung durch die Satellitenstaaten gelingt ihnen jedoch nicht der schnelle Sieg, stattdessen tritt bei ihnen eine wirtschaftliche und politischen Schwächung ein. Niemals zuvor waren die USA so isoliert wie zur Zeit ihrer Militäraktion im Irak. Politisch und wirtschaftlich hängt ihnen der

 

Irak wie ein Mühlstein am Hals. Diese amerikanische Politik wirkt lähmend auf die gesamte westliche Welt und lässt ihren Einfluß auf die Weltpolitik schwinden.

 

 

 

Betrachtet man das internationale Geschehen, so drängt sich die Frage auf: „Steht der Westen auf der Kippe?“ Unsere Antwort lautet: „Ja, er hat den Zenit längst überschritten“. Seine Welt gerät aus den Fugen. Es gelingt nicht mehr, die attackierten Staaten und Völker gefügig zu machen. Und, das ist ein weiteres Grundmerkmal: die westliche Gesellschaft zersetzt sich mehr und mehr, die Völker wenden sich enttäuscht von ihren Regierungen ab. Auf die Sinnlosigkeit kann nur mit immer neuen  Konsumreizen reagiert werden. Doch auch dieser Mechanismus verliert auf Grund der erlahmenden Wirtschaftskraft an Wirkung. Zu keiner Zeit vorher war die Weltöffentlichkeit über die Lügen und Betrügereien der USA und ihrer westlichen Satrapen so gut informiert wie heutzutage. Frührer dauerte es Jahrzehnte und Jahrhunderte, ehe die Wahrheit ans Tageslicht kam. Selbst das Gespinst um die Hintergründe und Abläufe des 11. September 2001 war von Anfang an unglaubwürdig und ist inzwischen weitgehend aufgedeckt, so dass es den USA nicht gelang, eine weltumspannende Front, die internationale Anti-Terror-Koalition. aufzubauen.

 

 

 

Gegenwärtig besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Damals kriselte es ebenfalls im Gebälk. Alternative Konzepte zum morbiden Kapitalismus wurden gesucht. Wir rechnen dazu den praktischen Kommunismus und den Nationalsozialismus. Eine Zeitlang schien es so, als ginge für den Kapitalismus die Fahrt schon in den Orkus. Doch die westliche Welt konnte sich wieder fangen. Der Nationalsozialismus wurde militärisch besiegt. Der Kommunismus wurde nicht militärisch besiegt, sondern erfasste zunächst weite Teile Europas und Asiens. Als Gegner des privatkapitalistischen System konnte er seine Heils-Versprechungen jedoch nicht einhalten. Der steigende Konsumdruck wurde zur stärksten Waffe des Westens im Kampf gegen seinen Widersacher. Nach anfänglicher Sympathie der Völker der Dritten Welt für den Sozialismus wurden diese aber angesichts seiner Stagnation unschlüssig, weshalb er auch bei ihnen seinen Rückhalt verlor. So „siegte“ der Kapitalismus über den Sozialismus, den dann die eigenen Völker ohne viel Aufhebens zu Grabe trugen. Der anschließende Siegestaumel im Westen war groß und verhinderte jeden nüchternen Blick auf die Geschichte. Mit riesigem Aufwand setzte der westliche Wertetransfer in die

 

ehemaligen Ost-Block-Staaten ein. Massenhaft wurden Günstlinge und Kriecher in die staatlichen Ämter gehievt und ein mafioser Sumpf angelegt, in dem sich schnell alles mögliche Ungeziefer ansammelte. Ein wahres Eldorado für die Geheimdienste. Geld war in Hülle und Fülle vorhanden. Nur in diesem Zusammenhang ist auch der Krieg gegen Jugoslawien zu verstehen, der genauso ein Verbrechen war wie die späteren Kriege gegen Afghanistan und den

 

Irak. Der Westen glaubte, es ließe sich gleichsam im Handstreich tabula rasa machen. Im Grunde genommen agierten damals die verantwortlichen Politiker über alle Länder- und Parteigrenzen hinweg als ein durchorganisiertes Kartell, welches die Erweiterung des westlichen Herrschaftsbereichs und eine gewaltige Umverteilung von Volksvermögen im Interesse der Banken  betrieb. Doch bald wurde deutlich: die Mehrheit der Menschen in den ehemaligen Ost-Block-Ländern konnte sich mit den neuen Zuständen nicht anfreunden. Und wer sich der Wahrheit nicht versperrt, der erkennt: Weder die Wiederherstellung vorsozialistischer Zustände, noch die Kopie von West nach Ost ist möglich. Hierin liegt auch der Grund, weshalb die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den alten und den neuen Bundesländer immer mehr in die Zukunft verlagert wird. „Das Zusammenwachsen, was zusammen gehört“ war eben nur eine politische Phrase, mit der vom eigentlichen Problem, die Erneuerung der Zustände und im Zuge dieser das Einswerden des Volkes, abgelenkt wurde.

 

 

 

In den ehemaligen Ost-Block-Ländern kommt der Widerstand gegen die westliche wirtschaftliche und ideologische Integration vor allem von den nationalorientierten Kräften. Die Abstimmungen über den EU-Beitritt waren überall Zitterpartien für den Westen, bei denen in keinem einzigen Land die absolute Mehrheit des Volkes dafür war. Die Befürworter stehen unter starkem nationalen Erfolgsdruck. Wie dringend notwendig eine klare Beantwortung der Frage ist, worin nationales Interesse besteht und was nationalistische Demagogie ist, also nationalistischer Missbrauch des natürlichen Nationalgefühls bis hin zum Chauvinismus, wurde jüngst an der polnischen Haltung zur Invasion im Irak sichtbar. Für eine gewisse Zeit sah es so aus, als würden unter dem Einfluss der USA alte Konstellationen in Europa wieder aufleben. Gemeint ist die Aktivierung und Instrumentalisierung des polnischen Nationalismus im Kalkül amerikanischer Hegemonialpolitik in Europa, die eine weitere Auflösung der europäischen Nachkriegsordnung verhindern soll. Die USA merken natürlich, dass ihnen Europa ungeachtet aller Vasallenbindungen allmählich aus den Händen entgleitet und sie glauben in den Polen diejenigen gefunden zu haben, die sich unter den veränderten Bedingungen für eine Büttelfunktion am besten eignen. Dabei verknüpfen die USA die besondere Eignung der Polen mit der Fortsetzung jenes Teils der Nachkriegsordnung, der in der polnischen Verwaltungshoheit über die deutschen Ostgebiete besteht. Diese Regelung war ein teuflischer Akt der Siegermächte, nicht nur Stalins, der Unrecht zu Recht erklärte und eine Hürde schuf, die sich bis in die Gegenwart und nahe Zukunft gegen die Erneuerung Europas richtet. Es ist nun einmal so, dass die Konstruktion der damaligen Siegermächte noch heute die alte Interessenrichtung aufweist, aber es fehlt das erforderliche Umfeld, wodurch sie ein Anachronimus ist. Die Völker Europas haben jedenfalls noch viel miteinander zu klären und zu korrigieren. Und sie werden um so eher vernünftige Antworten finden, je mehr sie dabei die USA außen vor halten.

 

 

 

In den Ländern der sogenannten Dritten Welt hält der antiwestliche Widerstand trotz wirtschaftlicher, militärischer und finanzieller Abhängigkeit und Unterlegenheit an, wobei die Religion infolge des Fehlens der richtigen Alternative vielfach die ideologische Grundlage des politischen Widerstandes ist. Für den Westen verschließt sich mehr und mehr der Zugang zu den asiatischen und südamerikanischen Räumen. Der Drang zur wirtschaftlich-kulturellen Eigenständigkeit ist dort unübersehbar und unaufhaltsam. Und das gilt auch für den afrikanischen Kontinent. Mit jedem noch so kleinen wirtschaftlichen Fortschritt wird gleichsam ein weiteres Stück eigener Geschichte ausgegraben und in die Gegenwart gehoben. Diese Selbstbesinnung und Selbstbestimmung der Völker steht noch ganz am Anfang, aber die so oft prophezeite Nivellierung der Menschheit tritt nicht ein. Der Westen selbst hat mit seiner technisch-wirtschaftlichen Expansion Gegenkräfte auf den Plan gerufen, die ihm in dem Maße Paroli bieten, wie sie ihre eigenen Reproduktionskräfte entwickeln. Das ist in Anlehnung an Hegel die „List der geschichtlichen Vernunft“. Deshalb ist es geradezu selbstmörderisch, wenn der Westen diesen Völkern sein Wertesystem aufzwingen will. In einem solchen unversöhnlichen Kampf müsste letztlich der Westen verlieren. Der Ausweg ist hier nicht die Feindschaft, sondern die Partnerschaft, die ehrliche und vertrauensvolle Partnerschaft bei unbedingter Toleranz.

 

 

 

Wenn wir die aktuelle Situation mit der Situation nach dem Ersten Weltkrieg vergleichen, dann haben wir heute durch Wirtschaft, Technik und Kommunikation bedingt, aber auch durch die Erfahrungen aus den beiden Weltkriegen und den praktischen Lösungsversuchen,  einer höheren Stufe des menschlichen Subjektseins erreicht. Die Völker verfügen über ein riesiges materielles und geistiges Potential, das für die ersten Schritte in die Zukunft ausreicht. Nur vermögen sie es noch nicht, dieses richtig einzusetzen. Die Verteidiger der überholten Zustände zerren sie immer wieder nach rückwärts und trachten danach, die Welt neuerlich in Blöcke und Regionen zu teilen, die sich feindlich gegenüber stehen. Sie konstruieren aus den Unterschieden sich ausschließende Gegensätze, damit der tödliche Überlebenskampf die gemeinschaftliche Anstrengung der Völker verhindert. Sie bezeichnen die Zukunft als endlose Kette kleinerer Übels, als Schrecken ohne Ende, weil sie selbst der Schrecken sind und machen sich so unabdingbar.

 

 

 

Daß die beiden Weltkriege sich im Zentrum Europas austobten, war kein zufälliges Geschehen. Das war ein Zeichen für die sich anbahnende Zeitenwende. Sie zu vollziehen, ist Aufgabe der ganzen Menschheit, an ihr mitzuwirken, ist Aufgabe eines jeden Volkes, zu deren Erfüllung jeder einzelne beitragen muß. Wenn Deutschland seiner geschichtlich vorgegebenen

 

Verantwortung in Europa und in der Welt gerecht werden will, dann nur, indem es in Richtung dieser Zeitenwende wirkt. Eine solche politische Wendung erwarten die Völker von Deutschland und eine solche politische Wendung erwarten die Deutschen von ihrer Regierung. Solange die Regierung innenpolitisch jedoch an der Agenda 2010 festhält und außenpolitisch sich der amerikanischen Hegemonie unterwirft, wird sie auch weiterhin auf das tiefe Misstrauen und einen anschwellenden Widerstand des Volkes stoßen. Sie wird sich gegen das Volk nicht durchsetzen.

 

Was den Bundespräsidenten Rau anbelangt, bestätigte sich wieder einmal das Sprichwort: Reden ist Silber, schweigen ist Gold, bis auf die Einschränkung, dass sein Reden nicht Silber war, sondern Blech.                                                                           

 

 

 

                                                                                                      J. Hertrampf  2010