Als ginge es ihnen um Arbeitsplätze

Warum plötzlich die Aufregung? Haben sich die Systemparteien geläutert? Bislang konnte man nicht den Eindruck gewinnen, dass sie ernsthaft die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen. Sieht jetzt die Opposition die Chance dafür gekommen, da Schröder und Fischer die Bundesrepublik nach fast sieben Jahren auf den tiefsten Punkt der Nachkriegszeit geführt haben, wieder die Regierung zu übernehmen? Warum scheuen sie davor zurück? Angesichts der ständigen schwarz-schwarzen Ankündigungen, den Sozialabbau rigoroser durchzuziehen, sehen viele Bürger in der rot-grünen Koalition das kleinere Übel, glauben viele noch, vor allem in den westlichen Bundesländern, an ein soziales Gewissen der SPD und an eine grüne basisdemokratische Bürgervertretung. Doch es wächst im Volk die Erkenntnis, dass es sich bei diesen Parteiengruppierungen gar nicht um Alternativen handelt, sondern um verteilte Rollen einer raffinierten Inszenierung, bei der die soziale Schraube Windung um Windung angezogen wird.

 

 

 

Nicht die Arbeitslosigkeit als Quelle sozialen Elends scheucht sie auf, sondern die Belastung des Staatshaushalts durch die Arbeitslosigkeit mit all ihren Folgewirkungen - Arbeitslosigkeit als Störfaktor bei der Umverteilung der öffentlichen Gelder. Und so wird die Sache einfach umgedreht: Wenn die Arbeitslosigkeit der Umverteilung hinderlich ist, muß man die Umverteilung beschleunigen. Was sie beunruhigt, ist das abnehmende verfügbare finanzielle Reservoir, um die Globalplayer zufrieden zu stellen. Die Aussage mag manchem grotesk erscheinen: Der eigentliche Sinn der ganzen Debatten um Veränderungen des Steuerrechts, des Gesundheits- und Bildungswesens und des Arbeitsmarktes ist die Suche nach neuen Umverteilungsformen. Wir erinnern an das demagogische Getöse um Eichels Sparpaket nach der rot-grünen Machtübernahme, bei dem es auch nicht ums Sparen ging, sondern um mehr Bereitschaft des Volkes sich widerstandslos ausnehmen zu lassen. Wenn die Herrschenden sich für die Arbeitslosigkeit interessieren, dann eben nicht, weil diese für Millionen von Menschen ein großes Unglück ist, sich Tag für Tag in Deutschland unzählige Tragödien abspielen, sondern, weil die Arbeitslosigkeit sich mehr und mehr als Hindernis herausstellt, eine aktivere Rolle in der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Durchsetzung des westlichen Herrschaftsanspruchs zu spielen. Das Volk kann man allemal mit Worten abspeisen, mit Lügen und Skandalgeschichten verwirren, aber nicht die große Politik. Hier reichen nicht schöne Worte und Menschenrechte, hier muss Geld fließen. Und wenn mehr fließen soll, muss man dem Volk mehr Geld abnehmen, mit der Begründung, damit den Fluch der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Es ist nicht die Sorge um Deutschland, nicht die Sorge um das eigene Volk, sondern es ist die Sorge um den schwindenden Einfluss der von den USA geführten westlichen Welt. Ohne Deutschland ist Europa nicht zu halten und ohne Europa können die Amerikaner in der Welt nicht Führungsmacht sein. Das wissen die Amerikaner. Das wissen auch ihre deutschen Erfüllungsgehilfen. Da steht das eigene Volk ganz hinten an.

 

 

 

Als Köhler kurzfristig zum Staatsoberhaupt gekürt wurde, geschah das mit der Absicht, hinsichtlich dieser größeren Anforderungen an Deutschland eine Korsettstange in das politische Herrschaftsgefüge einzuziehen. Der politischen Führung sollte mehr transatlantische Eindeutigkeit und Zuverlässigkeit verliehen werden. Obwohl Schröder und Fischer durchaus wissen, was sie zu tun und zu lassen haben, müssen sie ständig beaufsichtigt werden, wie das eben bei Leuten der Fall ist, bei denen nach konservativer Auffassung die Herkunft nicht ganz stimmt. Wenn darüber der Kanzler und sein alter ego zuweilen etwas ungehalten sind, dann ist das nicht Auflehnung, sondern Unwillen über die Kopfnüsse, weil „die“ ja gar nicht wissen, wie schwierig es ist, bei einer solchen Politik nicht gänzlich die soziale Basis zu verlieren. - Die Mehrheit der Bürger muß still halten, wenigstens so lange, so lange ihr Widerstand für die Herrschenden eine ernsthafte Gefahr ist. Und dieses Abwiegeln des Bürgerprotestes hat die rot-grüne Koalition bisher gut fertig gebracht. Das ist ihr Verdienst, dessen sie sich auch bewusst sind. Wer vermag denn gegenwärtig in Deutschland besser als sie den Menschen die Parole rüber zu bringen, dass man heute entsagen muß, damit morgen der Wohlstand und alle anderen schönen Dinge des Lebens gesichert sind? Wer kann es besser? Sie wissen genau, dass sie die Rolle gut spielen und die CDU den Kopf einzieht, wenn es darum geht, die Rollen zu tauschen.

 

Welchen Zweck haben also Bundestagsdebatten, Bundespräsidentenrede, Regierungserklärung und sogenannter Job-Gipfel der Parteispitzen? Auf keinen Fall den, die bisherige Politik in Frage zu stellen oder gar zu ändern, sondern den sich aufbauenden Widerstand gegen diese für Deutschland tödliche Politik zu unterdrücken. Dass es keine Alternative gibt zu dem von der Regierung eingeschlagenen Weg, das ist nicht nur Schröders Behauptung, sondern die einhellige Meinung aller Systemparteien. Folglich ist auch von ihnen keine Besserung der Zustände zu erwarten. Wenn sie den Mund auf machen, fehlt der geringste Ansatz einer Analyse, jeder leiseste Versuch, Entwicklungsschwerpunkte zu benennen und die finanziellen Möglichkeiten ihrer Umsetzung aufzuzeigen. Stattdessen gar schon patriotische Appelle und Durchhalteparolen, die in der Politik immer auf Endzeit hindeuten. Viele Bürger sträuben sich noch vor der Wahrheit, aber es ist so, diese Politiker haben Deutschland aufgegeben. Das Deutsche Volk ist ohne politische Führung.

 

 

 

Doch andere, bessere Zustände sind möglich. Vollbeschäftigung, wirtschaftlicher Aufschwung und soziale Sicherheit sind möglich, nicht irgendwann, sondern heute und hier. Deutschland kann innerhalb einer Legislaturperiode in ein Land mit wirtschaftlicher Prosperität, mit Vollbeschäftigung und mit einem alle Gebiete des Lebens erfassenden Tatendrang umgewandelt werden. Die gesellschaftliche Erneuerung bedarf jedoch einer politischen Neuorientierung. Und zu dieser gehört eine Wirtschaftspolitik, die sich voll und ganz auf den nationalen Wirtschaftsaufschwung konzentriert. Eine gesunde Volkswirtschaft ist das Fundament eines jeden Volkes, in Gegenwart und Zukunft und auch Bedingung, um regionale und globale Aufgaben erfolgreich zu meistern. Mit Gesetzen und finanziellen Steuerungsinstrumenten hat der Staat die volkswirtschaftliche Kontinuität und Wandlung abzusichern. Dabei muss er sich auf die Eckpunkte wirtschaftlichen Wachstums konzentrieren und durch hohe zweckgerichtete Investitionen einen stetigen gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozess gewährleisten.

 

 

 

Erstens: Erhöhung der Produktivität der Arbeit durch Rationalisierung und vor allem durch technische Neuausrüstung. Wenn es stimmt, dass in Deutschland zu teuer produziert wird, dann kann die Antwort nur lauten, neue Fertigungstechniken zu entwickeln und im besonderen den Automatisierungsgrad entschieden zu erhöhen. Nur dadurch kann der gesamte Kostenaufwand je Produkt und Zeiteinheit entscheidend gesenkt werden. Nur so kann die Antwort eines hoch entwickelten Industrielandes im internationalen Kostenwettstreit aussehen. Nur so wird ein hochentwickeltes Industrieland seiner Verantwortung für den weltweiten technischen Fortschritt gerecht. Das Problem ist also nicht zu lösen, indem die Bezahlung hochqualifizierte Arbeitskraft auf das Niveau von Billiglohnländern herabgesenkt wird.

 

 

 

Zweitens: Erhöhung des Innovationsgrades, also des Anteils der Produkte mit neuen Gebrauchseigenschaften. Man kann sich auf dem Markt nicht allein dadurch behaupten, indem man mit immer billigeren Produkten auftritt, sondern indem man Produkte mit neuen funktionellen und ästhetischen Eigenschaften herstellt. Diese neuen Gebrauchseigenschaften sind nicht irgend ein äußerer Designer-Schnickschnack, der mit seiner Flüchtigkeit umsatzsteigernde Wirkungen auslöst, sondern energiereduzierte, ressourcensparende, umwelterhaltende und biokonforme Produkte. Der Produzent bedient nicht nur den Markt, sondern er schafft auch einen Markt, indem er Produkte anbietet, die an der Grenze des Machbaren die tatsächliche Freiheit des Konsumenten vergrößern.

 

 

 

Drittens: Erhöhung des Angebotes an Dienstleistungen und damit ihres Beitrages zur gesamten Wertschöpfung der Gesellschaft als Folge eines immer differenzierteren Bedürfnisgefüges. Hier geht es sowohl um die materiellen Dienstleistungen als auch und vor allem um geistig-kulturelle Dienstleistungen und die Bereitstellung von modernsten Informationssystemen. Freie Individualität erfordert universelle Verfügbarkeit über modernste Informationssysteme. Jeder muß Zugang zu den Wissens- und Kulturgütern der Menschheit haben. Jedem muß aber auch von seiner Bildung her der Zugang möglich sein. Die massenhafte Individualität ist ohne ein massenhaftes Angebot erschwinglicher Dienstleistungen nicht denkbar.

 

 

 

Viertens: Erhöhung der Menge der geistigen Güter und Leistungen am gesamten Warenaustausch. Dieser Schwerpunkt bedarf besonderer Förderung, weil über diese geistigen Produkte der grundlegende Wandel in der gesamten Lebens- und Produktionsweise erfolgt. War der Austausch bisher vorwiegend ein Austausch von materiellen Gütern, so muss er nun zu einem Austausch von vorwiegend geistigen Gütern werden. Hier liegt der Schwerpunkt künftiger Wertschöpfung, die auch nicht mehr an die starre herkömmliche Alters- und Berufsstruktur gebunden ist. Gerade die zunehmende Erhöhung der Lebenserwartung verliert damit jene gegenwärtige Bedrohlichkeit, weil die Fähigkeit zu hoher geistiger Produktivität weit über die Fähigkeit zu körperlicher Produktivität hinaus geht. Die heutige Gesellschaft kann dagegen weder die frei gesetzte Arbeit, noch überhaupt den schnell wachsenden geistigen Fundus rationell nutzen und in Wirtschaftskraft umsetzen. Sie wird mit dem größeren Leistungspotential nicht fertig, das sie selbst durch den technischen Fortschritt hervorbringt.

 

 

 

Wir brauchen in Deutschland eine andere politische Ökonomie, eine andere politische Ausrichtung der Volkswirtschaft. Das ist nicht ein anderes Etikett, sondern eine andere Leitung, Organisation und vor allem Motivation des Wirtschaftens. Nur bei einer solchen qualitativ anderen Ökonomie ist Wachstum möglich, ja sogar zwingend. Wer die Frage nach dem Wachstum von der qualitativen Änderung der Ökonomie abkoppelt und sie an sich beantworten will, der muß angesichts der destruktiven Folgen zu einer negativen Aussage kommen. Und umgekehrt: Wer den qualitativen Wandel der Ökonomie fordert, der wird das ökonomische Wachstum nicht als Gefahr, sondern als eine Befreiung von Gefahren erkennen. Der macht auch aus der Not keine Tugend, indem er zum mysteriösen Begriff des Null-Wachstums Zuflucht nimmt. Wachstum ist Ausdehnung, Erweiterung, allerdings einer anderen Art wirtschaftlicher Tätigkeit. Wir wollen nicht vom Bestehenden immer mehr, immer weiter, immer höher, sondern eine Ökonomie, die in ihren Kreislauf den Erhalt und die Förderung des menschlichen Lebens und der natürlichen Umwelt einbezieht. Und es gibt keinen Grund, dass eine solche Ökonomie auf Wachstum verzichten müsste. Im Gegenteil, eine so ausgerichtete Wirtschaft muß wachsen, um noch möglichst viel vor der anhaltenden Zerstörung zu retten und den Übergang in eine neue Daseinsform zu vollziehen. Die angeblich ökologische Rechtfertigung einer wachstumslosen Ökonomie, weil sie ressourcenschonend sei, halten wir für einen Irrtum, weil sie den qualitativen Umbruch in den menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen ignoriert und sich der herkömmlichen ökonomischen Zwecksetzung anpasst. Dieser Wertewandel ist notwendig und folglich muß er Gestaltungswille des Staates sein. Der Staat ist nicht Bittsteller an die Wirtschaft, sondern gibt die Eckpunkte vor und leitet sie so sukzessiv auf ein neues Gleis. So wie der Staat darauf zu achten hat, dass die Wirtschaft des Landes die Standards einhält, so hat er auch darauf zu achten, dass importierte Waren und Leistungen den Standards entsprechen, um das qualitative Übereinstimmung von Produktion und Konsumtion nicht zu verletzen. Eine Leistungsgesellschaft produziert und konsumiert hochwertige Produkte.

 

Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik ist nicht an und für sich naturzerstörend. Und die neue ökonomische Zwecksetzung verlangt nicht, die Wirtschaft unter ein planwirtschaftliches Diktat zu stellen, sondern der unternehmerischen Initiative Räume zu eröffnen. Es geht nicht darum, Gewinne zu verhindern und zu beschneiden, also nicht darum, das Gewinnstreben zu unterdrücken, dieses als moralisch fragwürdig zu diskreditieren. Der sich im Gewinn niederschlagende Erfolg gehört zur unternehmerischen Tätigkeit. Aber unterbunden werden muss der Profit, der nicht durch wirtschaftliche Leistung des Unternehmers, sondern durch finanzielle Manipulationen, Börsenspekulation und bloßes Zinsnehmen zustande kommt.

 

 

 

Die rot-grüne Regierung führt zu ihrer Entlastung an, dass nicht sie die Arbeitsplätze schafft, sondern die Wirtschaft. Solange aber eine Regierung nach der Pfeife der Herren Hundt, Rogowski, Ackermann u.a. tanzt, schafft sie nicht Rahmenbedingunge für die Volkswirtschaft, sondern Rahmenbedingungen für die Globalisierung und damit für die Ausplünderung der

Volkswirtschaft, sondern Rahmenbedingungen für die Globalisierung und damit für die Ausplünderung der Volkswirtschaft.

 

 

J. Hertrampf (4. April 2005)