Abschied ohne Tränen

 

 

EU-Kommissionspräsident J.-C. Juncker beklagte (08.03.2015 T-ONLINE) den Autoritätsverlust der EU und sinnierte darüber, diesen durch die Schaffung einer Europäischen Armee zu kompensieren. Man wolle diese Armee ja nicht sofort einsetzen, aber sie "würde Russland den klaren Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen mit der Verteidigung der Werte der Europäischen Union". Da wurde Putin Realitätsferne unterstellt und selbst lebt man in Illusionen, denn eine solche EU-Armee wird es nie geben, weil die EU sich in Auflösung befindet. Von der Ankündigung, man werde der Welt ein Beispiel für die Zukunft schaffen, spricht niemand mehr, weil man nichts hinterläßt, was Zukunft hat. 

 

Die europäische Idee, eine eng verwobenen Vielfalt nationaler Gemeinschaften, bestimmte zu keiner Zeit das Handeln der Euromanen. Vielmehr sprach man von europäischer Integration, als einer neuen Form von Freiheit ohne nationaler Selbständigkeit. Die nationale Eigenart der Völker  wurde nämlich als maßgebliche Ursache der beiden Weltkriege bezeichnet, die es galt, im Interesse des Friedens möglichst bald abzustreifen. Folglich wurde das Verschwinden der nationalen Identität nicht als ein Verlust, sondern als ein Gewinn an Handlungsfähigkeit für eine europäische Friedens-ordnung hingestellt. Unter den Spitzenpolitikern Westeuropas bestand Einigkeit darüber, daß die nationale Selbstverleugnung im Zuge der europäischen Integration vor allem für Deutschland gelten sollte. Das störte die meisten westdeutschen Nachkriegspolitiker nicht im geringsten. Sie übernahmen gern den schmeichelhaften Auftrag, Motor der europäischen Einigung zu sein, umgeben von der Aureole grenzenloser Sühnebereitschaft für die Alleinschuld an den beiden Weltkriegen. Der Dienst für die USA wurde umgedeutet als Pflicht für Europa.

 

Die europäische Integration beruhte auf einer falschen Interpretation der europäischen Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Hinter dem absichtlichen Verschweigen der wahren Hintergründe der Kriegskatastrophen und hinter dem Trugbild der europäischen Integration verbarg sich das US-amerikanische Vorhaben, Europa ein für allemal unter Kontrolle zu bringen. Dafür waren sie in den Zweiten Weltkrieg eingetreten. Und das war auch der Grund, den sie mit dem Marshall-Plan 1948 verfolgten. Europa sollte zur wichtigsten Stütze  der USA in der westlichen Welt werden, zunächst gegen den kommunistischen Ostblock und nach dessen Zerfall gegen antiwestlich orientierte Staaten. Die Einbindung Europas in das globale USA-Imperium war der Gründungsauftrag der BRD, der von allen Bundesregierungen eingehalten wurde. Auch die Merkel-Regierung hält sich an ihn.

 

Demzufolge war die europäische Integration auch nicht auf eine europäische Erneuerung ausgerichtet, die nach den beiden Kriegskatastrophen notwendig gewesen wäre. Infolge des Ost-West-Konflikts geriet diese dringende Aufgabe völlig aus dem Blickfeld. Stattdessen teilten die beiden Hauptsiegermächte, USA und Sowjetunion, Europa in die beiden Einflußbereiche auf, die jahr-zehntelang gegeneinander den Kalten Krieg führten. Diese Entscheidung der beiden Hauptsieger-mächte war ein schweres Vergehen gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker, mit dem sie die Erneuerung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg verhinderten. Europäische Politik wurde zu einer Politik gegen Europa. Es begann eine Periode, in der sich die Europäer von ihren Vaterländern und von der europäischen Idee entfernten. 

 

Die EU ist zu keiner Zeit eine gute Idee gewesen, die höchstens schlecht ausgeführt wurde. Mit einer solchen Mär läßt sich weder die EU rechtfertigen, noch der seinerzeitige „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“(RGW) der sozialistischen Staaten, der als Gegenstück zur westeuropäischen Integration von der UdSSR und ihren Satellitenstaaten gegründet wurde. Auch er war bloß ein Gebilde einer egoistischen Großmacht, dessen Schicksal von ihrem Schicksal abhing.

 

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus trat keine Erleichterung für Europa ein. Die USA haben sofort die Gelegenheit genutzt und die ehemaligen Ostblockstaaten in ihren Einflußbereich einbezogen. Dadurch hat sich ihr Einfluß territorial vergrößert und die NATO rückte bis an die Grenzen Rußlands vor. Aber es trat auch etwas ein, was die westlichen Strategen nicht berück-sichtigt hatten. Der Zusammenbruch des Kommunismus brachte für die westliche Welt auch einen großen Nachteil. Es fiel der Gegensatz weg, der das westliche System stabilisierte. Es fehlte der gemeinsame Gegner, der unterschiedliche Interessen und Meinungen in den Hintergrund treten ließ.  Das von den USA beherrschte europäische Imperium verlor an Zusammenhalt. Der Versuch, dieses Defizit durch eine antirussische Front auszugleichen, ist nicht gelungen. Die von den USA mit Nachdruck geforderten Sanktionen gegen Rußland stießen zunehmend auf Skepsis und Ablehnung in der EU, ebenso der von den USA ausgehende Druck auf Einbindung der EU in eine Freihhandelszone mit den USA. Zieht man in Betracht, daß die USA im internationalen Kräfteverhältnis ihren Höhepunkt überschritten haben, so kommt diesen europäischen Widerständen ein besonderes Gewicht zu. Die westliche Welt ist zu einem geschlossenenem und und überzeugenden Auftreten nicht mehr fähig. Die Erosion ist unübersehbar.

 

Europa wird selbst zu einem großen Unruheherd in der Welt. Der politische, wirtschaftliche und militärische Einfluß der USA auf Europa, so wie die organisierten Asylantenströme aus den Krisengebieten der Welt, erzeugen Unmut und Widerstände in einem Ausmaß, das bisher unbekannt war. Immer öfter wird die Feststellung getroffen: So kann es nicht weiter gehen. Das heißt, es wird  die Systemfrage gestellt. Es wächst bei den Völkern der Zweifel an der Wahrscheinlichkeit, die EU jemals zu einem lebensfähigen, prosperierenden Staatenbund zu reformieren. Dieser Zweifel ist auch in Deutschland vorhanden, wenngleich er hier noch nicht politisch organisiert ist.

 

Der fremdbestimmte, streng kontrollierte Auftrag verbietet es deutschen Politikern, sich um das Wohl der Völker zu kümmern und ihre Eigensucht erstickt jeden Ansatz nationaler Verantwortung. Mit allen Mitteln verhindern sie die Offenlegung der Hintergründe und Zusammenhänge der fortschreitenden Verwahrlosung des Landes, für das sie formell Verantwortung tragen. Die Medien bagatellisieren die Mißstände zu Begleitumständen der Normalität, so daß für eine Änderung der Gesellschaft kein Grund besteht. Diese Suggestion von Ausweglosigkeit der Bürger gelingt den Medien einerseits noch immer, ruft jedoch andererseits zunehmend Unmut und Ablehnung hervor. Ohne Erkenntnis der Notwendigkeit und den Willen zum Handeln bei der Mehrzahl der Deutschen gibt es aber keine Veränderung des Systems. Bezogen auf ganz Europa heißt das: die Völker müssen selbst herausfinden, was getan werden muß. Die Regierenden werden und können das nicht für sie tun. Für sie sind Petitionen, Appelle und Demonstrationen als bloße Willensäußerungen, nach denen alles beim alten bleibt, die Grenzen demokratischer Mitbestimmung.         

 

Die Bürger spüren, daß etwas in der Luft liegt, eine neue Freiheit nahe ist. Sie wollen heute ihr Leben ausloten und nicht später. Das, was sie erstreben, die Änderung, wird nicht von Politikern ausgehen, die sich dem System verschrieben haben, die geistig von ihm geprägt und materiell von ihm korrumpiert wurden. Sie wird von den Bürgern kommen, von jenen, die sich tagtäglich mit den Bedingungen herumschlagen müssen, die von den Politikern geschaffen werden. Die Bürger bringen nicht nur den Willen zum Widerstand mit, sondern auch die geistigen Fähigkeiten, einen Wandel zu vollziehen. Beide Voraussetzungen sind Resultat der heutigen Verhältnisse. Was das System für seine Erhaltung braucht, die Restriktion der Bürger und den technischen Fortschritt, das erzeugt die Notwendigkeit seiner Aufhebung.

 

In der bisherigen Geschichte nahm das Volk seine Interessen nicht direkt wahr. Das Sagen hatte eine aus dem Volk herausragende Führungsschicht. Diese entschied über die Lebensbedingungen, über Technik und Wirtschaft, über Religion, Justiz- und Bildungswesen. Sie nahm sich das Recht heraus, die Gesellschaft nach ihrem Maß zu gestalten. Entwicklung war für die Untertanen daher  Auseinandersetzung mit fremden Zwängen, sich diesen fremden Zwängen anzupassen. Nur an bestimmten Punkten, wenn die Zwänge zu groß  wurden, setzte der Souverän, das Volk, seine Interessen direkt und gewaltsam durch. Es kam zum politischen Umsturz, dem wieder eine neue Periode des Untertanendaseins folgte. 

 

Der neue Typus von Volkssouveränität ist auf diese Weise nicht zu erreichen. Die Entwicklung wird  nicht mehr von einer aus dem Volk herausragenden Führungsschicht ausgehen, sondern sich als   Übereinkunft im Interesse Aller vollziehen. Das hat zur Folge, daß Entwicklung nicht mehr Ausein-andersetzung mit fremden Zwängen ist. An die Stelle des Überlebenskampfes tritt der friedliche, vernünftige Interessenausgleich des Einzelnen mit seiner Umwelt. Das Abgehen von der Herrschaftsgesellschaft hat also einen grundlegenden Paradigmenwechsel zur Folge.

 

Es wäre eine Überforderung, von einer neuen Partei zu erwarten, daß sie dieses Ziel einer neuen Volkssouveränität umsetzen könnte. Stattdessen wird die Bürgermitsprache benötigt, sind  Volksentscheide, Bürgerversammlungen, Runde Tische, öffentliche Diskussionen notwendig, kurzum, die direkte Einflußnahme der Bürger auf die gesamte staatliche Tätigkeit und die staatliche Rechenschaftslegung vor dem Bürger. Auf diese Weise wird allmählich eine zweite Säule der Demokratie entstehen und die bisherige Parteienherrschaft eingeschränkt und beendet werden. Der Staat wandelt sich von einem Regierungsorgan der Parteien zu einem Organ der Bürger zur Verwaltung ihrer Angelegenheiten. An die Stelle der Regierung tritt die Volksverwaltung, die Anweisungen unmittelbar von den Bürgern erhält.   

 

Noch sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Erschreckend ist das äußerst feindselige Verhältnis der Parteien und der Vertreter des Staates zur Pegida-Bewegung. Warum verteufeln sie diese Bewegung? Sie wollen nicht anerkennen, daß ein neues Phänomen des Bürgerwillens entstanden ist. Diese Bürger wollen nicht mehr regiert werden, sondern selbst entscheiden. Ihr Anliegen geht über die parlamentarische Demokratie hinaus. Sie wollen eine höhere Form von freiheitlich-demo-kratischer Ordnung. Daß die Bewegung im Osten der BRD aufkam und trotz aller Repressalien sich zu Wort meldet, ist auch auf die nachwirkende große Enttäuschung in der „Wendezeit“ zurückzu-führen. Das Langzeitgedächtnis der Bürger ist größer, als viele Politiker sich das wünschen. Die Parteien und Statsorgane spüren diesen anderen Geist. Das ist der Grund, warum sie die Pegida-Bewegung schroff ablehnen und dabei auch Normen des Grundgesetzes verletzen. Sicher werden sie diese Volksbewegung weiter bekämpfen, aber sie werden die Weiterentwicklung der Demokratie nicht verhindern können.

 

Wer das Volk in den Mittelpunkt stellt, der muß sich zum Nationalen bekennen. Die nationale Identität ist die weiteste im Alltag erfahrene Gemeinsamkeit der Menschen, die sie für ihre freie Entwicklung benötigen. Ihre Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der von den USA und der Sowjetunion gebildeten Einflußsphären, von denen die EU übrig blieb, traf den Lebensnerv der Völker. Hier liegt der entscheidende Ansatzpunkt jeglicher EU-Kritik, bei der es vor allem um die die Wiederherstellung der nationalen Souveränität gehen muß. Es ist kein Zufall, daß die Völker weltweit unter nationalen Fahnen um ihre Befreiung kämpften. Und auch die Völker der westlichen Welt können sich heute nur national befreien. Der nationalen Form entspricht der demokratische Inhalt. Eine EU-Kritik, die sich nicht offen zur Erhaltung aller Bestandteile des Nationalen bekennt, die sich für einen nationalen Nihilismus ausspricht, ist für die Bürger unglaubwürdig und muß scheitern. 

 

Wir Deutschen fragen: Wohin geht der Westen, wohin geht Europa? Wie sieht Deutschlands Zukunft aus? Dabei darf es nicht vordergründig um quantitative Veränderungen von Anteilen an der Weltwirtschaft und an der Weltbevölkerung gehen. Die Prozentzahlen werden sich gewaltig ändern. Wenn der Westen in dieser Hinsicht zurückfällt, ist das kein Unglück für seine Bürger. Anstelle der Machtausübung im bisherigen Sinne, die darauf ausgerichtet war, andere sich dem eigenen Interesse unterzuordnen, tritt beispielsweise die Frage, welche Fähigkeiten ein Land entwickelt, das harmonische Zusammenwirken von Mensch, Tier und Pflanze zu gestalten und seine ganze geistige und materielle Kultur neu zu organisieren. Sicher werden die Maßstäbe gefunden werden, mit denen der Freiheitsgewinn der Menschen beurteilt werden kann. Eine solche Welt braucht keine Blöcke mehr, die miteinander konkurrieren. Von einer westlich favorisierten Weltregierung, die die gesamten Menschheit steuert, der sogenannten Global Governance, als ein Regieren jenseits des Nationalstaates, ganz zu schweigen. Eine solche Welt braucht die Vielfalt der Wege, um den bestmöglichen Gesamtweg zu finden.

 

Der Westen hat eine historische Pflicht, den technisch-wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern zu helfen, die Rückstände aufzuholen. Er hat die Pflicht, seinem kommunikationstechnischen Vorsprung entsprechend adäquate gesellschaftliche Organisationsformen zu entwickeln. Und schließlich ergibt sich seine besondere Verantwortung auch daraus, daß er Ausgangspunkt vieler  Konflikte ist, weil er noch immer danach strebt, seine Normen und Wertvorstellungen anderen Völkern aufzuzwingen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist wohl das wichtigste demokratische Recht in den internationalen Beziehungen, unabhängig von Kontinent und Bündnis. 

 

Doch die EU tritt es mit Füßen, wenn sie Griechenland dem internationalen Finanzdiktat unterwerfen will. Richtig handeln würde sie, wenn sie Griechenland zum Anlaß nehmen würde, das Schuldenproblem in der EU generell anzugehen, wenn sie selbst den Vorschlag einer allgemeinen Entschuldung aller EU-Länder auf den Tisch legen würde. Die Finanzlage Griechenlands durch deutsche Reparationszahlungen zu entschärfen, ist kein Ausweg. Das sollte auch der griechischen Regierung klar sein. Alles, was mit Forderungen an Deutschland infolge des Zweiten Weltkriegs zu tun hat, ist nicht EU Angelegenheit, sondern gehört auf den Tisch einer europäischen Friedens-konferenz in Vorbereitung auf einen Friedensvertrag mit Deutschland. Die Finanzmisere der EU ist ihr Problem und muß von ihr aus der Welt geschafft werden. 

 

Die Spannungen zwischen dem Westen und Rußland gehen ebenfalls auf die Mißachtung des Selbstbestimmungsrechts durch den Westen zurück. Die USA haben mit der EU die rechtmäßige ukrainische Regierung durch einen Putsch zu Fall gebracht und einer Rußland-feindlichen Regierung den Weg geebnet, zum Schaden der Ukrainer und aller Europäer.

 

In beiden Fällen spielte die deutsche Regierung bisher eine böse Rolle. Muß man sich da wundern, wenn die Völker mißtrauisch werden? 

 

Die demokratische Opposition sollte nicht nur die Politik kritisieren, sondern sie sollte vielmehr Sichten ins Spiel bringen, die außerhalb des Wertesystems der westlichen Welt liegen. Das fördert am ehesten eine Stimmung zum heiteren Aufbruch vom Gestern zum Morgen.

 

 

 

                                                                                                       Johannes Hertrampf – 28.03.2015