Amerikas falsche Botschaft

Der Zusammenbruch des östlichen Imperiums hatte für die westliche Welt weitreichende Folgen. Die USA waren nun bestrebt, als alleinige Weltmacht, wirtschaftlich und militärisch den anderen weit überlegen, ihre Führung auf den ehemaligen Ostblock auszudehnen. In den ersten Jahren schien es auch so, daß sie Fuß fassen würden, Mc Donald und Coca-Cola setzten sich in Szene und die Dissidenten und Reformer in den ehemaligen Ostblockländern gaben, mit massiver finanzieller und propagandistischer Unterstützung aus den westlichen Ländern, den Ton an. Doch bald schon verflog die Euphorie „frei wie ein Vogel zu sein“ und es entwickelte sich ein nationaler Widerstand, der die westlichen Absichten und Methoden an den Pranger stellte, zumal auch die versprochenen großzügigen Hilfen nicht eintrafen. Seit einigen Jahren nun durchlaufen die ehemaligen Ostblockländer, mit Ausnahme Mitteldeutschlands, welches vollständig in die BRD eingegliedert wurde, einen intensiven Lernprozeß, der zu einer nationalen Rückbesinnung und relativen Stabilisierung führte. Selbst in Restjugoslawien, wo, nach den verbrecherischen Bombardements, mit Djindjic ein ausgemachter Lakai ins Amt des Ministerpräsidenten lanciert wurde, konnte das Ziel, die Serben in die Knie zu zwingen, nicht erreicht werden. Die EU-Osterweiterung stößt in diesen Ländern, angesichts der Praktiken in der EU, auf Skepsis. Im Hinblick auf die zu erwartenden gewaltigen finanziellen Belastungen kommen aber auch in den EU-Mitgliedsländern Ängste auf. Die Politiker in diesen Ländern geraten in einen zunehmenden Konflikt zwischen dem vorgesehenen Zeitplan und der absehbaren Kostenlawine sowie dem Widerstand der Völker gegen einen weiteren Sozialabbau. Allen voran gerät Bundeskanzler Schröder unter Druck. Und man kann es nicht oft genug betonen, daß er als Regierungschef die persönliche Verantwortung trägt, vom Deutschen Volk Gefahr und Unglück abzuwenden.

 

 

 

Heute kann eingeschätzt werden, daß es den USA und ihren westlichen Verbündeten nicht gelungen ist, den untergegangenen Ostblock in den eigenen Machtbereich einzugliedern bzw. in diesen Ländern willenlose Marionettensysteme zu installieren. Hinzu kommt, daß die USA bei ihrem Versuch gescheitert sind, ein weltumspannendes Herrschaftssystem zu errichten. Vielmehr haben sie in den zurückliegenden zehn Jahren ihren stärksten Autoritätsverlust nach dem Zweiten Weltkrieg hinnehmen müssen. Selbst in ihrem westeuropäischen Vasallensystem traten in bislang nicht gekanntem Maße Widerspenstigkeiten auf. Der Grund für diese Erscheinungen liegt vor allem darin, daß der Gegenpol Kommunismus weggefallen ist. Die Gefahr aus dem Osten war eine starke Klammer und bot zugleich die Möglichkeit einer kontraproduktiven Selbstdarstellung. Es ist unbestreitbar, daß der Kommunismus für die westliche Welt eine viel größere Bedeutung gehabt hatte, als bisher angenommen wurde. Glanz und Anziehungskraft ihrer Werte waren vor allem aus der Gegenposition zu einem Gesellschaftsbild zu erklären, in dem die kollektivistischen Züge vorherrschten und die idealisierte Zukunft ständig nach vorn verschoben wurde. Doch bald zeigte sich, daß allein die Propagierung des amerikanische Wertesystems die Fortdauer des früheren Zusammenhalts nicht gewährleistete. Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, die sich als brauchbar im Kampf gegen den Kommunismus erwiesen hatten und mit denen so manches Verbrechen verdeckt werden konnte, verloren nun ihre frühere Wertigkeit. Dieser grundlegenden Einsicht konnten sich die USA nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht verschließen. Objektiv  standen sie vor der Forderung, ihre politische Rolle neu zu bestimmen. Vor allem mußte eine neue Begründung für eine Weltführerschaft her, mit denen auch der wachsende Unmut über die amerikanische Politik zum Schweigen gebracht werden konnte. Die Affären von Clinton, die Wahlgroteske bei der Präsidentenwahl, der Umweltaffront, das alles beschädigte in einem früher nicht gekanntem Ausmaß das Prestige der USA. Dadurch geriet aber die westliche Welt insgesamt zunehmende in eine Schieflage. Betrachtet man den 11. September von dieser Warte, so schien dieses Inferno geeignet, dem Erosionsprozeß Einhalt zu gebieten. Zugleich konnte es aber auch als Ausgangspunkt für eine neue Initiative zur weltweiten Anerkennung der politischen Führerschaft dienen. Nicht mit einem  positiven Zukunftsbild, wozu die USA nicht willens sind und dafür auch keinen Dollar ausgeben, sondern mit einem wirklichen Schreckenserlebnis ohnegleichen, mit einem Vorgeschmack des Weltuntergangs, sollte die weltweite Anerkennung der Führungsrolle zurückerobert werden. Es mußte etwas geschehen, wovor die Menschen am meisten Angst haben. Wie früher in aller Öffentlichkeit auf dem Altar das Opfer gebracht wurde, so brachen vor den Kameras die Bankentürme in New York zusammen und ihre Bilder wurden immer und immer wieder in alle Welt ausgestrahlt. Jeder sollte wissen, daß von nun an die Welt nicht mehr so sein wird, wie sie war, denn nunmehr war Krieg, Krieg und nochmals Krieg. Fast lag etwas Triumphales in diesem Geschrei.

 

 

 

„Nur mit Rückendeckung der USA-Geheimdienste waren die Attentate möglich“, schreibt von Bülow in „Deutsche Militärzeitschrift“ 30/2002 und verweist darauf, daß gewisse Leute an diesem fürchterlichen Szenario Milliarden von Dollar verdient haben. Mit den Bildern von diesem Inferno wurden nicht die Götter um Hilfe gerufen, sondern wurde die Welt aufgefordert, uneingeschränkte Solidarität zu üben, eine Forderung, der Schröder auch sofort nachkam. War das Ganze nicht ein teuflischer Mißbrauch der Opfer, inszeniert von wahrhaft teuflischen Mächten? Damit war der Beweis für eine neue weltweite Bedrohung erbracht, die in ihrer Gefährlichkeit dem Kommunismus nicht nachsteht, ja noch tückischer ist, als dieser es war. Seitdem ist der internationale Terrorismus der Satan, der die Welt in Schrecken versetzt und an dessen Bekämpfung folglich die ganze Welt beteiligt sein muß. Was früher der Kommunismus war, das ist jetzt die Achse des Bösen, die sich gegen die zivilisierte freie und demokratische Welt richtet, die in den USA nicht nur ihr Zentrum hat, sondern auch zuverlässigen Schutz findet hat. Dabei legen die USA vor allem wert auf die mächtigsten Länder, wollen sie diese unbedingt in ihrem Boot haben, wobei sie mit der Tatsache spekulieren, daß alle großen Mächte nationale Widerstände unterdrücken, sich also imperialistisch verhalten. So betrachtet gibt es in ihnen überall Terroristen. Mit der Antiterrorkoalition wurde eine Formel gefunden, wie die großen Staaten infolge ihres Bestrebens nach Machterhalt alle in eine gleiche Richtung marschieren können, unabhängig von Vorgeschichte und Vorbehalten. Wir können es kurz auf folgenden Nenner bringen: die Antiterrorkoalition ist das von den USA geführte weltweite politisch-militärische Bündnis zur Durchsetzung der Globalisierung. Sie ist die Doktrin des permanenten Krieges gegen alle Widerstände, die sich dem amerikanischen Interesse entgegenstellen, einschließlich der Widerstände in ihren engeren Bündnisländern. Das heißt also, daß diejenigen, die heute sich Vorteile aus der Antiterrorkoalition ausrechnen, morgen schon selbt ins Zielvisier eben dieser Koalition geraten können. Die Sicherheit, die ihnen angeboten wird, ist immer nur für den Preis zu haben, daß sie sich unterwerfen. Das Konzept ist gut ausgeklügelt, aber es hat einen Webfehler, es vernachlässigt die Rolle der Völker.

 

 

 

Die Welt ist nach dem Fall des Kommunismus nicht friedlicher geworden, sondern der Präsident der USA droht ständig mit dem Revolver, ohne mit einer ernsthaften militärischen Gegenreaktion rechnen  zu müssen. Der 11. September sollte in der Tat ein neues Kapitel der Weltgeschichte eröffnen, die amerikanische Weltära, in der immer irgendwo Krieg geführt wird, wie es irgendwo Waldbrände und Überschwemmungen gibt. Es heißt, das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Und es heißt weiter, die Anlässe des Krieges werden gemacht und zwar so, daß die Menschen bereit sind, den Krieg zu rechtfertigen, weil sie überzeugt sind, daß der Krieg eine große Gefahr von ihnen abwendet. Haben die Bilder mit den mörderischen Flugzeugen nicht Angst und Schrecken verbreitet? Waren da nicht die Bomben auf Afghanistan die Strafe für den Frevel? - Nicht zufällig wurde von den USA dieses Konzept erfunden, denn nur so können sie sich noch am Leben erhalten, sie, der eigentliche Krisenherd in der Welt, sterbenskrank, in panischer Furcht vor einer Erneuerung der menschlichen Daseinsweise und deshalb vor keinem Mittel zurückschreckend.

 

 

 

Vor seiner Wahl zum Präsidenten schien es so, daß Bush zu einer Alternative zur Politik seines Vorgängers bereit wäre, woraus geschlossen werden kann, daß auch in Amerika der Wunsch nach einer anderen Politik vorhanden ist. Nunmehr weiß die Welt, daß er an der alten Linie festhält, ja, diese noch auf die Spitze treibt. So gesehen war der Krieg gegen Jugoslawien, den Frau Albright seinerzeit als die Form des Krieges des 21. Jahrhunderts bezeichnete, tatsächlich ein Auftakt und der 11. September die eigentliche Begründung dieser neuen Ära. Das war die Botschaft, mit der Bush im Eiltempo durch Europa reiste, auf die er alles bezog. Doch überzeugen konnte er nicht. Er war unsicher, ihm fehlte die Beweiskraft. Er scheute den öffentlichen Auftritt. Auch das war auch ein Novum für einen amerikanischen Präsidenten, die sich sonst gerade in Berlin feiern ließen. Es brachte eine falsche Botschaft mit, die keiner hören wollte. Nirgends bekam Bush die Ablehnung der amerikanischen Politik deutlicher zu spüren als in Deutschland.  

 

 

 

Die USA sind eine untergehende Weltmacht. Sie haben alle Kriege verloren, die sie in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geführt haben. Ihr neues Hegemoniekonzept wird zwar ihre Politik in den nächsten Jahren bestimmen, aber sie werden weiter Prestige verlieren und sich isolieren und ihren fortschreitenden Niedergang nicht aufhalten können. Der Preis, den die Völker zahlen müßten, wäre um so höher, je größer der Spielraum wäre, den sie dieser wahnwitzigen Politik lassen würden. Niemand darf auf die Vernunft des amerikanischen Präsidenten setzen, noch auf das Gewissen der westlichen Vasallen. Das einzige, was den Völkern bleibt, ist, daß sie ihre Interessen selbst verteidigen, daß sich aus ihrer Mitte genügend aufrichtige Männer und Frauen finden, die große Volksbewegungen organisieren können. Die Gräben der Vergangenheit zwischen den Völkern und in jedem Volk dürfen keine Hindernisse sein. Hören wir nicht auf die Einflüsterungen der Gegner, die nur Zwietracht schaffen. Vor allem tragen jene Völker eine große Verantwortung, deren Regierungen willig den USA ihre Dienste zur Verfügung stellen. Aber notwendig ist dieser Kampf in jedem Land, denn noch stehen überall die Staaten über den Völkern. Das gilt für die Russen, die Inder, die Chinesen ebenso gut wie für die Franzosen, Engländer, Amerikaner und die Deutschen. Es gibt keinen Staat auf der Welt, der nicht nach dem Herrschaftsprinzip aufgebaut ist. Wenn es um die Macht geht, ist die Versuchung groß, das eigene Volk zu täuschen und zu verraten. Deshalb müssen die Völker ihre Regierungen zwingen, die USA öffentlich zu brandmarken und Schritte fordern, die sich gegen eine von den USA geführte Antiterrorkoalition richten, damit die Antiterrorkoalition nicht Realität wird. Das liegt auch im Interesse des amerikanischen Volkes selbst. Die Freiheit der Völker ist unteilbar. Und die Zukunft auch.

 

Gerade in jüngster Zeit vergrößert sich der Widerstand gegen die Bush-Regierung. Das ist ein gutes Zeichen. Auch in Deutschland bildet sich ein neues Selbstbewußtsein heraus. Fordern wir mit Nachdruck den Abzug der amerikanischen Truppen aus Deutschland. Lassen wir uns nicht einreden, daß wir Deutschen schon  umerzogen sind, wehrlos und willenlos und unrettbar verloren für alle Zukunft. Manchmal bedarf es nur einer Stimme, damit ein ganzer Chor antwortet.  

 

 

 

                                                                                                     Dr. Johannes Hertrampf   06.03.2016