Thesen für ein alternatives Bewußtsein


 

In Krisenzeiten ist viel Falschgeld im Umlauf. Demagogen sind unterwegs. Zu keiner Zeit ist das Volk anfälliger für Irrlehren als in Krisenzeiten, wo es unbedingt den Ausweg braucht. Der Demagoge ist da eine grosse Gefahr für die Demokratie, weil bei Abstimmungen die Mehrheit zählt. Doch ist der Demagoge nur ein naiver Spinner?

 

 

 

Auch wenn eine Meinung noch so plausibel ist, sie muss kritisch abgeklopft werden. Eine Meinung ohne Widerspruch ist eine ungeprüfte Meinung. Selbst wenn die Wahrheit erwiesen ist, ist sie immer an Bedingungen genüpft, ist sie immer relativ. Diese Bedingungen, unter denen die Wahrheit Wahrheit ist, müssen exakt benannt werden. Das macht sie sicher. Am besten ist es, wenn derjenige, der eine Meinung äussert, selbst zum Zweifeln auffordert.  

 

 

 

Kein System in der ganzen Zivilisation, selbst die an ihrem Ende hochgepriesene westliche Demokratie nicht, hat auf Unterdrückung der Wahrheit über die Gesellschaft verzichtet. Das Interesse steht über der Wahrheit, als stünde diese im menschlichen Ermessen. Aus dieser  Wahrheitsskepsis - nur was nützlich ist, wird unterstützt - wird bezogen auf die Gesellschaft direkte Wahrheistfeindlichkeit, weshalb die Erkenntnis der Gesellschaft weit hinter der Erkentnis der Natur zurückbleibt. Dieses zwiespältige Verhältnis ist die direkte Folge des geltenden Herrschaftsprinzips. Die Methoden sind immer die gleichen. Es wird durchgesetzt, indem die Wahrheitssucher physisch ausgeschaltet werden. Es wird aber auch durchgesetzt, indem Denkverbote erlassen werden. Für eine mit Denkverbot belegte Aussage gibt es keine Alternative. Was alternativlos ist, ist unantastbar. Man kann sicher sein, dass sich dahinter eine Unwahrheit verbirgt. Das Denkverbot ist die verkündete geistige Dikatur. Das ist fürwahr ein Anachronismus.  

 

 

 

Demagogie ist kein Einzelfall. So ist das heutige herrschende öffentliche Bewusstsein durchgehend demagogisch. Und zwar vor allem deshalb, weil in ihm die allgemeinen Menschenrechte eingeflochten sind, also jene Grundätze, die das geistige Pendant zum Herrschaftssystem sind.

 

 

 

Jedes System trägt den Widerspruch in sich, durch den es stabil ist. Es ist ein realer Widerspruch in sich, dass Herrschaft und Demokratie unter einem Dach wohnen und dieses tragen. Es ist ein Widerspruch in sich, dass das herrschende Bewusstsein die Menschenrechte mit Füssen tritt und sich zugleich auf die Menschenrechte beruft.

 

 

 

Das Ergebnis dieses Widerspruchs ist die Hoffnung. Sie ist die tragende geistige Säule der Herrschaftsgesellschaft - Hoffnung auf später. Die Hoffnung ist das Hinnehmen der Gegenwart mit der Gewissheit, dass sie besser wird. Hoffnung verlangt keine Aktivität, sondern erduldet den Zustand. Sie ist die häufigste Form der Verführung.

 

 

 

Das Resultat der Verführung ist die Enttäuschung. Vom Protest, über die Hoffnung, zur Enttäuschung, das ist das Ergebnis, mit dem die Demagogie endet - der gebrochene Sklave.    

 

 

 

Das gegenwärtige System bestreitet nicht die Ungerechtigkeiten. Die Medien überschwemmen die Menschen mit Vorfällen und Skandalen, auch systemrelevanten. Die Situation wird entspannt, indem sie öffentlich gemacht wird. Das Wissen um die Ungerechtigkeit ohne praktische Alternative ist nämlich keine Gefahr für die Herrschenden. Die Schwachstellen werden offengelegt und können ausgemerzt werden. In der Politik nennt man das Kritik an Personen, aber nicht am System. Das ist eine Regel, an die sich die Opposition des Systems hält; die Querdenker einbezogen.  

 

 

 

Je überlebter ein System ist, desto mehr Schwachstellen weist es auf. Der Reparaturen verbrauchen  immer mehr Zeit und Kraft, bis zu der Grenze, ab der es still steht. Nicht, dass keine Kräfte nachwachsen. Die neuen Kräfte finden nur nicht die ihnen angemessenen Formen, weshalb sie sogar destruktiv wirken. Sie sind eine Zerstörung ohne Perspektive.

 

Die Herrschenden steuern die öffentliche Meinung durch die Medien. Dort, wo die Kritik an die Grenze des Systems stösst und sich dem Terrain des alternativen Denkens nähert, wird sie abgeschaltet. So bildet sich eine endlose Kette von Problemen. Am Ende bleibt alles offen. Es ist ein Zustand der Meinungsfreiheit ohne Befreiung. Es ist eine organisierte Selbsttäuschung.

 

 

 

Die offizielle Meinung hat einen Gegenspieler, die nichtoffizielle Meinung. Dieser Zwiespalt zieht sich durch die ganze Zivilisation hindurch. Erreichte das inoffizielle Bewusstsein eine bestimmte Grenze, kam es zu gewaltsamen Umstürzen. Diese Umstürze sicherten die Fortsetzung der  Zivilisation. Die beteiligten Menschen kamen allerdings vom  Regen in die Traufe. Der neue Zustand  erwies sich nur als modifizierte Neuauflage des bisherigen. Alle Umbrüche in der Zivilisation waren Formenwandlungen, die nicht die Grundbeziehngen der Menschen bestrafen. Der Typus der Gesellschaft blieb erhalten. Das gilt auch für den letzten Versuch, den Sozialismus. Sein Scheitern hatte den simplen Grund, dass eine weitere Formenwandlung in der Zivilisation nicht mehr möglich ist.     

 

 

 

Die Variationen der Zivilisation sind ausgeschöpft. Ihre Entwicklung ist abgeschlossen. Ein neuerlicher  Wechsel muss über die Zivilistion hinausführen. Aber stattfinden kann dieser Wechsel nur bei Vorhandensein eines entsprechenden Bewusstseins. Der Fortchritt vollzieht sich also nicht hinter dem Rücken der Menschen. 

 

 

 

Die alternative Opposition ist Opposition gegen das System. Ihre Welt liegt jenseits von Gut und Böse des Systems. Alternatives Bewusstsein ist einerseits Zivilisationskritik. Aber wichtiger noch als blosse Abgrenzung sind die neuen massgeblichen Gestaltungsprinzipien und Werte. Diese können voraussschauend formuliert werden.   

 

 

 

Worin besteht die neue Qualität des alternativen Bewusstseins? Es ist wie gesagt nicht nur Protest-bewusstsein, das die bestehenden Zustände ablehnt und eine allgemeine Erlösung der Welt von allen Übeln prophezeit. Es ist nicht schöner Widerschein der Wrklichkeit, nicht eine utopische Vision, sondern abstrakte Zukunftslinie, die aus Geschichtsanalysen gezogen wird. Es ist ein wissenschaftliches Gerüst, in dem sich die Gesellschaft bewegt. Nicht, dass die Gesellschaft in diese neue Qualität hineingezwängt wird, sondern, sie ist die Folge des ganzen bisherigen Verlaufs, die aber nur deshalb notwendig wird, weil der Mensch sich eine neue technische Grundlage schafft. Die geistige Durchdringung der ganzen Geschichte gibt die Sicherheit für den Schritt über die Zivilisation hinaus. Aber ohne die reale technische Grundlage fände sie nicht statt.

 

 

 

Die neue Opposition steht im Widerspruch zu Irrationalität des herrschenden Bewusstseins, das von seinem Wesen her diese Schwelle nicht überschreiten kann. Die Menschen können es nicht mitnehmen, sondern nur zurücklassen und archivieren.

 

 

 

Herrschendes Bewusstsein ist zum einen nicht gesellschaftswissenschaftlich fundiert. Und zum anderen ist es nicht auf die Gegenwart orientiert. Es ist zwar Gegenwartsbewusstein, aber seine Richtpunkte liegen in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Es ist Ablenkung von der Gegenwart.  Der Mensch ist ständig geistig woanders, er ist auf der Flucht vor der Wirklichkeit. Dadurch entsteht die Gegenwart spontan. In gesellschaftlicher Hinsicht stimmen deshalb erklärte Absicht und erreichtes Resultat seines Handelns nicht überein. Der geistige Zustand der Zivilisation ist ein wahres Bewusstsein über der Natur und ein falsches Bewusstsein über die Gesellschaft.

 

 

 

Zwischen beiden Bewusstseinsformen, dem herrschenden und dem künftigen, dem alternativen, besteht ein sozialer Gegensatz: Herrschaft gegen Demokratie. Uud ein geistiger: Irrationalität gegen Rationalität. Die Demokratie muss sich mit dem Wissen verbinden. Bei ihr stehen sich Wissen und  Interesse nicht mehr argwöhnisch gegenüber. Die Demokratie sortiert nicht mehr die Wahrheit   nach Interessen, sondern bei ihr ist die ganze Wahrheit fortwährender Zweck. Daher kann falsches Bewusstsein für sie unter keinen Umständen nützlich sein. 

 

Auf Grund dieser neuen Qualität kann die alternative demokratische Opposition eine gesellschaft-liche Reform einleiten, die zum grössten Umbruch in der Menschheitsgeschichte führt.   

 

 

 

Das alternative Bewusstsein bildet sich erst gegen Ende der Zivilisation, es wird ja auch vorher nicht gebraucht. Es bildet sich als Variante des allgemeinen oppositionellen Bewusstseins. Es ist umgeben von exzentrischem Bewusstsein, dem Bewuaataein der Ränder und von halbherziger kleinbürgerlicher Kritik.  

 

 

 

Dieses kleinbürgerlich-kritische Gesellschaftsbewustein ist noch nicht alternativ. Es versagt regelmässig als Gestaltungsmittel. Am ausgeprägtesten kommt es heute in der Unzufriedenheit vieler Bürger mit der Demokratie zum Ausdruck, die teilweise so weit geht, dass die demokratische Idee selbst abgelehnt wird. Dieses dumpfe Bewusstsein ist systemerhaltend.

 

 

 

Das System toleriert bzw. unterstützt die kleinbürgerliche Opposition, weil sie die Kräfte zersplittert und desorientiert. Gemessen an der Zahl der oppositionellen Gruppierungen müsste die Politik der etablierten Parteien auf ernsthaften Widerstand stossen, stattdessen ist diese Opposition ohnmächtig. Sie läuft der Politik hinterher, ohne von dieser auch nur eines Blickes gewürdigt zu werden. Nicht einen Schritt der Regierenden hat sie verhindert oder verzögert.

 

 

 

Die Wortführer der kleinbürgerlichen Opposition, zu denen wir auch die linken Führer zählen, mobilisieren nicht die Menschen, sondern konzentrieren sich auf die parlamentarische Opposition. Der Sitz im Parlament ist der Gipfel ihrer Träume. Ihr Motiv ist also nicht eine neue Volkssouveränität, bei der die Menschen direkt an der Gestaltung der Gesellschaft teilnehmen. Diese Opposition macht sich vielmehr selbst zum Sprecher der Massen und entmündigt sie damit. Die kleinbürgerliche Opposition ist ihrem Wesen nach eine geschichtlich überholte Opposition, weil sie innerhalb der Zivilisation verharrt. Sie macht sich den Herrschenden nützlich. Ohne sie hätten die  Herrschenden nicht so viel freien Spielraum.    

 

          

 

Das zivilisationskritische alternative Bewusstsein ist die Folge aller bisherigen Bemühungen der Beherrschten um eine eigene geistige Begründung, eingeschlossen die Versuche, ein Befreiungsbewusstsein hervorzubringen. 

 

 

 

Aber aktuell wird dieses Bewusstsein erst unter den neuen technischen Möglichkeiten. Mit der Technik entstehen die materiellen Bedingungen. Nicht die Verelendung ist entscheidend, sondern die Technik, damit eine praktische Notwendigkeit entsteht. Die modernen Kommunikationsmittel sind die wichtigste materielle Voraussetzung für das Entstehen eines neuen Bewusstseins.

 

 

 

Die moderne Kommunkationstechnik setzt Kräfte frei, die nicht mehr in den Rahmen der  Zivilistion passen. Sie gibt zwar auch den Herrschenden neue Mittel in die Hand, um ihr  irrationa-les Bewusstsein zu verbreiten. So resultiert die heutige Macht der Medien aus den nenen technischen Möglichkeiten. Aber mehr noch liegt sie im Interesse der Beherrschten, ist sie demokratiefördernd. Früher hielt sich eine Lüge über viele Jahrhunderte, heute sind es mitunter nur Stunden. Wir erleben eine enorme Zeitverkürzung, die Wahrheit kommt schneller ans Licht. Der Kampf zwischen Lüge und Wahrheit wird kürzer. Aber nicht weniger wichtig ist die individuelle Verfügbar-keit der Informationen, für jeden und unabhängig vom Ort. Die neuen Techniken kommen zweifel-los vor allem den Erneuerungskräften zugute. 

 

 

 

Der Zugang zu den Informationen ist eine gewaltige revolutionierende Kraft. Deshalb unternehmen die Herrschenden alles, diesen Zugang zu kontrollieren und zu steuern. Mit dem Argument, den Kampf gegen den Terrorismus zu führen, werden Internet und Mobiltelefon staatlich kontrolliert. Der Staat sammelt Unmengen von Daten über die Bürger, ohne sie in seinem Sinne verwerten zu können. Es ist unmöglich, das Befreiungspotential dieser neuen Techniken zu verhindern. Daher ist es grundsätzlich richtig, wenn die alternative Opposition sich auf die modernen Kommunikations-techniken orientiert. Zwischen der neuen Technik und der alternativen Opposition besteht eine wesentliche Übereinstimmung. Diese Technik wird auch den Zugang zum neuen Gegenstand menschlicher Tätigkeit eröffnen.

 

 

 

Der Inhalt der Informationen ist letztlich massgeblich. Dieser Inhalt ist durch die neue Verant-wortung des Menschen für die Natur determiniert. Das neue Naturverhältnis des Menschen  verschafft der alternativen Opposition universelle Überlegenheit, zu der die alten Kräfte keinen Zugang mehr haben. Die modene Technik findet erst in diesem neuen Naturverhältnis das ihr gemässe Wirkungsfeld. Damit entsteht eine Immunität gegenüber den alten Einflüssen. Der alternativ ausgerichtete Mensch hat eine andere Interssensphäre und eine andere Wahrnehmung der  Wirklichkeit. 

 

 

 

Nicht die detaillierte Voraussage ist das aktuelle Anliegen, sondern die Erkenntnis, dass die Zivili-sation verlassen werden muss. Die alternative Opposition bedarf nicht der Vision. Was praktisch geschaffen werden muss, bestimmen die jeweiligen Generationen. Das zivilisationskritische Fundament zu legen und schliesslich ein neues Welt- und Gesellschaftsbild zu schaffen, das ist  das wichtigste Anliegen der heutigen Aufklärung. Sind diese geistigen Grundlagen vorhanden, werden die passenden Antworten jeweils gefunden werden.

 

 

 

                                                                                                   J. Hertrampf   23.05.2010